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Vom weltlichen Vermesser zum kirchlichen Verkünder

Das berufsbegleitende, sechssemestrige Studium der Theologie bereitet Quer­ein­stei­ge­r*in­nen jeden Alters auf die Tätigkeit als evangelische Pfarrer*in vor

Von Joachim Göres

Pastor Dirk Wagner arbeitet mit einer halben Stelle im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen als Industrieseelsorger. Er geht in Betriebe, berät Hilfesuchende, vermittelt bei Konflikten. „Die Leute kommen zu mir, weil sie wissen, dass ich unabhängig bin und sie mir vertrauen können“, sagt er. Mit seiner anderen halben Stelle ist er in der Evangelischen Student*innengemeinde Hannover tätig.

Dort hat er auch mit jungen Menschen zu tun, die unsicher in ihrer Fächerwahl sind. Wagner versucht im Gespräch gemeinsam eine Perspektive für die Zukunft zu finden. Dabei ist es nicht von Nachteil, dass er selbst in jungen Jahren nach vier Semestern ein Theologiestudium abgebrochen hat. „Das war damals ein Misserfolgserlebnis und dennoch eine wichtige Erfahrung. Ich kann gut verstehen, wie sich jemand fühlt, der an sich selbst und seiner Studienwahl zweifelt“, sagt der 61-Jährige.

Wagner ist als Pastor Quereinsteiger – nach dem Abbruch des Theologiestudiums hat er Vermessungswesen an der Fachhochschule Oldenburg studiert und dann fast 30 Jahre als Vermesser und Bauleiter gearbeitet, unter anderem im Gasleitungs- und Straßenbau. „Das war eine anstrengende, aber auch sehr erfüllende Tätigkeit“, sagt der Ingenieur.

Im Alter von 50 Jahren entschließt er sich, noch einmal etwas ganz anderes zu machen: Er bewirbt sich für das sechs Semester dauernde Studium „Master of Theology“ der Universität Marburg, ein berufsbegleitender Studiengang, der alle drei Jahre angeboten wird. Neben der Universität Marburg bieten neuerdings auch die Universitäten in Greifswald, Frankfurt/Main, Heidelberg sowie die Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel ein Master-Studium Theologie für Quereinsteiger an.

Ein Abschluss in einem nicht-theologischen Studiengang sowie fünf Jahre Berufserfahrung sind Voraussetzung für die Teilnahme.

In der Aufnahmeprüfung schreibt man einen theologischen Essay und muss zudem 25 Fragen zur Bibel beantworten wie „In welchem neutestamentlichen Brief wird auf Evas Sünde verwiesen und was stimmt in dieser Auslegung nicht?“.

„Durch meine hohe Arbeitsbelastung fühlte ich mich schlecht auf die Prüfung vorbereitet und wollte schon vorher aufgeben, doch die Studienberatung ermutigte mich wegen meiner Vorkenntnisse als ehrenamtlicher Laienprediger, die Herausforderung anzunehmen“, erinnert sich Wagner und fügt hinzu: „Ich gehörte dann zu den 27, die mit dem Studium beginnen durften“ – ein bunter Haufen, zwischen Mitte 30 und 60, Juristen, Mediziner, Journalisten, Manager, etwa gleich viele Frauen und Männer.

Berufsbegleitendes Studium – das bedeutet für Wagner, abends nach der Arbeit Texte zu studieren und Aufgaben zu lösen. Das heißt, an zahlreichen Wochenenden sowie in zehn Präsenzwochen – die in der Evangelischen Akademie Hofgeismar in der Nähe von Hannoversch Münden stattfinden –, zusammen mit den Mitstudierenden Themen wie Exegese des Alten und Neuen Testaments, Gottesbilder in der Geschichte, Dogmen und Bekenntnisse, Religion in gesellschaftlichen Kontexten oder Theologiegeschichte von der Reformation bis in die Gegenwart zu vertiefen.

Für einen erfolgreichen Abschluss muss Wagner innerhalb von drei Monaten eine Masterarbeit schreiben. Um das alles zu schaffen, wird der Urlaub fürs Studium fest eingeplant. „Wenn man wie ich in der Zeit voll arbeitet, ist das schon eine enorme Belastung. Da kann es auch zu Krisen in der Familie kommen“, erinnert sich Wagner, der für das dreijährige Studium rund 10.000 Euro zahlt.

Doch er betont das Positive: „Die Seminare in Hofgeismar wurden immer von zwei Marburger Professoren geleitet, die manchmal unterschiedlicher Meinung waren. Das waren spannende Diskussionen und ein ganz toller Kontakt, auch durch die intensiven Gespräche abends nach den Seminaren. Wir hatten eine gute Lerngruppe. Das war eine sehr erfüllte Zeit, eine der schönsten Zeiten überhaupt.“ 24 der 27 Studierenden schaffen den Abschluss.

Fünf Jahre Berufserfahrung sind Voraussetzung für das Studium

Wagner hatte mit dem Studium begonnen, um theologische und ethische Fragen für sich zu klären, nicht aber, um unbedingt den Beruf zu wechseln. Als er fertig ist, steht für ihn jedoch der Entschluss fest, als Pastor arbeiten zu wollen. Er kündigt seine Stelle bei einer Baufirma und beginnt in einer evangelischen Kirchengemeinde in Kassel mit einem zweijährigen Vikariat, die praktische Ausbildungsphase auf dem Weg in den Pfarrberuf. „Dadurch verdiente ich viel weniger Geld als zuvor und musste mir in Kassel noch eine zweite Wohnung nehmen. Das war schon eine Umstellung.“

In der Wolfsburger Kirchengemeinde fühlt er sich willkommen. Doch er bemerkt bei einigen Personen auch eine gewisse Reserviertheit. „Als Quereinsteiger ist man oft in theologischen Kreisen ein Outsider. Es ist zu spüren, dass man nicht als richtiger Theologe angesehen wird, dass einem der Stallgeruch fehlt“, sagt Wagner. Er sieht es dagegen für seine Arbeit in der Gemeinde als Vorteil an, schon in einem anderen Beruf gearbeitet zu haben: „Viele Menschen schätzen es sehr, wenn man die Berufswelt von innen kennt und ihnen bei Konflikten helfen kann.“

Die theologische Kritik an Quereinsteigern wie Wagner entzündet sich unter anderem an deren Fremdsprachenkenntnissen. Das reguläre Theologiestudium dauert fünf Jahre, es müssen Kenntnisse in Latein, Griechisch und Hebräisch nachgewiesen werden. Im berufsbegleitenden Studium wird auf Latein verzichtet. In Griechisch und Hebräisch reichen für die Studierenden sogenannte funktionale Sprachkenntnisse aus, sodass sie sich mit Hilfsmitteln einfache biblische Texte erschließen können.

Studiengangs-Koordinatorin Daniela Linke sieht das nicht als Problem: „Durch die vielen sehr guten Absolventinnen und Absolventen ist die Akzeptanz unseres berufsbegleitenden Master-Studiengangs in einigen Landeskirchen, die zu Beginn eher skeptischer waren, deutlich gestiegen.“ Letztlich sind die meisten Kirchengemeinden froh, wenn sie ihre Pfarrerstellen überhaupt besetzt bekommen. Nach Schätzungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gehen in den nächsten zehn Jahren 30 bis 40 Prozent der Pastorinnen und Pastoren in den Ruhestand.

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