Schluss mit friedlich

Der Coronaprotest ist wieder da – und das mit wüsten Aktionen. Die Länder zählen zahlreiche Straftaten, der bayrische Verfassungsschutz nimmt die Bewegung ins Visier

In Dresden geriet der Corona­protest (erneut) außer Kontrolle Foto: Fo­to:­ Chris­ti­an Essler/action press

Von Konrad Litschko

Am Samstag rufen die Fun­da­men­tal­geg­ne­r der staatlichen Coronamaßnahmen wieder zum Protest, diesmal nach Kassel. Und erneut könnte es turbulent werden. Denn die Stadt hat den Protest aus Infektionsschutzgründen untersagt – die Szene aber mobilisiert weiter. Die Polizei sei vorbereitet, erklärt ein Stadtsprecher.

Erst am Wochenende war es in Dresden zu wüsten Szenen gekommen. Auch dort setzten sich Coronaprotestierer über ein Demoverbot hinweg, durchbrachen Polizeisperren, rangen Beamte zu Boden. 915 Platzverweise verhängte die Polizei am Ende, zählte 47 Straftaten und 12 verletzte PolizistInnen. Am gleichen Tag wurde auch in Stuttgart bei Coronaprotesten ein Fernsehteam und Po­li­zis­t:in­nen bedrängt.

Nach einer Winterpause ist die „Querdenken“-Bewegung – ein Jahr nach Beginn der Proteste – damit wieder auf der Straße. Und: Die jetzigen Übergriffe sind keine Einzelfälle mehr, wie eine taz-Umfrage in den Bundesländern zeigt.

Allein in Berlin zählt die Polizei seit März 2020 1.233 Delikte im Zusammenhang mit den Coronaprotesten. Darunter fallen 160 tätliche Angriffe auf Polizeibeamte, 265 Widerstandshandlungen, 17 gefährliche Körperverletzungen, 115 Beleidigungen oder 24 Gefangenenbefreiungen. In 194 Fällen erfolgten Landfriedensbrüche sowie 119 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz.

Wie die Straftaten erfasst und den Protesten zugerechnet werden, differiert stark von Land zu Land. Einige haben gar keine Zahlen, andere tragen sie noch zusammen. Auch in Hessen zählt das Innenministerium aber bislang 98 Straftaten mit Coronabezug. In Mecklenburg-Vorpommern sind es 84, in Thüringen 76, in Rheinland-Pfalz 42, in Hamburg 30. Baden-Württemberg kommt auf 98 Straftaten, darunter 16 Gewaltdelikte. Dort allerdings betont das Innenministerium, dass 53 der Fälle linken Straftätern zugerechnet werden, nur 6 rechten, 39 seien nicht zuzuordnen. So wurden etwa im Mai 2020 drei Coronademonstrierende, die zuvor auch in rechtsextremen Kontexten auftauchten, von mutmaßlich Linken angegriffen und schwer verletzt.

Andernorts werden die Zahlen nicht weiter aufgeschlüsselt – oder liegen genau andersrum. In Hessen etwa werden von den 98 Straftaten 25 rechte Motive zugeordnet, 11 linke und eine „ausländischer Ideologie“. Der Rest bleibt uneingeordnet – auch weil sich die Behörden weiter schwertun, den Coronaprotest politisch einzusortieren.

Die Innenminister setzen auf „repressive Signale der wehrhaften Demokratie“

Die Behörden beunruhigen aber auch schwere Straftaten. So durchsuchte die Polizei im Februar einen 36-Jährigen in Bad Kissingen (Bayern), der verdächtigt wird, aus Coronaprotest einen ICE mit einer Plane zu einer Schnellbremsung genötigt zu haben. Auch wird weiter zu einem Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut in Berlin und einem gezündeten Sprengsatz nahe der Leibniz-Gemeinschaft ermittelt. Aufgefundene Schreiben forderten ein Ende der Coronamaßnahmen. Zudem kommt es immer wieder zu massiven Bedrohungen von Politikern.

Inzwischen reagieren die Behörden. Am Mittwoch verkündete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), dass der dortige Verfassungsschutz den Coronaprotest unter Beob­achtung nimmt – mit einem Sammelbeobachtungsobjekt „Si­cher­heits­gefähr­den­de demo­kratie­feindliche Bestrebungen“. Das erfasse Einzelpersonen und Gruppen, die zu gewaltsamen Aktionen aufriefen oder sich daran beteiligten – etwa Qanon-Anhänger:innen oder Autobahnblockierer. Nicht jeder Kritiker werde beobachtet, so Herrmann. Aber „einige wenige Personen, die zu gewalttätigem Widerstand aufrufen“.

Bereits seit Dezember wird die Stuttgarter „Querdenken“-Gruppe samt Ablegern vom Verfassungsschutz beobachtet. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die Unions-Innenminister der Länder bekräftigen Ende Februar in einer Erklärung: Der Coronaprotest habe ‚Reichsbürger-typische Narrative‘ entwickelt, ihn prägten inzwischen „ein hohes Maß an Demokratie- und Staatsfeindlichkeit“. Dies benötige „repressive Signale der wehrhaften Demokratie“. Die Minister beklagten zudem die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte – und forderten eine satte Straferhöhung. Statt einer Höchstfreiheitsstrafe von 5 Jahren für besonders schwere Angriffe solle es künftig bis zu 10 Jahren Haft geben. Hier brauche es „null Toleranz“.