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Die Alster, ein bleicher Fluss

Die in den 1950er-Jahren mit ihren von Fern- und Heimweh übersättigten Reiseromanen berühmt gewordene Alice Ekert-Rotholz war zuvor vor den Nazis aus Deutschland geflohen: Eine Exilerfahrung, ohne die sich ihr Werk kaum verstehen lässt. Am kommenden Freitag erinnert eine Online-Veranstaltung an die Hamburger Autorin

Von Frauke Hamann

Man muss sich Alice Ekert-Rotholz (1900-1995) als entschiedene, entschlossene und freimütige Person vorstellen. In ihrem Gedicht „Das Himmelreich annonciert“ reimt sie: „Das Himmelreich läßt alle Leute rein. Alle Farben! Auch/die roten!/Nebenan wird das deutsche Himmelreich sein: Mit der/Aufschrift: ‚Eintritt verboten‘.“ Die Tochter der Musikerin Hedwig Mendelsson und des englischen Exportkaufmanns Maximilian Ekert wächst in Hamburg-Harvestehude auf. 1921 heiratet sie den Zahnarzt Leopold Rotholz. Ihr Sohn Heinz wird 1924 geboren. Sie veröffentlicht Feuilletons im Vorwärts und im Simplicissimus, ihre Gedichte erscheinen in der Weltbühne und in den Almanachen der Hamburger Künstlerfeste. „Wie praktisch/dass wir nichts vom Morgen wissen./Was würde sonst aus unserem festen Schlaf?/So ist man bis zum Tod ein neugeborenes Schaf/Nichts wissen ist ein sanftes Ruhekissen.“

Ekert-Rotholz reüssiert mit ihren Gedichten und Feuilletonartikeln. Von den Nationalsozialisten verhaftet und ins Exil getrieben, verbringt sie zwölf Jahre in Thailand. Nach ihrer Rückkehr nach Hamburg wird sie mit zahlreichen faszinierend-exotischen Romanen zur Erfolgsautorin. Sie entschließt sich, ihre Heimatstadt erneut zu verlassen – und lebt fortan in der Weltstadt London.

1935 werden sie und ihr Mann wegen des Vorwurfs staatsfeindlicher Gesinnung von der Gestapo ins KZ Fuhlsbüttel verbracht, nach vier Monaten kommt sie in Untersuchungsgefängnis. 1936 wird sie freigelassen, ihr Mann muss seine Zahnarztpraxis auflösen. Was tun? Ekert-Rotholz telefoniert die Konsulate ab, bis ihr schließlich Martin Pickenpack, Generalkonsul Siams, eine Perspektive eröffnet. Dort könne ihr Mann praktizieren – und so emigrieren die Eheleute im März 1939 ins heutige Thailand. Den Sohn schicken sie ins sichere England. Über diesen Umbruch schreibt sie: „Langsam verschwand die Vaterstadt hinter einer Wolkenwand. Würde man sie jemals wiedersehen? Die Stadt barg alle Freuden und Leiden der jungen Jahre; man hatte jedes geheime Entzücken und jeden geheimen Schmerz an die Alster oder an die Elbe getragen.“ Die literarische Erfolgsgeschichte von Ekert-Rotholz scheint damals durch nationalsozialistische Verfolgung und Exil zunächst abrupt beendet.

Keine Heimat im Exil

Alice Ekert-Rotholz’erster Roman, „Reis aus Silberschalen“, bietet viel: viele Einblicke in die thailändische Lebensweise, aber auch viele Klischees

In Bangkok engagiert sich die zum Katholizismus konvertierte Ekert-Rotholz in der Missionsarbeit. Sie bereist das Land, lernt die Sprache, wird aber nie ganz heimisch: „Man bleibt in Ostasien ein Zuschauer.“ Der Germanist Björn Laser spricht angesichts ihrer materiell privilegierten Existenz von einem „ungewöhnlichen Exil“. Sie selbst bezeichnet Thailand als „ihr geborgtes Paradies“. Ihr Sohn kommt zwar 1947 nach Bangkok. Doch weil sie als Autorin in Asien keine Entfaltungsmöglichkeiten sieht, kehrt sie 1951 nach Hamburg zurück.

„Eines jedoch steht fest: wer östlich von Suez jenen unvergleichlichen Duft von Entenstall und Weihrauch, von Kulischweiß und Lotosblüten, von faulenden Fischen und blühender Poesie atmen durfte, der hat doppelt gelebt.“ So heißt es in ihrem Reisebericht „Siam hinter der Bambuswand“ (1953), der von ihren Thailand-Erfahrungen handelt.

Erfolgreich ermuntert Hariett Wegener, Cheflektorin bei Hoffmann und Campe, Ekert-Rotholz zum Schreiben von Romanen. Es erscheinen „Wo Tränen verboten sind (1956), „Strafende Sonne, lockender Mond“ (1959), „Die Pilger und die Reisenden“ (1964), „Elfenbein aus Peking“ (1966) und weitere Bücher. Die exotischen Schauplätze, die anschaulich entworfenen Charaktere, die Einblicke in asiatische Gebräuche machen die Rückkehrerin während der 1950er-, 1960er-Jahre – in einer Zeit, in der touristische Fernreisen noch weitgehend unbekannt sind – zu einer kommerziell erfolgreichen, millionenfach gelesenen Autorin. Gleich mit ihrem ersten Roman „Reis aus Silberschalen“ gelingt ihr 1954 der literarische Durchbruch.

Exotismus aus Notwehr

Ekert-Rotholz schöpft aus dem direkten Erleben, erzählt süffig, die Figuren aus dem fernöstlichen Kulturraum reizen die Fantasie und wecken das Fernweh der Leserschaft. Dabei webt die Autorin die Perspektive zugewanderter Europäer ein. „Reis aus Silberschalen“ erzählt die Geschichte des in Bangkok tätigen hanseatischen Kaufmanns Johannes Petersen, dessen Frau und Kinder nun eintreffen und mit ihm in Thailand leben wollen. Beim Anblick des Golf von Siam muss Martha Petersen an ihre Heimatstadt denken: „Gegen das strahlende Wasser war ihre geliebte Alster ein bleichsüchtiger Fluß. Hamburg erschien ihr plötzlich wie ein mattes Pastell gegen die glühende Landschaft Südostasiens.“

Ekert-Rotholz’ Erstling bietet viel – viele Einblicke in die thailändische Lebensweise, aber auch viele Klischees. Die Deutschen sind fast immer zielstrebig und ordentlich, für die Hamburger ziemt es sich gar nicht, „verträumt“ zu sein, während die Hausangestellten (Thailänder und Chinesen) als beständig lächelnd, aber auch als geldgierig gezeichnet sind. Das Exil bleibt eine Wunde und Hamburg stets gegenwärtig – ob eingebildete Frauen nun als „Puten aus Pöseldorf“ bezeichnet werden, ein Gibbon-Affe „Hummel Hummel“ heißt oder die Ausdehnung des eigenen Gartens mit dem Innocentia-Park verglichen wird.

Der Hamburger Exilforscher Wilfried Weinke betont, dass Ekert-Rotholz ohne ihre jüdische Biografie nicht zu verstehen sei. Den Selbstmord des Vaters kurz vor der Deportation, die eigene Inhaftierung, erzwungene Flucht und die Exil-Erfahrung hat diese Frau zu tragen vermocht – und Romane geschaffen, die ihrem anglophilen Stil entsprachen. „Diese bedeutende Lyrikerin fiel als Bestseller-Autorin durch das Raster der Exilforschung“, so Weinke. „Ihre Bücher sind satt an exotischen Stoffen, doch die Hypothek der Verfolgung ist darin ebenso eingeschrieben.“ Anfang Januar 2021 ist Heinz Redwood, der Sohn von Alice Ekert-Rotholz, in London gestorben. Eine Hamburger Lesung am kommenden Freitag leistet also eine doppelte Erinnerung.

„Alice Ekert-Rotholz: Hamburg war und blieb ihre teure Heimatstadt …“ ist als Stream-Veranstaltung zu erleben am Freitag, 29. 1., ab 19.30 Uhr im Internet: www.kunstklinik.hamburg

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