Zum Tod von Arik Brauer: Aufstieg unter die Fabelwesen
Beißende Kritik fand sich in seinen Liedern, träumerisch waren seine Bilder: Zum Tode des Wiener Multitalents Arik Brauer.
Er hat sie alle überlebt. Arik Brauer, der am Sonntag, knapp drei Wochen nach seinem 92. Geburtstag in Wien gestorben ist, war der Letzte aus der Wiener Schule der Phantastischen Realisten. Neben Ernst Fuchs (1930-2015), Anton Lehmden (1929-2018) und Wolfgang Hutter (1928-2014) war er der prominenteste Vertreter dieser sehr kontrovers aufgenommenen Richtung der bildenden Kunst. Und er war wohl der vielseitigste.
Der in den österreichischen Medien als Universalkünstler gewürdigte Tausendsassa hat sich noch vor Wolfgang Ambros und Georg Danzer auch als Austropopper etabliert, obwohl er mit diesem Etikett nichts anzufangen wusste. Er verpackte beißende Sozialkritik in eingängige Dialektlieder, die noch fünfzig Jahre später nachhallen. „Diese Liedtexte sind teilweise zu unserem großen Leidwesen aktuell geblieben“, hat er einmal in einem Interview gesagt: „Einige davon wurden richtige Volkslieder, die man beim Heurigen oder auf einer Schutzhütte singen hört. Darauf bin ich stolz.“ Daneben war Brauer an Fernsehspielen beteiligt und ist als Grafiker, Bühnen- und Kostümbildner in Erinnerung. 1975 stattete er Mozarts Zauberflöte farbenfroh an der Pariser Oper aus.
Brauer wurde am 4. Januar 1929 in Wien als Erich Brauer in eine russisch-jüdische Handwerkerfamilie geboren und früh politisiert. Sein Vater wurde im KZ in Riga ermordet, er selbst konnte sich in einem Schrebergartenhaus verstecken, wo er die Befreiung durch die Sowjetarmee erlebte. Mit 16 Jahren war er bereits an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Fünf Jahre lang engagierte er sich in der Kommunistischen Jugend, wurde durch Stalins Schauprozesse aber zum Nachdenken gebracht, trat nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes aus der Partei aus und emigrierte nach Palästina, wo aus Erich ein Arik wurde: „Meine Frau ist eine Hebräerin und die Hebräer können ein „E“ nicht aussprechen“
Im jungen Staat Israel hielt es ihn nicht lange. Die Musik spielte damals in Paris, wo Brauer und seine Frau Noemi zunächst mit Singen über die Runden kommen mussten. Aber bald erregten auch seine Bilder Aufsehen und erste Ausstellungserfolge motivierten ihn, zunächst bei der Malerei zu bleiben. 1964 kehrte das Paar nach Wien zurück, wo die Phantastischen Realisten große Popularität genossen. Brauers Kunst, die irgendwo zwischen Chagall, Arcimboldo und Hieronymus Bosch navigiert, passte in diese österreichische Ausprägung des Surrealismus gut hinein. Nie religiös, befasste sich der Künstler bevorzugt mit jüdischen und christlichen Motiven. Bunte Fabelwesen und Phantasiegestalten bevölkern seine großflächigen Bilder.
Die von der gegenständlichen Malerei abgewandte Avantgarde blickte auf die kommerziell erfolgreichen phantastischen Realisten als „Reaktionäre“ herab. „Was die Malerei betrifft, hat das mein ganzes Leben überschattet“, klagte Brauer einmal, „Aber es war mir von Anfang an klar, dass ich außerhalb des Mainstreams mein Leben verbringen werde. Das habe ich nie bereut. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich in der Malerei ein Bremser bin, obwohl das so verstanden wurde“.
Die Beharrlichkeit machte sich bezahlt. Es muss für Brauer eine Genugtuung gewesen sein, als er 1985 eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste bekam, wo er zwölf Jahre später emeritierte. Auch ihm hohen Alter blieb er durch Ausstellungen in der Öffentlichkeit präsent und fiel auch immer wieder durch umstrittene Wortmeldungen auf. So sprach er sich dafür aus, die rechte FPÖ nicht vom Gedenken im KZ Mauthausen auszuschließen, schließlich gehe es darum, jene zu überzeugen, die nicht schon überzeugt sind. „Ich nähere mich nicht der FPÖ an, ich nähere die FPÖ uns an. Ich nehme das Risiko auf mich, Widerspruch zu provozieren, und sage das, was ich für richtig halte“, so Brauer anlässlich seines 90. Geburtstags im Standard.
Brauer starb am 24. Januar im Kreis der Familie. Seine Frau Noemi und die Töchter Timna Brauer, die als Sängerin Erfolge feiert und Ruth Brauer-Kvam, die als Schauspielerin Karriere macht, überlieferten seine wohl vorformulierten letzten Worte: „Ich war so glücklich mit meiner Frau, mit meiner Familie, mit meiner Kunst und meinem Wienerwald. Aber es gibt eine Zeit, da lebt man, und es gibt zwei Ewigkeiten, da existiert man nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut