Ein Jahr Corona in Berlin: Ohne Musik ist alles nur grau

Nach einem Jahr Corona hofft die Kulturszene auf rasche Wiederöffnungen. Trotz Hilfsprogrammen stehen viele Mu­si­ke­r*in­nen mit dem Rücken zur Wand.

Blick in den Publikumsraum im Berliner Ensemble: viele Sitze wurden entfernt wegen Corona

Platz geschaffen für Coronahygiene ist schon: Blick in den Publikumsraum im Berliner Ensemble Foto: dpa

BERLIN taz | Es fehlt etwas, und das ist bei Weitem nicht nur Geld. Fast ein Jahr ist es nun her, dass die ersten Veranstaltungen in Berlin coronabedingt abgesagt wurden – rückblickend fühlen sich die kulturarmen zwölf Monate für viele Kulturschaffende so an, als mangele es an Elementarem, als sei ihnen ein Lebensnerv gezogen.

„Ich stelle fest, wie schnell ich es vermisse, mit anderen Musikern zusammenzuspielen und auf der Bühne zu stehen“, sagt etwa Dorian Wetzel, der in vielen verschiedenen Ensembles Bratsche spielt. „So wenig aufgetreten wie in den letzten Monaten bin ich seit meinen Jugendtagen nicht. Musikmachen ist ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens, seit ich denken kann. Schon als Kind habe ich in Jugendorchestern gespielt und Konzerte gegeben“, sagt der 34-Jährige nach vier Monaten des neuerlichen Lockdowns.

Auch für Dora Osterloh, Sängerin in verschiedenen Jazz- und Improv-Combos und Mitglied des KIM Collective, sind es ganz basale Dinge, die fehlen: „Es ist innerhalb dieses Jahres sehr viel Kommunikation verloren gegangen. Gerade für Improvisationsmusikerinnen und -musiker bedeutet das Zusammenspiel alles, wir leben von Gigs und vom Austausch mit dem Publikum“, sagt die Vokalistin. Dieser Improvisationsgeist, aber auch die Zähigkeit und Widerstandsfähigkeit seien der freien experimentellen Szene immerhin in der Coronazeit zugutegekommen, glaubt sie.

21 Berliner Kulturinstitutionen haben sich am Freitag in einem offenen Brief an die Bundes- und Landespolitik gewandt. Die Musikdirektoren und In­ten­dan­t:in­nen der Einrichtungen, darunter die Berliner Philharmoniker, das Berliner Ensemble, das Maxim Gorki Theater und die Volksbühne, fordern in dem Brief, dass „die von uns geleiteten Institutionen zum nächstmöglichen Zeitpunkt, auf jeden Fall aber in Gleichklang mit dem Einzelhandel zu öffnen“. Es ist der bislang deutlichste Appell, die Kultur in der Frage der Öffnungen nicht weiter nachrangig zu behandeln.

Das Virus Natürlich hat man sich hier bereits davor mit der neuen Erkrankung beschäftigt, am 1. März 2020 aber wurde auch in Berlin der erste Fall einer Infektion mit dem Coronavirus bestätigt. Der erste Lockdown folgte schnell: Am 17. März wurden die Schulen und Clubs geschlossen, am 23. März folgten fast alle Geschäfte.

In Serie Seit einem Jahr hält uns ein Virus, das einem längst erschreckend vertraut erscheint, in Atem. Was macht das mit Berlin und seinen BewohnerInnen? In einer loser Folge wollen wir der Frage mit den ersten Bilanzen nachgehen, nach dem Blick auf die soziale Distanz und den Kulturbetrieb folgt die Gewaltfrage.

Die Frage, wo der Berliner Musikbetrieb nach einem Jahr Corona steht, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es hängt stark davon ab, in welchen Bereich und auf welche Personengruppe man blickt. Ökonomisch etwa sind jene, die in den subventionierten Institutionen arbeiten, naturgemäß am wenigsten betroffen, jene in der Privatwirtschaft und die vielen Freiberuflerinnen und -berufler am meisten.

Soforthilfe verlängert

Die ausübenden Musikerinnen und Musiker haben von den Hilfsmaßnahmen des Bundes und des Landes nur in Teilen profitiert. Bei einer Umfrage des Landesmusikrats in dieser Personengruppe im Januar kam heraus, dass fast ein Drittel (29 Prozent) keine Zukunft mehr in der Musik sieht; knapp die Hälfte gab an, finanzielle Unterstützung zu benötigen.

Ein Großteil der Befragten hat dennoch davon abgesehen, überhaupt staatliche Mittel zu beantragen. Die Gründe: unklare Regularien, Angst vor einer Rückzahlung, zu hohe Nebeneinkünfte. Hört man sich unter Künstlerinnen um, haben indes viele die erste Soforthilfe des Senats als sehr hilfreich empfunden, ebenso wie das seit Sommer laufende Programm des Bundes, „Neustart Kultur“. Diese Woche hat Kultursenator Klaus Lederer (Linke) ein weiteres Programm, eine „Wieder-Anfahr-Hilfe“ für die Kultur, angekündigt.

Dora Osterloh, Jazz-Sängerin

„Wir sind an einem Punkt, wo vieles weiterhin total ungewiss ist“

Auch die Soforthilfe IV für Kultur- und Medienbetriebe ist bis Juni verlängert worden. Von ihr hatten 2020 bereits 37 Clubs und Konzertreihen profitiert. Ende 2020 hatte die Clubcommission, Dachverband der Berliner Clubkultur, mitgeteilt, dass bislang „kein einziger Club in Berlin sein Geschäft aufgrund der Pandemie aufgeben musste“.

Bis Juni 2021 seien die Musikstätten abgesichert, sagte Clubcommission-Vorständin Pamela Schobeß zuletzt. Was danach ist – unklar.

Schobeß rechnet damit, dass ein völlig normales Cluberlebnis erst Ende 2022 wieder möglich sein wird. Auch von den vielen kleinen Off-Spaces und Orten für Experimentalmusik (die in der Regel nicht von der Clubcommission vertreten werden) musste bislang keiner schließen, zumindest ist nichts bekannt. Eine Anfrage der taz unter den kleinen Veranstaltern und Clubs ergab bis dato ebenfalls keine positiven Coronak.o.-Befunde.

Bei den Musikerinnen und Musikern ist unterdessen Flexibilität gefragt. So auch bei Dorian Wetzel. Wetzel hat mit dem Berolina Ensemble, in dem er Bratsche spielt, bereits viele Klassikpreise erhalten, darunter zweimal den ECHO Klassik. Er hat sich durch das Jahr „gewurstelt“, wie er im Videochat sagt – die Soforthilfe habe ihm durch den ersten Lockdown geholfen, und im Sommer 2020 habe sich die Situation dann ja etwas normalisiert. Da konnte er mit dem Ensemble Kavka bei den Uckermärkischen Musikwochen auftreten, es gab weitere Auftritte im Herbst.

Gemischte Bilanz der Hilfsmaßnahmen

Seine Bilanz bezüglich der Hilfsmaßnahmen fällt gemischt aus: „Ich hatte ja zum Glück noch Einnahmen. Aber den Freiberuflern, denen die Einnahmen völlig wegfielen, hat man vonseiten der Bundespolitik signalisiert, dass für sie nichts anderes bleibt, als Hartz IV zu beantragen. Das hat sich für viele sicherlich schlecht angefühlt; so, als würden sie aufs Abstellgleis gestellt.“

In der erzwungenen Pause sieht Wetzel aber auch eine Gelegenheit für den Klassikbetrieb, sich für die Zukunft neu aufzustellen, zum Beispiel in Hinblick auf Förderprogramme und Stipendien, die es zu überdenken gelte. Auch die veränderte Konzertlandschaft könne Umdenkprozesse in Gang setzen: „Ich fand es positiv, dass das Regionale nun wieder eine größere Rolle gespielt hat. Eigentlich ist der Konzertbetrieb in der Klassik ja sehr international ausgerichtet, da kommen das Lokale und Regionale manchmal zu kurz.“

Nicht zuletzt sei die Coronazäsur eine Möglichkeit, darüber zu sinnieren, wie man auch jüngere Generationen für klassische Musik begeistern könne. Wetzel arbeitet derzeit übrigens – wie viele andere, die eigentlich im Kulturbereich tätig sind – im Impfzentrum. Bis Ende April läuft sein Vertrag, danach erhält er das Stipendium „Neustart Kultur Klassik“.

Sängerin Sarah Krispin

„Uns bieten sich keine Perspektiven, es liegen noch immer keine Konzepte vor, wie der Konzertbetrieb zu gegebenem Zeitpunkt wieder losgehen kann.“

Für viele seiner Kolleginnen und Kollegen ist die Not aber weiter groß, das stellt man auch im Gespräch mit der freischaffenden Sängerin Sarah Krispin fest. Krispin hat acht Jahre als Selbstständige problemlos von der Musik gelebt, sie singt in Rundfunkchören und engagiert sich im Landesmusikrat. „Es mangelt an tragfähigen politischen Strategien, mit denen all jene Mu­si­ke­r*in­nen finanziell aufgefangen werden, die seit einem Jahr massiv unter der Schließung des gesamten Konzertbetriebs leiden“, sagt die 35-Jährige. „Uns bieten sich keine Perspektiven, es liegen noch immer keine Konzepte vor, wie der Konzertbetrieb zu gegebenem Zeitpunkt anhand der gewonnenen Erkenntnisse aus diversen Studien schrittweise wieder losgehen kann.“

Hella Dunger-Löper, Präsidentin des Landesmusikrats, hält zudem das Stück- und Flickwerk der Fördermaßnahmen für völlig unzureichend. „Wir haben gesehen, dass die bisherigen Hilfsprogramme für diese Gruppe nicht angemessen sind. Wir müssen deshalb andere Lösungen finden.“ Den fiktiven Unternehmerlohn hält sie für einen „gangbaren Weg“.

Die Grünen hatten dieses Modell, das einem bedingungslosen Grundeinkommen für Soloselbstständige gleichkommt, auf Bundesebene ins Spiel gebracht. Man könnte meinen, angesichts all des bürokratischen und logistischen Aufwands, den die Überbrückungshilfen I–III und die immer neu geschnürten Hilfspakete bedeuten, wäre es auch kostengünstiger gewesen, hätte man den fiktiven Unternehmerlohn schon in der Frühphase der Pandemie flächendeckend eingeführt. Nervenschonender wäre es allemal gewesen.

Spezifische Zahlen für das Land Berlin, was die Umsatzverluste der Musik- und Kulturwirtschaft in der Coronakrise betrifft, gibt es im Übrigen nicht. Die Märkte dürften aber ähnlich geschrumpft sein wie bundesweit. Dort gab es im Bereich der Musikwirtschaft ein Umsatzminus von 59 Prozent (bei den darstellenden Künsten minus 69 Prozent, auf dem Kunstmarkt minus 61 Prozent).

Kultur wieder hintenan

Fördermodelle, neue Formate und Öffnungsstrategien beschäftigen derzeit also den Berliner Musikbetrieb in erster Linie – denn es ist immer noch unklar, wie es weitergeht. „Wir sind an einem Punkt, wo vieles weiterhin total ungewiss ist“, sagt Jazzmusikerin Osterloh. „Dass die Geschäfte immer die ersten sind, die wieder öffnen können, und die Kultureinrichtungen trotz ausgeklügelter Hygienekonzepte ganz hintenanstehen, sollte man aber infrage stellen und kritisieren.“ Sie ist aber immerhin vorsichtig zuversichtlich in Hinblick auf die kommenden Monate: „Die Hoffnung stirbt ja tatsächlich immer zuletzt, und das ist auch gut so.“

Ein Hoffnungsschimmer für die vielen kulturaffinen Menschen der Stadt dürfte es sein, dass eine Allianz aus Kultur und Sport Anfang der Woche ein Konzept zur Wiederaufnahme des Veranstaltungsbetriebs vorgestellt hat. Mithilfe kombinierter Hygiene-, Lüftungs- und Infektionsschutzmaßnahmen (plus eventueller Schnelltests) will man zwischen 25 und 30 Prozent Auslastung in geschlossenen Räumen und bis zu 40 Prozent bei Freiluftveranstaltungen möglich machen. Der große Vorteil dieses Konzepts: Es ist nahezu universell an vielen Veranstaltungsorten einsetzbar.

Ein Mutmacher dafür, dass auch in dieser Stadt bald das Leben zurückkehren könnte, ist dies allemal.

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