Grüner Pass bringt Freiheiten

Israel lockert seit Sonntag den Lockdown. Der Impfstoff zeitigt Wirkung. Geimpfte dürfen sogar wieder ins Fitnessstudio oder ins Schwimmbad. Das soll die restliche Bevölkerung motivieren

Wieder möglich: schnorcheln im Schwimmbad Foto: Fo­to: Ro­nen Zvulun/reuters

Aus Tel Aviv Judith Poppe

„Ich bin aufgeregt, weil die Habima ihre Türen wieder öffnen darf, aber ein Theater in Coronazeiten wieder zu eröffnen ist etwas anderes, als einen Laden oder ein ­Fitnesscenter aufzumachen“, sagt Noam Semel, Direktor des israelischen Natio­nal­theaters Habima. Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie finden wieder Proben statt. Ein Angestellter einer Hightechfirma bringt einen Gesichtsscanner am Eingang des Theatergebäudes an. Er soll die Kontrolle der Grünen Pässe erleichtern, wenn es so weit ist: „Wir hoffen dass die ersten Aufführungen in drei, vier Wochen stattfinden“, so Semel.

Kehren geimpfte Israelis seit Sonntag mit der Öffnung von großen Teilen des Landes zu ihrem normalen Leben zurück? So sieht es zumindest Gesundheitsminister Juli Edelstein, der am Freitag der Presse den Grünen Pass mit seinem Barcode und den Daten für die erste und zweite Impfung präsentierte. Ab Sonntag gilt der Pass, der Geimpften Privilegien ermöglicht. Mit ihm soll das Land aus einem nahezu zweimonatigen Lockdown auf sichere Weise herausgeführt werden.

Wer eine Corona-Infektion hinter sich hat oder vor mehr als einer Woche die zweite Spritze des Impfstoffs von Pfizer/Biontech erhalten hat, kann ab jetzt Fitnessstudios und Konzerte besuchen, in Hotels übernachten und ins Schwimmbad gehen. Kultur- und Sportevents dürfen von bis zu 300 In­ha­be­r*in­nen eines Grünen Passes besucht werden, im Freien dürfen es sogar 500 Personen sein. Außerdem können alle, ob geimpft oder nicht, seit Sonntag wieder in Geschäften und auf Märkten einkaufen. Schulen werden für die Klassen 5, 6, 11 und 12 in Gegenden mit niedriger Infektionsrate geöffnet. Seit Freitag sind bereits die Gebetshäuser geöffnet. Geschlossen bleibt allerdings noch der Flughafen – bis auf wenige Ausnahmen – bis zum 6. März, aus Angst vor dem Import von mutierten Viren.

Es ist eine schnelle Öffnung angesichts der täglich rund 4.000 ­Coronaneuinfektionen. Doch Ronni Gamzu, früherer Coronabeauftragter und Leiter der Ichilov-Klinik in Tel Aviv, hält die schnelle Öffnung für vertretbar. Denn Israels Strategie zeitige Wirkung: Mit Abstand führt Israel nach wie vor die Länder mit den höchsten Impfzahlen an. 4,2 Millionen Israelis wurden bisher geimpft, etwas mehr als 45 Prozent der Bevölkerung. Mehr als 2,8 Millionen haben ihre zweite Spritze erhalten.

Eine Studie des Gesundheitsministeriums, die am Samstagabend veröffentlicht wurde, ermittelte, dass eine Woche nach der zweiten Spritze mit Biontech/Pfizer schwere Erkrankungen zu 96,4 Prozent verhindert werden, zwei Wochen danach steigt der Schutz vor schweren Erkrankungen sogar auf 99,2 Prozent. Vor Krankenhauseinlieferungen schützt die Impfung eine Woche nach der zweiten Spritze zu 95,6 Prozent, zwei Wochen danach sogar zu 98,9 Prozent. Todesfälle können eine Woche nach der zweiten Spritze zu 94,5 Prozent verhindert werden, nach zwei Wochen zu 98,9 Prozent.

Auch im Ichilov-Krankenhaus werde der Impferfolg laut Gamzu sichtbar. Zwei von sechs Corona­stationen konnten in den vergangenen zwei Wochen geschlossen werden. 95 Prozent aller Neueinlieferungen seien Patient*innen, die bisher nicht geimpft wurden. Allerdings sieht Gamzu angesichts der hohen Infektionszahlen und Impfungen auch die Gefahr, dass sich eine spezifisch israelische Mutation herausbilden könnte, die den Impfschutz umgeht. Auch dafür sei es wichtig, so viele Erreger wie möglich zu sequenzieren.

Eine offene Frage ist zudem, welche Folgen die Öffnung des Landes für Kinder unter 16 Jahren haben wird. In Israel werden Jugendliche ab 16 Jahren geimpft, doch Kinder scheinen für die in Israel stark verbreitete britische Variante anfälliger als für frühere Formen des Coronavirus zu sein.

Kultur- und Sportevents dürfen von bis zu 300 In­ha­be­r*in­nen eines Grünen Passes besucht werden, im Freien dürfen es sogar 500 Personen sein

Während in Deutschland die Diskussion, ob Privilegien für Geimpfte ethisch vertretbar sind, hitzig geführt wird, spielt diese Frage in Israel eine untergeordnete Rolle. „Jeder kann hier geimpft werden“, so Gamzu: „Die Privilegien sollen nur für einen begrenzten Zeitraum gelten, für die Zeit, in der wir das Land jetzt schnell öffnen und gleichzeitig Sicherheit bieten wollen.“

Doch die Privilegien sollen wohl auch die jüngere, weniger impfbereite Bevölkerung ermutigen, sich impfen zu lassen. So werden in Pop-up-Impfstationen schon mal Gebäck oder Pizza zur ersten Spritze angeboten.

Von einem offiziellen Impfzwang sieht die Regierung ab. Allerdings werden sich möglicherweise künftig alle nicht geimpften Beschäftigten entweder impfen oder alle 48 Stunden testen lassen müssen, um zu ihrem Arbeitsplatz gehen zu dürfen. Gesundheitsminister Edelstein kündigte außerdem an, dass Fäl­sche­r*in­nen im Gefängnis landen könnten. Denn laut dem israelischen Fernsehsender Channel 12 floriere bereits ein Schwarzmarkt für gefälschte Impfausweise, die bisher leicht herzustellen seien.

Auf Anfrage der israelischen Tageszeitung Haaretz kommentierte das Gesundheitsministerium, dass das derzeitige Format der Ausweise in Zukunft in Zusammenarbeit mit anderen Ländern und der Weltgesundheitsorganisation durch ein international gültiges System abgelöst werden soll.