Vater von Julian Assange: „Weshalb tun die Mächtigen das?“

Seit zehn Jahren ist Wikileaks-Gründer Assange auf der Flucht oder im Gefängnis. Sein Vater kämpft für seine Rückführung nach Australien.

Ein Mann vor einem Fahrzeug, auf dessen Rückseite steht: "Australians bring Assange home"

Will Druck machen auf die australische Regierung: Julian Assanges Vater John Shipton, hier in Köln Foto: Eduard Bopp/imago

CANBERRA taz | Irgendwie erinnert er an Albert Einstein, mit etwas mehr Glatze. Schüttere, ungekämmte weiße Haare, die Brille sitzt tief. 75 Jahre alt ist John Shipton. Seine Stimme ist so ruhig, so monoton, man muss gut zuhören, um nichts zu verpassen. Selbst, wenn er dem Fragenden verbal ans Schienbein tritt, tönt er wie ein netter Opa. Ihre Fragen dienen einzig den Leuten und Institutionen, die ein Interesse daran haben, weiter von der Kriminalität dieser Verbrechen abzulenken“ schimpft er. Den Blick hält er gesenkt, als ob ihm die Konfrontation peinlich wäre.

Es scheint klar, dass John Shipton fast immer umgeben ist von Leuten, die seinen Sohn verehren. Von Journalisten, die den Kollegen als Vorbild sehen, von Menschenrechtlern, die ihn als Märtyrer feiern. Shipton ist jedenfalls keine kritischen Fragen gewöhnt, und er hat wenig Geduld mit jenen, die sie stellen.

Etwa die Frage, ob sein Sohn Julian Assange 2016 mit der Veröffentlichung interner Emails der amerikanischen Demokratischen Partei durch die Enthüllungsplattform Wikileaks nicht Donald Trump zum Sieg verholfen habe. Er verdreht die Augen. „Diese Sache ist kalter Kaffee“, sagt er. „Die Emails haben kriminelle Aktivitäten der Demokraten gezeigt“. Damit sei das Thema vom Tisch.

Für ihn vielleicht. Nicht aber für jene, die Assange vor dem Skandal als Ikone progressiven Denkens und freier Meinungsäußerung zelebriert hatten; bevor er die Wahlkampagne der damaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton ins Chaos stürzte. Auch viele von Assanges Anhängern haben ihm das bis heute nicht verziehen. Er sei ein Instrument Wladimir Putins geworden, so der Vorwurf. Die Emails waren Wikileaks von russischen Agenten zugespielt worden. Für John Shipton ist das kein Thema. Das Ergebnis sei entscheidend: die Offenlegung von Illegalität.

■ Julian Assange war noch nicht geboren, als seine Mutter Christine 1971 seinen Vater John Shipton verließ und mit Brett Assange zusammenzog, einem Schauspieler. „Er war mein bester Freund“, sagt Shipton, ein ehemaliger Baumeister, der bis heute unter diesem Vertrauensbruch zu leiden scheint.

■ Der Junge von damals sollte sich zu einer der einflussreichsten und umstrittensten Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte entwickeln. Ob verdeckte Einsätze der CIA, Machenschaften der Scientology-Sekte, die Entsorgung toxischer Abfälle oder das schockierende Video von einem amerikanischen Luftangriff auf Zivilisten in Irak: Seit 2006 sind Julian Assange und Wikileaks den Mächtigen und den Herrschenden ein Dorn im Auge.

■ Die Enthüllungsplattform lässt Whistleblower über ein Anonymisierungsnetzwerk Dokumente hochladen. Die Veröffentlichung solch roher Daten, geheimer Berichte, diplomatischer Depeschen und Interna von Parteien und Geheimdiensten ließen Staatsgeheimnisse platzen, Karrieren enden und riskierten laut Kritikern das Leben von Informanten. Während Politiker und Journalisten, aber auch die Öffentlichkeit in vielen Ländern die Arbeit von Wikileaks begrüßen, wehren sich Regierungen dagegen.

■ In ihrem Fokus steht Julian Assange. Der frühere US-Präsident Trump hatte eine Auslieferung des Australiers gefordert. Auch die neue US-Regierung will daran festhalten, den weißhaarigen 49-Jährigen in den USA vor Gericht zu stellen. Der Sprecher des US-Justizministeriums, Marc Raimondi, meinte im Februar, die US-Regierung werde die Entscheidung einer britischen Richterin anfechten, wonach Assange nicht in die USA ausgeliefert werden sollte, weil das Risiko bestehe, dass er Selbstmord begehen würde.

Julian Assange war 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London geflohen, nachdem ihn Schweden wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung per internationalem Haftbefehl gesucht hatte. Assange streitet bis heute ab, eine Straftat begangen zu haben. Vielmehr seien Beschuldigung und Haftbefehl Mittel, um ihn in die USA ausliefern zu können. Dort drohen ihm 175 Jahre Haft, vielleicht sogar die Todesstrafe. Der Vorwurf der amerikanischen Regierung: Spionage.

Sieben Jahre in der Botschaft

Wikileaks hatte den Zorn Washingtons auf sich gezogen, nachdem es tausende von Seiten einst geheimer Berichte und Dokumente veröffentlicht hatte, die von amerikanischen Geheimdiensten und dem Militär erstellt wurden. Eine der spektakulärsten Enthüllungen von Wikileaks war das Video eines Luftangriffs auf Zivilisten in Irak. Dazu kamen weitere Informationen über mutmaßliche Kriegsverbrechen amerikanischer Truppen.

Sieben Jahre dauerte Assange’s selbst verhängtes Asyl in der ecuadorianischen Botschaft. Quito gewährte ihm sogar die Staatsbürgerschaft. Vom Balkon der Botschaft rief er seine jubelnden Anhänger dazu auf, Druck zu machen auf Politiker und Justiz. Nur verlassen konnte Assange das Gebäude in der Innenstadt von London nicht – die britische Polizei stand Tag und Nacht bereit, um ihn zu verhaften.

2018 endeten Geduld und Gastfreundschaft der ecuadorianischen Regierung. Auf Anordnung des neuen Präsidenten Lenín Moreno entzog ihm die Botschaft erst den Internetzugang, dann das Asylrecht. Am 11. April 2019 nahm ihn die britische Polizei fest. Seither harrt Assange in Einzelhaft in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis aus – 23 Stunden am Tag. Terroristen und Mörder sind seine Nachbarn.

„Es geht ihm nicht sehr gut“, sagt John Shipton, „erst Jahre in der Botschaft und jetzt diese psychologische Folter“. Seit Jahren versucht der Vater, die australische Regierung dazu zu bringen, seinen Sohn heimzuholen. Doch die enge Partnerschaft mit den USA hindert Canberra, sich in Washington für ihn einzusetzen.

So fährt Shipton in diesen Tagen mit einer Gruppe von Aktivisten durchs Land, um im australischen Volk Unterstützung für die Heimkehr zu finden. Um von unten Druck auf die Regierung zu machen. Auf ein gerechtes Amerika hofft er nicht: „Noch nie hat das auf Spionage spezialisierte Gericht im amerikanischen Bundesstaat Virginia jemanden für unschuldig erklärt“.

„Journalist ohne einen Makel“

Dann klingelt Shipton's Telefon. Er nimmt den Anruf entgegen. Es ist Julian Assange.

Covid-19 hat sich für die Eingesperrten im Gefängnis als Segen erwiesen. Weil keine Besucher erlaubt sind, dürfen sie häufiger telefonieren. Zehn Minuten jeweils, dann wird die Leitung gekappt. Was hat er mit seinem Sohn besprochen? „Es ist nett von Ihnen, mich zu fragen“, meint er. „Aber ich werde es Ihnen nicht sagen“. Wir, die Medien, die Öffentlichkeit, wir sollten uns doch endlich mal auf das konzentrieren, was wichtig sei, herrscht er einen an. Auf die enormen Verbrechen etwa, die nur durch die Arbeit seines Sohnes zu Tage gekommen seien.

Seit Beginn der Invasionen der Länder im Nahen Osten durch die USA und ihre Verbündeten seien sechs bis sieben Millionen Menschen umgekommen. „Sudan, Jemen, Libyen, Syrien, Irak, Afghanistan – die Liste ist ein Dokument des Teufels“. Der Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ werde zu leichtfertig verwendet. „Er bedeutet konkret, dass jemand Ihren Vater ermordet hat, Ihre Mutter, Ihren Bruder, Ihre Schwester, Ihre Kinder. Der Pol der Trauer, der über dem Nahen Osten hängt, ist ein Schandfleck für die Menschheit. Er muss korrigiert werden“. Und die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

In seinem Heimatland Australien haben prominente Journalisten kritisiert, Julian Assange sei keiner von ihnen. Denn er veröffentliche meist rohe Daten, unredigiert, nicht analysiert – Streubomben sozusagen. Shipton winkt ab: „Dieser Mann hat 26 Auszeichnungen für Journalismus erhalten, unter ihnen den höchsten Journalismuspreis in Australien. Er ist und bleibt ein Journalist – ein Journalist ohne einen Makel der Lüge“.

Ist Julian Assange ein Blutzeuge für Meinungsfreiheit und Transparenz? Eine weitere Frage, für die John Shipton wenig Verständnis zeigt. Julian selbst mache sich bestimmt nicht zum Märtyrer. „Er würde lieber heimkommen und mit uns einen Kaffee trinken. Aber das kann er nicht, weil er von anderen in einem kleinen Raum eingesperrt ist. Deshalb muss Ihre Frage lauten: Weshalb tun die Mächtigen das?“ Die Antwort sei klar: „Sie lassen ihn leiden, um uns Angst davor zu machen, ähnliches zu tun wie er.“

Auf die Frage, ob er seinen Sohn jemals wieder in Freiheit sehen wird, antwortet der Vater ebenso kryptisch wie überraschend. „Geht am Morgen die Sonne auf?“, fragt er rhetorisch. Natürlich werde sein Sohn wieder frei sein. Dabei hatte John Shipton eben noch behauptet, er nutze „weder die Werkzeuge der Hoffnung, noch die des Optimismus'.“

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