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Hilfe für die Vergessenen

Um Menschen zu unterstützen, die während der Coronapandemie in Existenznot geraten sind, will die Linke-Fraktion Kredite umwidmen und Mieten für kleine Unternehmen mindern

Von Hagen Gersie

Zur Unterstützung der während der Coronapandemie in Existenznot geratenen Menschen reicht die Linke-Fraktion heute zwei Anträge in der Bürgerschaft ein. Vor allem Soloselbstständige, Ge­ring­ver­die­ne­r:in­nen und Klein­un­ter­neh­me­r:in­nen träfen die Auswirkungen der Pandemie besonders schwer, sagt die wirtschaftspolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Olga Fritzsche. Viele stünden, wenn sie es nicht bereits seien, kurz vor der Überschuldung.

Darum will die Linke mit einem der Anträge die Gelder des Fonds „Hamburg-Kredit Liquidität“ umwidmen. Dieser soll vor allem Kredite an kleine Unternehmen vergeben, um Insolvenzen während der Pandemie zu vermeiden. Von den 300 Millionen Euro des Fonds seien bis Dezember aber erst knapp sieben Millionen Euro bewilligt worden, moniert Fritzsche. Das zeige, dass die Hilfsprogramme nicht an der richtigen Stelle ansetzten. Fritzsche und ihre Fraktion wollen das Geld als Zuschuss verwenden, ohne dass daran Rückzahlungsforderungen geknüpft werden.

Helfen könnte das zum Beispiel Carla Riveros Eißmann, Inhaberin der Bar „Vier Drei Neun“ in der Nähe der Sternschanze. Sie habe erst vergangene Woche die zweite Hälfte der Novemberhilfen des Bundes erhalten. Und die Vermieterin ihrer Bar und ihres Büros – das städtische Wohnungsunternehmen Saga – sei ihr wenig entgegengekommen: Die Saga habe ihr für das Büro sogar die Miete erhöht.

Dabei seien ihre Einnahmen im Laufe der Pandemie um 80 Prozent zurückgegangen, das Kurzarbeitsgeld für ihre Mit­ar­bei­te­r:in­nen sei abgelehnt worden und nun habe sie auch noch Anwaltsschreiben von größeren Unternehmen vorliegen, mit denen sie vorher nie Probleme gehabt habe. Den Rest der Novemberhilfen habe sie jetzt an die Saga überwiesen, um ihre Schulden zu tilgen. Wie es weitergehe, wisse sie noch nicht.

Niels Boeing vom Barkombinat, einer Interessenvertretung von 59 Bars und Kneipen, darunter auch Eißmanns Bar „Vier Drei Neun“, berichtet, dass 87 Prozent der Kombinats-Mitglieder keinen Mieterlass erhalten hätten. Auch hätten knapp die Hälfte der Bars und Kneipen Hartz IV beantragen müssen. Denn aktuell kann man beim Beantragen der Hilfeleistungen bei der Fixkostenauflistung keinen Un­ter­neh­me­r:in­nen­lohn anführen. Dadurch seien viele Un­ter­neh­me­r:in­nen auf Hartz IV angewiesen. Auch die Anrechnung des Un­ter­neh­me­r:in­nen­lohns soll möglich sein, fordert darum die Linke-Fraktion in ihrem Antrag, damit Hartz IV der letzte Weg sei und nicht der Normalfall.

Gemeinsam mit einem Antrag zum Mietenschnitt, den bereits ein Ausschuss diskutiert, sollen so die zwei größten Probleme für kleine Unternehmen angegangen werden, sagt Fritzsche. Der Mietenschnitt-Antrag sieht Mietminderungen von 30 bis 50 Prozent bei den kleinen Betrieben vor, die alle oder fast alle Einnahmen derzeit einbüßen.

Mehr Grundsicherung

Am härtesten von der Krise betroffen sind Geringverdienende im Niedriglohnsektor

Nicht nur die Klein­un­ter­neh­me­r:in­nen sind aber derzeit in Not, sondern vor allem auch Geringverdienende im Niedriglohnsektor. Oliver Riek, Barkeeper und Blogger, geht „die Perspektivlosigkeit an die Nieren“: „60 oder 80 Prozent von wenig ist nichts“, sagt er zur Problematik des Kurzarbeitsgeldes für Geringverdienende. Er verstehe nicht, wie Unternehmen, die in Deutschland zum Teil nicht mal Steuern zahlten, Hilfen erhalten würden, Geringverdienende aber vergessen würden.

David Stoop, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linke-Fraktion, stimmt ihm zu: „Die, die am härtesten von der Krise betroffen sind, sind diejenigen, die im Niedriglohnbereich tätig sind.“ Deshalb reicht seine Fraktion einen weiteren Antrag in der Bürgerschaft ein, der für alle Personen, die Hartz IV beziehen, Grundsicherung erhalten oder weniger als den Mindestlohn verdienen, 150 Euro monatlich zusätzlich fordert.

Zudem soll ein Mindestkurzarbeitsgeld von 1.200 Euro festgelegt werden, damit niemandem wegen der Pandemie Mietschulden entstehen würden. Dadurch könne auch die Konjunktur angekurbelt werden, fügt Olga Fritzsche hinzu.

Für Oliver Riek ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Carla Eißmann braucht jedoch mehr: Ihre Mit­ar­bei­te­r:in­nen sind weg, sie weiß nicht, wann sie wieder öffnen kann und Partnerunternehmen müssten auch schon Stellen streichen. Sie fragt sich, warum sie nicht als systemrelevant gilt. Immerhin sei ihre Bar über 30 Jahre gewachsen, daran hingen Jobs und Partnerunternehmen. Sie wünscht sich darum, „dass Systemrelevanz noch mal anders betrachtet wird“.

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