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Wachsen und Wuchern

Die Ausstellung „Nominees“ präsentiert im Kunsthaus Be­wer­be­r*in­nen um die Hamburger Arbeitsstipendien für Bildende Kunst. Allerdings ohne Publikum

Von Falk Schreiber

Unter „Vergeilung“ versteht man den Prozess, bei dem eine Pflanze angeregt wird, schnell und hoch in Richtung einer Lichtquelle zu wachsen. Bei Clara Lena Langenbachs Skulptur „Spross“ (2020) ist diese Vergeilung ein in die Höhe wachsender Ast, aus dessen Rinde künstliche Fingernägel zu wachsen scheinen, umgangssprachlich als „Pornoschaufeln“ bezeichnete erotische Zeichen. „Spross“ ist im Kunsthaus Hamburg ausgestellt als Teil der Installation „It’s funny ’cause it’s true“, der Titel verweist auf den Zugriff, den Langenbach für ihre Skulpturen verwendet: einen mehrfach um die Ecke gedachten Humor, der selbst im Begriff „Vergeilung“ ein teenagerhaftes Grinsen entdeckt.

„Es ist lustig, weil es wahr ist.“ Weniger lustig sind die Umstände, unter denen Langenbachs Arbeit zu sehen ist: Zwar werden die „Nominees“, die 21 Be­wer­be­r*in­nen für zehn Arbeitsstipendien für Bildende Kunst der Freien und Hansestadt Hamburg, im Kunsthaus präsentiert, wegen der Coronapandemie aber ist die Ausstellung zunächst nicht öffentlich zugänglich. Und wahrscheinlich dürfte sich das bis zum Ausstellungsende nicht ändern: Die Schau ist nur bis 21. Februar geplant, auch mit einer möglichen kurzen Laufzeitverlängerung ließe sich der Coronalockdown wohl nicht umgehen.

Dennoch wurde die Präsentation aufgebaut, es wird einen digitalen Rundgang geben, das Kunsthaus-Team versucht, die Heterogenität der gezeigten Positionen in den sozialen Medien abzubilden. Und kann die Vielfalt der unterschiedlichen Künst­le­r*in­nen doch nur ansatzweise beschreiben.

Denn was für eine Qualität sich hier versammelt, zeigt nicht zuletzt der Blick in die Halle, auf Simon Hehemanns Installation „Windy Room“ (2020) etwa, ein Ensemble aus Ventilatoren, Fahrradschläuchen und industriellem Material, das leise vor sich hinbrummt und den Saal mit frischer Luft versorgt. Oder auf Lulu MacDonalds „There and There“ (2021), ein zweiflügeliges, schmiedeeisernes Tor im Eingangsbereich des Kunstvereins, dessen Öffnung ein sich umarmendes Paar zerreißt.

Grundsätzlich lässt sich eine Tendenz aus dem diesjährigen „Nominees“-Jahrgang herauslesen: er bedient mit großer handwerklicher Fertigkeit Konvention, mit einem kaum merklichen Dreh ins Humorvolle. Langenbachs Herrenmagazin-Witz der „Vergeilung“ in einem mehr oder weniger klassischen Verständnis von Bildhauerei, MacDonalds Übernahme von Art-Déco-Strategien mit einer Liebesmetaphorik, die wegen der absoluten Aufrichtigkeit der Arbeit nicht in den Kitsch kippt.

Die diesjährigen „Nominees“ bedienen mit großer handwerklicher Fertigkeit Konvention, mit einem kaum merklichen Dreh ins Humorvolle

Oder Yoojin Changs Installation „Agosian gallery booth“ (2020), die den Messestand einer fiktiven Galerie nachbaut, inklusive mehrerer Fake-Künstler*innen, und so den Kunstmarkt in einer ironischen Inszenierung als Zweig der Einrichtungsbranche karikiert.

Jáno Möckel derweil beflockt für „no fear of sleep“ (2020) Artefakte aus dem Bereich Schulden/Kredite mit Textilhäuten: Computer, ungeöffnete Rechnungen, Stifte werden hier zu kuscheligen Objekten, deren Bedrohlichkeit dabei immer durchschimmert. Das ist als Kritik keine wirklich neue Erkenntnis, durch die Genauigkeit des Arrangements gewinnt es allerdings eine ganz eigene Qualität.

Wo allerdings diese Genauigkeit fehlt, wo sich Künst­le­r*in­nen auf die Bedeutungsschwere der eigenen Biografie verlassen, stehen die Projekte etwas unverbunden im Raum: Korab Visokas Film- und Fotoarbeiten etwa sind für sich genommen zwar eine interessante Annäherung an das, was der Künstler als „Balkansphäre“ beschreibt, im Zusammenspiel mit den übrigen „Nominees“ ist die zweite Ebene aber in den Hintergrund gerückt, in die kleinformatigen Plattenbaufotografien „Cuxhoben“ (2020) etwa.

Und Serena Ferrarios Installation „Spiaggia Libera“ (2021) ist vor allem eine grenzenlose Sinnesüberflutung zwischen Deutschland, Rumänien und Italien, zwischen Film, Zeichen und Alltagsobjekten, die in ihrer Vielstimmigkeit ein wenig überdeckt, dass es hier um nicht viel mehr geht als um eine klassische Migrationsbiografie. Immerhin, wie Ferrario ein Kabinett als Höhle des eigenen Unterbewussten inszeniert, ist hübsch.

Ohnehin werden die Kabinette des Kunsthauses interessant genutzt. Von Torben Wessel („fluid leaves“, 2019) und Emma Wilson („Sissy and Lyle“, 2019), die sich einen Raum teilen, für Videoarbeiten, die reizvoll zwischen Digitalität und organischer Körperlichkeit schillern. Oder von Marvin A. Dosal, der einen im Kunsthaus meist übersehenen Seitenraum bespielt. Und zwar mit der Installation „Body“ (2020), der Skulptur „Reactive Thoughts“ (2020) und dem Video „Boy“ (2021), Arbeiten, die für sich genommen unspektakulär wirken, gemeinsam aber eine queere Kraft gewinnen. Auch hier wieder: Konvention, die durch die Präsentation eine ganz neue Ebene eröffnet.

Auch Simon Reumanns titellose Malerei (2015–20) ist auf den ersten Blick nicht weltbewegend, beunruhigt allerdings durch die Hängung zwischen an Coronaschutz erinnernde Plexisglaswände. Zumal unter diesen Wänden etwas Grünes, Organisches zu wuchern scheint. Immer wieder macht sich das Material selbstständig, in Gesa Trochs Haarskulpturen „Banner“ (2020), die nach und nach über ihre Form hinauswachsen.

In Laura Franzmanns Wandobjekten „How to have wings“ (2020), in denen eine Figur langsam vom Säugetier zum Vogel mutiert. Oder in Elisabeth Mochs „When shall we three meet again?“ (2021), einer Installation, in der Glasfaser-Objekten Flachsgarn, Rote-Beete-Blätter und Kartoffelsäcke entgegenwuchern: Dem männlich-technisch konnotierten Material steht Weiblichkeit entgegen und zitiert Shakespeares „Macbeth“-Hexen.

Zurück zur „Vergeilung“: Auch David Reiber Otálora arbeitet für „Ohne Titel (Krücken für Yuccas)“ (2020) mit nach oben strebenden Pflanzen. Die allerdings durch ihre Bewegung in Richtung Licht an Stabilität verlieren und gestützt werden müssen. Das Wachsen und Wuchern hat einen Zug ins Selbstzerstörerische, bei allem Humor, bei aller technischen Finesse, bei aller Vielschichtigkeit.

„Nominees“: Bis 21. 2., Kunsthaus Hamburg, aktuell für das Publikum nicht zugänglich, www.kunsthaushamburg.de

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