Videokunst über Tod in Polizeigewahrsam: Ein Mensch brennt

Im Oldenburger Edith-Russ-Haus untersucht der Videokünstler Mario Pfeifer grauenhafte Todesfälle. Vom Einzelfall kommt er subtil auf die Gesellschaft.

Ein verbranntes Feuerzeug

Nur ein verbranntes Stück Plastik, oder das Zeugnis einer kaputten Gesellschaft? Foto: Mario Pfeifer/KOW/VG-Bildkunst

Es sind kalte Flammen, die da im Edith-Russ-Haus züngeln. Wie ein Gasofen wirft ein kleiner Ausstellungsraum im Untergeschoss des Oldenburger Hauses für Medienkunst flackerndes Licht auf den Flur, das unruhig macht, noch bevor man drinsteht in der Arbeit „Zelle 5 – 800° Celsius“. Es ist nur ein Stück Plastik, das da auf der Leinwand brennt, und ein Fitzel Metall – kein Mensch jedenfalls.

Dass einem trotzdem unweigerlich Gedanken ans Krematorium durch den Kopf spuken, dürfte daran liegen, dass in der echten Zelle Nummer fünf vor ein paar Jahren tatsächlich ein Mensch verbrannt ist. Oury Jalloh nämlich, während er auf einem Polizeirevier gefesselt auf dem Boden lag. Und dann wird man wütend, traurig, hilflos. Und ja: Man hasst auch.

Wie fast immer, wenn ein Mensch stirbt, geht fürs Erste auch das analytische Denken in die Knie. Natürlich geht es bei diesem Fall um strukturellen Rassismus, um institutionelle Schwierigkeiten bei der Polizei, um Rechtsextremismus. Aber dieser Tod, festgeschnürt auf einer Liege, mit Benzin übergossen und angezündet – das sperrt sich vor der Analyse. Das ist eine Konfrontation mit dem Urbösen, auch wenn man an so was nicht glaubt.

Mario Pfeifers Ausstellung in Oldenburg holt das an die Oberfläche, obwohl sie mit keinem Wort davon spricht. Schon der Titel ist streng sachlich:„Negotiating the Law“ heißt die Schau, also: „Das Recht verhandeln“. Das klingt erst nach einer Selbstverständlichkeit, ist dann aber doch wenigstens eine kleine Provokation: weil vor Gericht ja erstens nicht das Recht selbst zur Verhandlung steht – und weil über die Todesfälle, um die es in der Ausstellung geht, zweitens meist nur sehr kurz prozessiert wurde.

Vom Beweisstück zur Requisite

Aber zurück zu „Zelle 5“: Videokünstler Mario Pfeifer hat einen Raum gestaltet, der von einer Videoleinwand dominiert wird. Glasklare, hochaufgelöste Bilder zeigen einen technischen Vorgang in steriler Atmosphäre: Ein präpariertes Einwegfeuerzeug wird angezündet und schmilzt dann rauchend vor sich hin.

Ein Feuerzeug wie dieses hier ist das zentrale Beweismittel der polizeilichen Erzählung von Oury Jallohs Ableben: Er soll mit gefesselten Händen ein bei der Durchsuchung nicht entdecktes Feuerzeug aus der Tasche gezogen haben, den brandhemmenden Überzug seiner Matratze aufgepult und sie und sich schließlich in Brand gesetzt haben. Das Feuerzeug selbst ist ein paar Tage später aufgetaucht, mit ein paar Tierhaaren dran, dafür aber ohne Jallohs DNA oder sonst irgendwas aus der Zelle.

Was das Kunstwerk vorführt, ist die Herstellung eines solchen Beweismittels. Die Bilder in Großaufnahme und der präzise Aufbau des Experiments behaupten Objektivität, ohne sie wirklich zu liefern. Überhaupt wird die Frage mit jeder Minute drängender, ob wir uns nicht doch an einem Nebenschauplatz verrennen. Und darüber passiert es dann, dass dieses per Definition auf Fakten verweisende Beweisstück zum Requisit verkommt, zu einem Hilfsmittel für eine Erzählung. „Was ist dieses Beweisstück überhaupt wert?“, heißt es aus dem Off, und die Antwort liegt da längst auf dem Tisch.

Mario Pfeifers Arbeit ist nicht abgeschlossen, bereits hier in der Oldenburger Ausstellung wird sie flankiert durch forensische Untersuchungen des Feuerzeugs im Nebenraum sowie die Dokumentation der „Initiative Oury Jalloh“, die seit Jahren auf eigene Faust die Aufklärung des mutmaßlichen Mordes einfordert. Zwei weitere Akte stehen noch aus, weil das Filmprojekt unter Corona­bedingungen nicht rechtzeitig fertig wurde. Später im Jahr folgen noch eine Liveperformance, die dem theatralen Charakter des Gerichtsverfahrens nachgeht und weitere Videos, die den Brand in der Zelle rekonstruieren.

Mario Pfeifer: Negotiating the Law: bis So, 28. 3., Edith-Russ-Haus, Oldenburg. Bis wann die Folgetermine realisiert werden, ist noch unklar.

Die Arbeit von Ermittlungsbehörden ins Feld der Kunst zu überführen, ist nicht neu. Die Gruppe Forensic Architecture etwa sorgt bereits seit Jahren für Furore mit in Museen, Kunsthäusern oder auf der Documenta nachgestellten Crime Scene Investigations – und zwar mit solchen, die von staatlicher Seite sträflich vernachlässigt wurden. Zum NSU haben sie geforscht oder über das syrische Foltergefängnis Saydnaya. Hier werden Fakten ans Licht gebracht, damit Er­mitt­le­r:in­nen sie zur Kenntnis nehmen und sich dazu verhalten müssen. Bei Mario Pfeifer ist das anders, seine Fakten liegen längst auf den Tischen von Op­fer­an­wäl­t:in­nen und Journalist:innen. Ihm geht es viel mehr um das gesellschaftliche Drumherum, auch wenn das zunächst so auffällig unsichtbar bleibt.

Zwischen Kunst und Forensik

Im Eingangsbereich der Ausstellung ist eine ältere Arbeit von Pfeifer zu sehen: die Installation „Again/Noch Einmal“ von 2018. Sie ist Shabaz al-Aziz gewidmet, der aus dem Irak nach Deutschland geflohen war, um hier seine Epilepsie behandeln zu lassen.

Auch seine Geschichte hatte bundesweite Aufmerksamkeit nach sich gezogen: Nach einem Streit mit einer Supermarktkassiererin wird al-Aziz von vier Männern geschlagen und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt. Er ist psychisch krank, gerät mit Ärzten und Polizei aneinander. Später verschwindet er aus einem Pflegeheim in den Wald. Nach drei Monaten findet ein Förster seine stark verweste Leiche.

Mario Pfeifers Zugriff auf diese Geschichte ist etwas kompliziert, aber es lohnt, das nachzuvollziehen: In einer Tiefgarage hat er einen Supermarkt als Filmset nachgebaut. Der heißt hier zwar nicht „Netto“, ist aber trotzdem voller roter T-Shirts und gelber Werbetafeln. Auf einer kleinen Empore im Dunklen sitzen Menschen, eine Jury vielleicht, oder Zeug:innen? Publikum jedenfalls, wie jenes, das auch in Oldenburg vor den Leinwänden sitzt. Täter, Anwälte und Öffentlichkeit kommen als echtes Archivmaterial auf bedacht platzierten Bildschirmen zu Wort. Ein bisschen Gerichtssaal ist das und ein bisschen Theater – eine Nähe, um die es auch im Folgenden gehen wird.

Ausgangspunkt ist das nach nur vier Stunden eingestellte Verfahren gegen die Männer, die Shabaz al-Aziz im Supermarkt misshandelten. Eingangs zu sehen ist ein (echter) Fernsehbeitrag über eine Demonstration vor dem Amtsgericht. Die Schläger werden hier als „Helden“ gefeiert. So heißt es auf ihren Schildern. Ihr Anwalt versucht von vornherein, den Prozess zu politisieren: von wegen Zivilcourage, die nicht strafbar sein dürfe und so weiter.

Die fragmentierte Wirklichkeit

Die zweite Zutat ist das nachgespielte Geschehen im Supermarkt selbst: Die Schau­spie­le­r:in­nen Dennenesch Zoudé und Mark Waschke wandern durchs Bild, führen Regie und ermitteln: „Den Anfang noch mal, schauen wir’s uns noch mal von hier drüben an.“ Zu sehen ist der gut 40-minütige Film auf zwei Bildschirmen, in zwei Kanälen, was die Perspektive aufweicht und verunsichert. Wenn die Zeu­g:in­nen sprechen, ist manchmal links ein bedacht sprechender Mund zu sehen, während auf der Riesenleinwand zur Rechten zwei Augen hektisch blinzeln.

„Diesem jungen Mann kann man heute nicht mehr helfen“, heißt es einmal. Und das ist wahr. Shabaz al-Aziz ist ja erfroren im Wald. Aber über die Gesellschaft ist viel zu erfahren, gerade weil sie hier so mehrfach fragmentiert auftritt. Die Mi­gran­t:in­nen aus der Jury sprechen auch über ihre ersten Jahre in Deutschland, über die 90er, mordlustige Skinheads und über einen Staat, der sich rausgehalten hat.

Und in der Erinnerung an die brennenden Häuser und Baseballschläger finden Analyse, Ohnmacht und Wut in dieser Ausstellung dann doch irgendwann zusammen. Weil in all den monströsen Einzelfällen eben doch Strukturelles aufblitzt. „Es hat sich nicht viel geändert“, sagt eine Frau im Film. Und deshalb sorge sie sich auch so um die jungen Geflüchteten von heute. Nicht weil sie inzwischen akzeptiert sei und angstfrei in Deutschland leben könne. Sondern weil sie im Gegensatz zu den Jüngeren gelernt habe, aus welchen Ecken man sich besser fernhält.

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