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Wahlsieger mit noch mehr Macht

Kirgistans umstrittene Präsidentschaftswahl hat der im Herbst nach Protesten an die Macht gekommene Sadyr Dschaparow gewonnen und zugleich noch eine Verfassungsreform zu seinen Gunsten durchgesetzt

Der zweitplatzierte Madumarow weigerte sich, Dschaparows Sieg anzuerkennen

Von Barbara Oertel

Die Wahllokale in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek waren am Sonntagabend gerade geschlossen worden, da hatten Unterstützer*innen des Präsidentschaftskandidaten Sadyr Dschaparow auf dem zentralen Platz in der Hauptstadt ­Bischkek schon eine Bühne aufgebaut, um den Sieg zu feiern.

Die Freude war nicht verfrüht: Laut vorläufigem Ergebnis entfielen auf Japarow knapp 80 Prozent der Stimmen, wobei ihm in Bischkek nur 50 Prozent der Wähler*innen ihre Stimme gaben. Die Ergebnisse für die anderen 16 Bewerber*innen bewegen sich im einstelligen Bereich.

Bei einem zeitgleich stattfindenden Referendum über Verfassungsänderungen, die Kirgistan wieder zu einer Präsidialrepublik machen, stimmten rund 84 Prozent mit Ja. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Wahlkommission nur bei 39 Prozent und damit deutlich niedriger als 2017 (rund 56 Prozent). Beobachter*innen erklärten die niedrige Beteiligung mit einer Änderung des Wahlgesetzes. So durften Wähler*innen nicht an ihrem Aufenthaltsort abstimmen, sondern nur dort, wo sie registriert sind.

Der zweitplatzierte Adachan Madumarow sprach von Wahlfälschung und weigerte sich, Dschaparows Sieg anzuerkennen. Auch die Wahlbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte die Bedingungen bei der Präsidentschaftswahl. Die Kandidat*innen hätten nicht über die „gleichen Voraussetzungen“ verfügt. Es habe keinen „vollständig fairen Wettbewerb“ gegeben.

Dschaparow, der bis zum vergangenen Herbst eine Gefängnisstrafe wegen Beteiligung an einer Geiselnahme verbüßt hatte, war im Zuge von Protesten gegen Fälschungen bei der Parlamentswahl am 4. Oktober an die Macht gekommen. Zunächst wurde er zum Regierungschef bestimmt und übernahm nach dem Rücktritt von Präsident Sooronbai Jennbekow interimsmäßig auch dessen Amt.

Neuwahlen zum Parlament, die eigentlich bis Dezember hätten stattfinden müssen, verschob er auf unbestimmte Zeit in das Jahr 2021. Dafür brachte er eine großangelegte Verfassungsänderung auf den Weg. So sollen die Anzahl der Abgeordneten und die Kompetenzen der Volkskammer reduziert, die Vollmachten des Präsidenten erweitert werden. Überdies ist die Schaffung eines neuen, beim Präsidenten angesiedelten, Organs der Exekutive (Kongress) vorgesehen, dem das Parlament und die Regierung gegenüber rechenschaftspflichtig sind.

Bei einer Pressekonferenz am Sonntagabend bezeichnete Dschaparow die Abstimmung als fair. Er wolle die Verfassungsänderungen zügig in Angriff nehmen. Dafür werde eine Versammlung entsprechende Gesetze vorbereiten und das Parlament ein zweites Referendum anberaumen. Zudem kündigte er ein Programm zur Armutsbekämpfung an, das in den nächsten zweieinhalb Jahren umgesetzt werden soll. Mit einem Durchschnittslohn von umgerechnet unter 200 Euro und einem Bruttoinlandsprodukt, das sich zu einem Viertel aus Überweisungen von Arbeitsmigranten aus dem Ausland speist, gehört Kirgistan zu den ärmsten Ländern der Exsowjetunion.

Die Verfassungsreform, die Dschaparow mit zusätzlichen Befugnissen ausstattet, war bereits vor der Abstimmung vielfach auf Kritik gestoßen. Am Sonntag veröffentlichte das oppositionelle Nachrichtenportal kloop.kg einen Aktionsplan für die, die nicht für Dschaparow gestimmt haben. An die ­Adresse seiner Unterstützer*innen gerichtet, heißt es dort: „Gebt euch keinen Illusionen hin. Bald werdet ihr bedauern, dass er so hoch aufsteigen konnte.“

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