Verordnete Laizität per Gesetz

Aus Paris Rudolf Balmer

Die Gesetzesvorlage, die derzeit von den französischen Abgeordneten in der Nationalversammlung debattiert wird, ist ein politisches Mehrzweckobjekt. Gemäß dem offiziellen Titel soll dieses Paket an Artikeln „die Republik“ und insbesondere ihre Laizität „stärken“. Staatspräsident Emmanuel Macron nannte im Oktober 2020 in einer Grundsatzrede im Vorort Les Mureaux die von ihm ausgemachte Gefahr für den Zusammenhalt der Nation beim Namen: „Wir müssen den islamistischen Separatismus anpacken.“

Sein Ausgangspunkt ist die terroristische Bedrohung durch radikalisierte Islamisten. Noch unter dem Schock der Ermordung des Lehrers Samuel Paty, der zuvor auf Netzwerken mit vollem Namen angeprangert und bedroht worden war, soll es ein eigenes Delikt werden, wenn Ver­tre­te­r:in­nen des öffentlichen Dienstes in dieser Weise im Internet attackiert werden. Aus Sicht der Staatsführung besteht zudem das noch größere Risiko des „communautarisme“. Darunter sollen separatistische Bestrebungen von religiösen Gemeinschaften verstanden werden, die ihren Glaubensgeboten einen Vorrang vor den Gesetzen der Republik geben und ihre Anhänger so vom Rest der Gesellschaft isolieren.

Einer der zahlreichen Vorschläge in der Gesetzesvorlage geht daher in die Richtung, den obligatorischen Schulbesuch aller Kinder zu bekräftigen und den Unterricht in der Familie nur auf Ausnahmefälle zu reduzieren. In anderen Artikeln des Laizitätsgesetzes soll der Einfluss ausländischer Geldgeber, die den Bau und Unterhalt von Moscheen finanzieren, gemindert oder zumindest transparenter gemacht werden. Parallel zur Parlamentsdebatte hatte sich Macron mit den Repräsentanten des Rates des muslimischen Kults mühsam auf eine Charta der republikanischen Grundwerte und auf ein einheitliches Diplom für in Frankreich ausgebildete Imame geeinigt.

Die Regierung sah vor, den Islam in Frankreich mit einer Klärung der seit 1905 geltenden Trennung von Staat und Religion und der religiösen Neutralität der öffentlichen Dienste besser zu integrieren. Nun droht eher das Gegenteil. Nach zehn Tagen Debatte in der Nationalversammlung hat man den Eindruck, dass es den Abgeordneten der konservativen und extremen Rechten mehr darum geht, die Muslime für die bisherige Diskriminierung verantwortlich zu machen. So scheint es für eine Abgeordnete zur Obsession zu werden, nicht nur die Vollverschleierung, sondern auch ein als „ostentatives Zeichen religiöser Zugehörigkeit“ interpretiertes Kopftuch überall in der Öffentlichkeit zu verbieten, so namentlich für Mütter, die bei außerschulischen Aktivitäten die Kinder begleiten. Das Gesetz soll aber auch das Verbot der Polygamie oder den Kampf gegen Zwangsehen bekräftigen. Den Ärz­t:in­nen wird zudem verboten, von religiösen Familien verlangte Jungfräulichkeitsbescheinigungen auszustellen. Die Liste der Regeln, die im Namen der ­Laizität und des Kampfs ­gegen den als staatsfeindlich designierten Islamismus verschärft werden sollen, ist noch unvollständig.