piwik no script img

Es ist noch nicht genug

Das Winternotprogramm reicht nicht – trotz der Verbesserungen. Armut und Obdachlosigkeit müssten gerade in klirrekalten Pandemiezeiten mit politischen Maßnahmen besser angegangen werden

Von André Zuschlag

Die neue Unterkunft ist nicht mehr als ein kleines Pflaster auf einer großen Wunde. Das sieht in diesen Zeiten je­de:r in Hamburg, der:­die mit offenen Augen durch die Stadt läuft

Es geht doch: Bis zu 35 Obdachlose mit besonderen psychischen und physischen Beeinträchtigungen kommen nun in einer neuen städtischen Unterkunft in Stadtteil Hamm unter. Sie richtet sich an jene, die wegen ihrer Beeinträchtigungen die Massenunterkünfte nicht in Anspruch nehmen und weiterhin auf der Straße leben. Der neue vom städtischen Träger Fördern und Wohnen betriebene Standort besteht deshalb aus Einzelzimmern, damit sie zur Ruhe kommen können.

Es war zu Wochenbeginn die erste gute Nachricht seit Langem in Sachen Obdachlosigkeit. Mindestens elf Menschen waren seit Dezember auf der Straße gestorben. Jedes Mal wurde die Forderung erhoben, die Stadt solle endlich Hotels anmieten – jedes Mal erfolglos. Bitter ist, wie bohrend in den vergangenen Wochen Rot-Grün parlamentarisch und auf der Straße darauf Aufmerksam gemacht werden musste, ehe die Sozialbehörde reagierte.

Dennoch ist das nur ein kleiner Fortschritt. 35 Plätze sind nicht genug. In Pandemiezeiten sind Unterkünfte, in denen sich mehrere fremde Menschen die Zimmer teilen müssen, ein Unding. „Open the Hotels“ gilt noch immer! Darauf weist auch die nun beginnende Dauermahnwache am Hauptbahnhof hin. „Es dürfen nicht noch mehr Menschen auf Hamburgs Straßen sterben“ lautet ihre simple Forderung.

Die Sozialbehörde mag hoffen, dass mit der nun eingerichteten Einzelunterkunft Ruhe in die Debatte einkehrt. Das Gegenteil ist hoffentlich der Fall, denn die politischen Maßnahmen, um Obdachlosigkeit zu bekämpfen, bleiben weiterhin dürr. Hinz & Kunzt erinnerte am Montag daran, dass beim von SPD und Grünen angekündigten „Housing First“-Modellprojekt auch noch nichts geschehen ist. Andere Städte sind da schon weiter: Bremen und Hannover, von Berlin ganz zu schweigen, haben bereits derartige Projekte angestoßen.

Auch wenn 35 Einzelzimmer 35 Menschen pro Nacht eine substanzielle und gute Hilfe bieten, bleibt die Unterkunft nicht mehr als ein kleines Pflaster auf einer großen Wunde. Das sieht in diesen Zeiten Je­de:r in Hamburg, der:­die mit offenen Augen durch die Stadt läuft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen