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Im Überschwang des Nationalismus

Alexei Nawalny gilt derzeit als gefährlichster Gegner von Präsident Putin. Darüber wird oft übersehen, dass er sich früher rassistischer Argumente bediente

Immigranten müssten wie faule Zähne behandelt werden, war die Botschaft

Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Wir haben das Recht, Russen in Russland zu sein. Und dieses Recht werden wir auch verteidigen“, sagte Alexei Nawalny in einem Wahlspot 2007. Die ultra­nationalistische Bewegung Narod hatte das Video veröffentlicht. Dahinter verbirgt sich die Nationale Russische Befreiungsbewegung, die der Blogger damals mit Gleichgesinnten gründete.

Kurz vorher war er bei der sozialliberalen Partei Jabloko als Moskaus Vizechef ausgestiegen. Das erste Jahrzehnt der Herrschaft Wladimir Putins, die im Mai 2000 begann, war die Geburtsstunde eines überbordenden Nationalismus und Rassismus in Russland. Alexei Nawalny spielte in dem Video einen Zahnarzt, der sich an kariösen Zähnen seiner Klientel zu schaffen machte. Konflikte mit Ausländern und Faschismus könnten nur verhindert werden, wenn Immigranten wie faule Zähne behandelt würden, war die Botschaft.

2008 unterstützte er auch den Einmarsch der russischen Truppen in Georgien, die die Teilrepubliken Südossetien und Abchasien besetzten. Die Mehrheit der russischen Bevölkerung begrüßte damals die Aggression des Kreml. Moskau erweckte den Eindruck, es wolle die imperiale Tradition wiederbeleben.

In dieser Zeit nahm der Blogger Nawalny auch am jährlichen russischen Marsch der Nationalisten und Ultranationalisten in Moskau teil. Es waren die Jahre einer nationalen Wiedergeburt, die die Mehrheit der Russen erfasste, auch wenn sie meist symbolisch blieb. Wer sich dem Russischsein verschloss, lief Gefahr, ausgeschlossen zu werden.

Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gehörten in Russland zum Alltag. Wer politisch Erfolg haben wollte, konnte nationalistische Argumentationen nicht übergehen. Sie dominierten die Auseinandersetzungen von links bis rechts. Nawalny machte keine Ausnahme. Auch der Schachweltmeister Garry Kasparow versuchte nach 2005, mit den rotbraunen Nationalbolschewiken ein Bündnis zu schmieden. Man glaubte, erst nach einer Niederlage des Putin-Regimes könne man die Auseinandersetzung mit den Nationalisten aufnehmen.

Wie tief der Glaube an Russlands Überlegenheit saß, offenbarte sich auch noch 2013, als Nawalny für den Posten des Moskauer Bürgermeisters kandidierte und die illegale Migration zentralasiatischer Arbeitskräfte ins Zentrum rückte.

Der Oppositionelle stammt aus einer Familie von Militärs und wuchs in einer kleinen Garnisonsstadt auf. Diese Herkunft und Prägung hat Spuren hinterlassen. Als Moskau 2014 die Krim besetzte, sprach er sich dagegen aus. Er bezweifelte aber, die Annexion könne nach der Putin-Ära einfach rückgängig gemacht werden.

In den letzten Jahren gab er sich nicht mehr nationalistisch. 2020 entschuldigte er sich im Radio Echo Moskau für verletzende Kommentare zum russischen Georgienfeldzug 2008. Die Nähe zu den Radikalen des russischen Marsches will er heute auch als Versuch verstehen, die Anhänger vom Abrutschen in die Ultraradikalität abzuhalten.

Das Narod-Video von 2007 steht immer noch auf Youtube. Nawalny sagt, er habe es nicht gelöscht, „weil es ein historischer Fakt ist“. Stabschef Leonid Wolkow meint überdies, „Russland braucht heute Immigranten, aber solche, die Steuern bezahlen und eine Arbeitserlaubnis besitzen“. Narod sei deutlich nach links gerückt, sagt Wolkow. Einer der Vordenker sei heute Sergei Gurijew, Professor an der Sciences Po in Paris und bis 2019 Chefökonom der Europäischen Bank für Wiederaufbau in London.

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