piwik no script img

Künstlerin und Aktivistin über die USA„Es steht viel auf dem Spiel“

Die Künstlerin Marisa J. Futernick hat über Presidential Libraries gearbeitet. Ein Gespräch über Trumps Vermächtnis und das Regierungssystem der USA.

„Roosevelts Little White House“, Warm Springs, Georgia Foto: Marisa J. Futernick
Julian Weber
Interview von Julian Weber

taz am wochenende: Frau Futernick, am Ende von Trumps Amtszeit scheint es unwahrscheinlich, dass er eine Presidential Library stiftet, oder?

Marisa J. Futernick: Ob Trump will oder nicht, die Verfassung verpflichtet ihn, alle Dokumente seiner Amtszeit zur Verfügung zu stellen, nachdem er abtritt. Durch die Watergate-Affäre wurde das obligatorisch. Damals versuchte Richard Nixon, ihn belastende Telefonate zu löschen. Vielleicht verschleiert Trump ebenfalls illegale Aktivitäten, wittert aber die Chance, einen Schrein zu errichten, der dem Mythos seiner Person Vorschub leistet. So wie der Souvenirshop im New Yorker Trump-Tower könnte das aussehen.

Sie haben über die Präsidenten-Bibliotheken fotografisch gearbeitet. Was symbolisieren Presidential Libraries allgemein?

Im Interview: Marisa J. Futernick

geboren 1980 und aufgewachsen in Detroit, arbeitet über Themen wie „American Dream“. Für ihr Buchprojekt „13 Presidents“ (Slimvolume, London, 304 Seiten) ist sie zu allen Presidential Libraries in den USA gereist. 2018 drehte sie einen Film über die fehlenden zehn Stockwerke des Trump Tower in New York.

Die Idee geht auf F.D. Roosevelt zurück. Ihm schwebte ein Ort vor, an dem Regierungsdokumente für die Nachwelt einsehbar gelagert sein würden. Er baute ein Haus in seiner Heimatstadt Hyde Park/New York. Zur Finanzierung sammelte er Spenden, übertrug das Bauvorhaben aber dem Nationalarchiv, was der Bundesregierung untersteht. So funktioniert es bis heute. Presidential Libraries sind eine Mischung aus Archiv und Museum. Scheidende Präsidenten entscheiden selbst, wo sie ihre Bibliotheken errichten, normalerweise geschieht dies am Heimatort. Deshalb sind Presidential Libraries verstreut übers ganze Land. In den Museen ist oft das Geburtshaus der Präsidenten zu sehen. Bis jetzt gibt es 13 solcher Libraries, angefangen bei Herbert Hoover, bis zu George W. Bush. Obamas Bibliothek soll in Chicago entstehen.

Kommen dunkle Kapitel der Geschichte in den Ausstellungen vor?

Manche KritikerInnen sehen in den Bauwerken lediglich Mausoleen, der Reiz der Ausstellungen liegt gerade in der subjektiven Vermittlung von Geschichte. Negativbeispiel ist die Schau der Nixon-Bibliothek an der Westküste. Lange hat sie die Watergate-Affäre verharmlost. Erst ein neuer Archivdirektor räumte den Verwerfungen Platz ein.

Die US-Innenpolitik beruht auf dem Zweiparteiensystem. Hat die destruktive Amtsführung von Trump dieses Kräfteverhältnis erschüttert? Mit Hilfe republikanischer PolitikerInnen ist er an die Macht gelangt, die ihn bis zuletzt unterstützt haben.

Als US-Bürgerin habe ich sehr wohl mahnende Stimmen vernommen, die besagt haben, Demokratie sei nicht selbstverständlich. Kürzlich las ich das Buch “Über Tyrannei“ des Historikers Timothy Snyder. Darin stellt er 20 Thesen auf, wie es um unser Land bestellt ist.

Lektion 17 besagt, “Achten Sie auf gefährliche Wörter“, so definiert Snyder Begriffe, die von Extremisten benutzt werden, auch von Trump.

Speziell Lektion 17 bekommt durch den Sturm aufs Kapitol gespenstische Aktualität. In Lektion 6 warnt Snyder vor paramilitärischen Gruppen. Er gibt uns zu verstehen, dass Sprache Macht ausdrückt.

Ein US-Präsident ist mit Machtfülle ausgestattet. Um seine Alleinherrschaft zu verhinden, existiert das System der Checks & Balances. Ist es noch eine geeignete Kontrollinstanz?

Wie Snyder geschrieben hat, sollten wir uns nicht blind auf diese Instrumente verlassen. Außerdem gibt es in den USA große regionale Unterschiede. Daher liegt in Checks & Balances eine Logik der Vermischung von föderaler und einzelstaatlicher Regierungsführung. Das bedeutet auch, grundlegende Rechte des föderalen Systems gelten nicht überall. So geschehen bei den Jim-Crow-Gesetzen, die nach Ende des Bürgerkriegs 1865 in den Südstaaten de facto die Segregation aufrechterhielten, obwohl Sklaverei offiziell abgeschafft war.

2020 war ein Krisenjahr, genannt seien die Corona-Pandemie und der brutale Tod von George Floyd in Polizei-Gewahrsam sowie die nachfolgenden Unruhen. Wie haben Sie 2020 erlebt?

Als schwieriges Jahr. Schon vorher war ich politisch aktiv, das Chaos hat mich dazu gebracht, nicht nachzulassen. Zusammen mit den Künstlerkolleginnen Rebecca Sittler und Deborah Aschheim habe ich die Ausstellung „Almost Presidential“ organisiert, die sich um politisches Versagen dreht. Meine Arbeit „Concession“ widmet sich unterlegenen PräsidentschaftsbewerberInnen. Concession bezeichnet den Umstand, wenn ein gescheiterter Kandidat die Niederlage einräumt. Wie bekannt, hat Trump seine Wahlniederlage bisher nicht eingestanden.

„Altes Erdnuss-Lagerhaus der Familie Carter“ in Plains/Georgia Foto: Marisa J. Futernick

Eine friedliche Amtsübergabe ist politische Norm. Unterlegene üben enormen Einfluss auf die Gesellschaft aus und auf das politische System als Ganzes. Positives Beispiel ist Stacey Abrams, die bei der Gouverneurswahl 2018 in Georgia verloren hatte, aber inzwischen als Wahlrechts-Aktivistin zu Einfluss gekommen ist. Ich bin übrigens Mitglied von Artists 4 Democracy: Vor der Präsidentschaftswahl und der Nachwahl in Georgia haben wir Überzeugungsarbeit an der Basis geleistet, um Menschen dazu zu bringen, an den Urnen ihre Stimmen abzugeben. Dieses Engagement hat mir Zuversicht gegeben, um die großen Herausforderungen zu meistern, die nach Trump auf uns zukommen.

Dass die USA vom Sklavenhandel profitiert haben, ist historisch verbrieft. Wie geht das Land mit dem Erbe um?

Die USA fußen auf Rassismus und sind bis heute rassistisch. Ich musste zuletzt oft an den Demokraten George Wallace (1919-1998) denken, Exgouverneur von Alabama, der als notorischer Rassist galt. Er versuchte vergeblich, US-Präsident zu werden. Wallace berief sich auf die Segregation als tragfähiges Gesellschaftsmodell und zudem auf Law & Order. Seine Slogans finden in Trump ihr Echo.

Faszinierend ist, dass 1972, als Wallace gegen Nixon kandidieren wollte, auch Shirley Chisholm als erste schwarze Frau in den Kongress gewählt wurde. Und sie versuchte ebenfalls, Präsidentschaftskandidatin zu werden. Während des Wahlkampfs wurde auf Wallace ein Attentat verübt, was ihn querschnittsgelähmt zurückließ. Chisholm besuchte ihn im Krankenhaus. Das löste ein großes Medienecho aus und bescherte ihr Kritik. Sie äußerte, in einer Demokratie sei es wichtig, für politische Gegner:Innen Respekt aufzubringen. Alles andere würde nur ein Klima erzeugen, in dem Attentate auf Worte folgen.

Freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht, das die Verfassung den BürgerInnen zubilligt. Nun, wo Social-Media-Konzerne Konten von Trump gesperrt haben, mit denen er Hetze verbreitete und Spenden sammelte, ist darüber eine erregte Diskussion entstanden.

KünstlerInnen tendieren dazu, freie Meinungsäußerung zu verteidigen, und reizen diese Freiheit bis an ihre Grenzen aus. Wir sind uns aber auch bewusst, wie der erste Verfassungzusatz immer wieder für fragwürdie Ziele hochgehalten wird. Als positives Beispiel fällt mir mein Künstlerkollege Dread Scott ein und dessen transgressiver Einsatz der US-Flagge in seinen Arbeiten. Konservative versuchten das zu verhindern. Der Fall ging bis vors Oberste Gericht, was durchsetzte, selbst das Verbrennen der US-Flagge ist mit der Verfassung vereinbar. Sie können sich also vorstellen, wie Trump und seine Kohorte auf Scotts Kunstwerke reagieren würden, und gleichzeitig das Recht der freien Meinungsäußerung für eigene Hetze bemühen.

Am 20. Januar findet die Inauguration von Joe Biden statt. Dieser Tag läutet feierlich seine Amtszeit ein, was gibt Ihnen Anlass zu Optimismus, dass die Regierung Biden und ihr Reformprogramm Chancen bekommen?

Die Tatsache, dass die Demokratische Partei nicht nur das Weiße Haus, sondern beide Parlamentskammern kontrolliert, bedeutet, dass die neue Regierung gute Chancen hat, ihre Vorhaben umsetzen zu können. Mir macht zudem Hoffnung, wie viele Bürger:Innen zuletzt am Wahlprozess aktiv teilgenommen haben. Ich hoffe auch, dass die Mehrheit begriffen hat, was bei jeder neuen Wahl auf dem Spiel steht, nicht nur bei Präsidentschafts-, sondern auch bei Kommunalwahlen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!