Reformjuden monieren Ungleichbehandlung: Liberale fordern Synagoge

Hamburgs jüdische Einheitsgemeinde freut sich über den Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge. Die Liberale Jüdische Gemeinde indes hat keinen Raum.

Die Ruine des einstigen Tempels in Hamburgs Poolstraße.

Am Rande der Aufmerksamkeit: die Ruine des einstigen Tempels in der Hamburger Poolstraße Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Alle reden von der Bornplatz-Synagoge. Vom beschlossenen und finanzierten Wiederaufbau des einst größten jüdischen Gotteshauses in Norddeutschland. Es soll auf Hamburgs heutigem Joseph-Carlebach-Platz stehen, benannt nach dem 1942 von der SS bei Riga mit seinen Angehörigen ermordeten Rabbiner.

Die große öffentliche Aufmerksamkeit für das Bornplatz-Projekt ist erklärlich, ist Hamburgs Einheitsgemeinde, der die Synagoge zugute kommen soll, mit 2.500 Mitgliedern doch die größte jüdische Gemeinde der Stadt. Aber sie war und ist nicht die einzige bedeutende: Hamburgs 2004 neu gegründete Liberale Jüdische Gemeine zählt heute ungefähr 330 Mitglieder. Die Reformjuden waren wohl nie in der Überzahl, aber ihre Ideen – Orgelmusik im Gottesdienst und Gleichberechtigung für Frauen – bleiben doch wegweisend.

Für solche Konzepte stand auch die einstige, „Neuer Tempel“ genannte Synagoge in der Poolstraße, laut Denkmalverein „erster eigener Sakralbau dieser Gemeinde, die zu einer der Keimzellen des liberalen Judentums, einer der Hauptströmungen des Judentums, wurde“. Der Gemeinde gehörte etwa der Onkel des Dichters Heinrich Heine an, der Bankier und Mäzen Salomon Heine – sowie der Politiker und Jurist Gabriel Riesser.

Der „Neue Tempel“ hatte zum Beispiel einen gemeinsamen Eingang für beide Geschlechter sowie eine Orgel. Von der 1844 eröffneten Synagoge ließ eine Weltkriegsbombe 1944 allerdings nur eine Ruine zurück, heute im Hinterhof einer Autowerkstatt gelegen. Und während die Einheitsgemeinde 1960 eine neue Synagoge in Eimsbüttel bekam, fehlt der Liberalen Jüdischen Gemeinde bis heute ein sakraler Raum.

Liberale sind solidarisch

Nun wollen die Liberalen der Einheitsgemeinde die Bornplatzsynagoge nicht streitig machen, sondern sind „natürlich solidarisch mit unsern Brüdern und Schwestern“, wie Galina Jarkova vom Vorstand der Liberalen Jüdischen Gemeinde betont.

Aber den Fokus allein auf die Einheitsgemeinde zu richten, sei nicht gerecht: erstens wegen der historischen Bedeutung des Reformjudentums und zweitens wegen der ungelösten Raumfrage. Denn auch im von der gewachsenen Liberalen Jüdischen Gemeinde 1931 eröffneten Tempel in der Oberstraße gibt es keinen Raum für die heutige Gemeinde – er beherbergt das Rolf-Liebermann-Studio des NDR. Also feiern die gläubigen Liberalen ihre Gottesdienste mal im Jüdischen Kulturhaus in der Turnhalle der einstigen Israelitischen Töchterschule, mal im Betty-Heine-Saal des früheren Israelitischen Krankenhauses.

Aber eine Dauerlösung sei all das nicht, sagt Jarkova, und da finde sie es schon merkwürdig, dass die Einheitsgemeinde nun schon die zweite Synagoge bekomme und die liberale gar keine. „Wir als Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg, Nachfolgegemeinde des Israelitischen Tempelverbandes von 1817, würden uns auch dieselbe Aufmerksamkeit und Unterstützung von den Bürgern und dem Senat Hamburgs sowie der Bundesregierung wünschen, um wieder ein blühendes liberales Judentum in Hamburg zu fördern“, heißt es in der jüngsten Pressemitteilung. Schließlich gebe es in der Stadt neben dem Joseph-Carlebach-Platz viele bedeutende Orte einstigen jüdischen Lebens, sagt Jarkova. Und wenn man – wie von Hamburgs Senat stets betont – jüdisches Leben sichtbarer machen wolle, müsse man auch dessen Vielfalt abbilden.

Es fehlen Lobby und Geld

Das ist bis jetzt nicht geschehen. Zwar hat der städtische Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) der Finanzbehörde Ende 2020 ein Teilareal in der Poolstraße gekauft und sich zum Erhalt verpflichtet, doch anders als bei der Bornplatz-Synagoge gibt es hier weder eine starke Lobby noch Geld für Machbarkeitsstudie und Wiederaufbau-Konzepte.

Galina Jarkovas Ideen? „Natürlich wäre es unser großer Traum, hier eine eigene Synagoge zu haben. Aber wir müssen auch realistisch sein und brauchen erst mal überhaupt einen Raum.“

Die Pressemitteilung ihrer Gemeinde liest sich radikaler: „Ein großer Teil der Synagoge … steht noch und soll als Gedenkstätte zur Erinnerung des toten liberalen Judentums in Hamburg umgestaltet werden. Das empfinden wir, als lebendige liberale Jüdinnen und Juden, als zynisch!“ heißt es dort.

Die Bedenken scheinen berechtigt: Auf taz-Anfrage antwortet Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), man wolle das Grundstück – unter Einbeziehung der Liberalen Jüdischen Gemeinde – so entwickeln, dass „auch ein würdiger Gedenkort für das Liberale Judentum in Hamburg entsteht“. Der Neubau eines Tempels sei allerdings nicht geplant. Im Übrigen liefen die Planungen zu Sanierung und Gestaltung des Gesamtareals noch. Man arbeite an einem Konzept. Auf der Homepage der Finanzbehörde steht allerdings sehr konkret, auf dem Grundstück solle auch „Wohnraum realisiert werden“.

Das schafft Unruhe in der Liberalen Jüdischen Gemeine. Man brauche keine Wohnungen, sondern eine Synagoge, sagen die einen. Jarkova wiederum kann sich „gut ein Nebeneinander von sakralem Raum, Begegnungsstätte und Ausstellungsraum vorstellen“.

Bedürfnisse der Gemeinde nicht ausblenden

Eine museale Teilnutzung des Poolstraßen-Areals würde auch Andreas Brämer, kommissarischer Leiter des Instituts für die Geschichte der Deutschen Juden, begrüßen. „Es könnte eine Dependance des Museums für Hamburgische Geschichte sein und die Entwicklung innerjüdischen Lebens präsentieren.“

Zuallererst brauche die Liberale Jüdische Gemeinde – unabhängig von ihrer Mitgliederzahl – aber einen eigenen, dauerhaft nutzbaren Raum für Gottesdienste „an einem Ort, an dem sie sich wohlfühlt“. Daher dürften weder Debatte noch Finanzierung bei der Bornplatz-Synagoge stehen bleiben, die Bedürfnisse der Liberalen Gemeinde nicht ausgeblendet werden.

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