: Lieber Straße als Notunterkunft
Gegen den städtischen Umgang mit Hannovers Wohnungslosen wird seit Monaten protestiert. Auch wenn langsam Bewegung in die Sache kommt, fehlt es Kritiker*innen nach wie vor an langfristigen Strategien
Von Michael Trammer
Ein Zeltlager steht am Dienstag auf dem Trammplatz in der Nähe von Hannovers Rathaus. „I want change“ steht auf einem Banner. Auf einem anderen: „Wohnen ist Menschenrecht“. Etwa 50 Personen sind vor Ort: Aktivist*innen und Betroffene von Obdach- und Wohnungslosigkeit zelteten in der Nacht auf Mittwoch vor dem Sitz der städtischen Verwaltung. „Wir fordern die Stadt auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden“, ruft Sozialarbeiter Alexander Eisele, „und allen Bürger*innen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.“ Eisele gehört zum „Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit“, mit der Aktion will die Gruppe den bisherigen Forderungen Nachdruck verleihen.
Protestiert wird in Hannover bereits seit rund einem Jahr. Das Bündnis „Armut stinkt“ hat hier am Trammplatz demonstriert. Aktivist*innen besuchten die Bürgersprechstunde, um ihren Anliegen Nachdruck zu verleihen. Die Initiative „Jetzt besetzten wir“ besetzte kurzzeitig städtischen Leerstand. Auch die evangelische Kirche schaltete sich mit einem Notangebot ein: einer Schlafstelle in der Marktkirche, im besonders kalten Februar. Private Stiftungen mieten seit Monaten Hotels, um bis zu 70 Personen einzeln unterzubringen. Außerdem besetzen Betroffene heimlich eine Wohnung.
Trotz ihrer unterschiedlichen Strategien sind sich die Akteur*innen in ihrer Kritik einig: Die städtischen Notschlafstellen seien nicht coronagerecht, würden von Betroffenen nicht angenommen und müssten sich darum endlich verändern. Wohnungslose sagen, sie zögen es vor, auf der Straße zu schlafen, wenn die Alternative eine Nacht in der Notschlafstelle oder in einem städtischen Obdach sei. Klient*innen würden teils lieber das Risiko eines Kältetods in Kauf nehmen, sagt Sozialarbeiter Alexander Eisele. Für ihn entstehe nach wie vor der Eindruck, die Obdachlosigkeit in Hannover solle lediglich verwaltet werden. Eine langfristige Strategie müsse her. Nur dezentrale Einzelunterbringung könne den gesellschaftlichen Ausschluss brechen.
Eine Coronanotunterbringung in einem angemieteten Jugendhaus, die viele positive Beispiele für Wege aus der Obdachlosigkeit aufzeigte, wurde im Oktober unter Protest beendet. Mittlerweile hat die Stadt neue Projekte vorgestellt, die als Nachfolge verstanden werden sollen. Ein neuer Tagestreff am Rand der Stadt in Ahlem und ein erstes Projekt nach dem „Housing First“-Konzept, „Plan B – OK“, wurden eröffnet. Weitere Projekte seien in Planung. Bei einem Pressegespräch in der Marktkirche sagte die Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP), sie favorisiere das nordische Modell zum Umgang mit Obdach- und Wohnungslosigkeit. Das heißt: Zuerst bekommen Betroffene Obdach, dann werden ihr sozialrechtlicher Anspruch und Wege aus der Situation in enger sozialarbeiterischer Betreuung angegangen. Eine der zentralen Forderungen der Proteste des letzten Jahres wurde Mitte Februar erfüllt: Zukünftig ist ausschließlich das Sozialdezernat für die Unterbringung obdachloser Menschen zuständig. Zuvor lag dies – wie die Unterbringung Geflüchteter – in den Händen des städtischen Baudezernats. Die Aktivist*innen erhoffen sich nun ein ganzheitliches Vorgehen aus einer Hand. Diese Entscheidung muss der Rat der Stadt Anfang März noch bestätigen.
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