piwik no script img

Komm’se raus, könn’se reingucken

Alle zwei Wochen ein neuer Kunst-Lichtschein in der Lockdown-Trübnis: Das Hamburger Westwerk zeigt in der Reihe „Coronavision II“ Ausstellungen im Fenster

Von Falk Schreiber

Die Admiralitätsstraße in der Hamburger Neustadt ist still. Die Kunstbuchhandlungen: geschlossen. Die Galerien: geschlossen. Die Gastronomie: bietet nur Take-away an. Am Theater Fleetstreet hängt ein Zettel, „Ladenlokal zu verschenken“, eine konzeptkünstlerische Aktion, bei der die Kunst hinter dem Konzept zu verschwinden scheint. Einzig aus dem Off-Space Westwerk dringt ein Lichtschein in die Lockdown-Trübnis: Kunst!

Für die Hamburger Kunstszene ist das Westwerk eine Legende, gegründet in den Achtzigern, als sich die Fleetinsel in eine hybride Mischung aus Kunst, Off-Kultur und durchkommerzialisierter Touristenarchitektur transformierte. Heute bezeichnet sich der Raum gleichzeitig als Klub, Galerie und Künstlergruppe, verdienstvoll und zugleich am Rand des hansestädtischen Kunstmainstreams.

Vor allem aber: Das Westwerk ist aktiv, trotz Corona. In das hölzerne Hallentor wurde schon im ersten Lockdown vergangenen Frühsommer ein Fenster eingelassen, und in diesem Fenster konnte man Kunst schauen. „Coronavision“ nannten die Be­trei­be­r*in­nen das, präsentiert wurden Arbeiten von unter anderem Bertolt Hering, Kerstin Behrendt, Matthew Partridge. Kunst am Kunstort, aber gleichzeitig auch Kunst im öffentlichen Raum: Das Werk selbst blieb in der abgeschlossenen Ausstellungshalle, aber die Rezeption fand auf der Straße statt.

Seit November ist das Kulturleben zum zweiten Mal runtergefahren, und das Westwerk hat „Coronavision“ neu aufgelegt – aus der Not heraus. Eigentlich hätte die dänische Künstlerin Signe Boe im Frühwinter ihre Ausstellung „When letters were made from fire“ am Haus zeigen sollen, das Ergebnis ihrer Residency als Kulturbehörden-Stipendiatin für Internationalen Kulturaustausch. Musste natürlich abgesagt werden. Aber Boes Videoinstallation „Bad Girl Maria“ konnte ins Fenster wandern, wenigstens war so nicht alles verloren. Seither ist die Straßenfront wieder bespielt, alle ein, zwei Wochen ist ein*e neu­e*r Künst­le­r*in im Schaufenster zu sehen.

Weit übers Bild hinter Glas hinaus

Zuletzt: Simone Lietzkows Gemälde „Rosa“, ein großformatiger, naturalistischer Akt, der einen fleischigen, schweren Frauenkörper zeigt. Im Anschluss Gideon Pirx’ Ölgemälde „Porträt eines Affen“, ein trauriges, beunruhigendes Bild, in dem ein nicht genau erkennbares Wesen im Dickicht hockt und furchtsam in Richtung Vollmond äugt. Und aktuell Hartmut Gerbschs Fotoinstallation „Negativ ist das neue positiv“, rund 1.000 Aufnahmen, die abwechselnd an die Wände projiziert werden. Ab der Monatsmitte folgt dann noch die „Swimming Symphony“ der Videokünstlerin Josephin Böttger und dem Musik­ensemble The Heffels.

Ist „Coronavision II“ eine Ausstellung? Nicht wirklich, es ist die kurzzeitige Präsentation einzelner Kunstwerke, die dadurch Ausstellungscharakter bekommt, weil echte, großformatiger angelegte Schauen derzeit nicht stattfinden. Und es ist ein Ausgreifen der Kunst, hinaus aus dem White Cube, rein in den Stadtraum, auch wenn das aktuell ein weitgehend verlassener Stadtraum ist, „Geisterstadt“ nennen die Westwerk-Macher*innen das. Und die Präsentationsform ist dabei eine verhältnismäßig konventionelle: Man steht vor einem Fenster und blickt auf die innen sichtbare Kunst, „Gehn’se raus, könn’se reingucken“, als Abwandlung eines Berliner Schnodderspruchs. Auf den ersten Blick.

Denn was „Coronavision“ eben auch ist: eine durchdachte Inszenierung von Kunst, die weit über die Präsentation „Bild hinter Glas“ hinausgeht. Litzkows „Rosa“ ist hier eben nicht nur ein beeindruckendes Gemälde, ­Acryl und Pigment auf Leinwand, ein Meter auf 80 Zentimeter, das unseren Blick auf den nackten Körper nachhaltig zu verstören in der Lage ist, die Aufstellung im Westwerk ist eine Bühne für Vorstellungswelten, die bestimmte Images abruft. Ein Läufer, ein Barhocker, ein paar Manschettenhandschuhe sind im Vordergrund drapiert, und nur weil der Blick darauf konditioniert ist, das Gemälde wahrzunehmen, verschwinden diese ins Unterbewusstsein.

Aber sie sind zentral für die Wahrnehmung, die hier ein erotisches Kabinett aufmacht. „Coronabedingtes Guckkastenfenster und Sujet existieren hier in schönster voyeuristischer Symbiose, die anderswo in der Stadt – in ganz anderen Zusammenhängen – schon lange Tradition hat“, beschreibt Litzkow die Kunst­inszenierung. Das ist vielleicht ein bisschen zu eindeutig, aber es zeigt, wo sie mit einem Werk hin möchte, das hier mehr Bildinstallation ist als Gemälde.

So klar wie hier ist die Kontextualisierung der einzelnen „Coronavision“-Beiträge ansonsten nicht, aber jetzt ist man sensibilisiert: Wichtig an der Reihe ist weniger, dass man Kunst sieht, wichtig ist, wie die Kunst arrangiert ist, innerhalb der Pandemieeinschränkungen. Und das schärft den Blick weiter, auf eine Kunst, die man nach dem Lockdown womöglich mit neuen Augen sieht.

Hartmut Gerbsch: „Negativ ist das neue positiv“: bis Mi, 10.  2.; „A Swimming Symphony“: eine audiovisuelle Kooperation zwischen The Heffels und Josephin Böttger, von Do, 11. 2., bis Sa, 20. 2.;

Hamburg, Westwerk, Admiralitätstraße 74

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen