: „Einen Anteil Hund trägt fast jeder Wolf in sich“
Stefan Nilles vom Wolfsbüro Niedersachsen über Ärger mit den Wölfen – und was dagegen zu tun ist
Interview Nadine Conti
taz: Herr Nilles, was ist denn aus Sicht des Wolfsbüros Niedersachsen das Problem mit allzu viel Wolfsromantik?
Stefan Nilles: Na ja, der Ansatz ist ja erst einmal hehr und nobel. Dass man sagt: Da ist ein Tier, das ist streng geschützt. Es war fast ausgerottet und soll jetzt wieder willkommen sein. Ich würde sagen, diese Haltung teilen die meisten Leute. Schwierig wird es eben, wenn man nicht nur die Art, sondern jedes einzelne, individuelle Tier schützen will – und dann Leute, die Probleme mit einzelnen Wölfen haben, in den sozialen Medien namentlich an den Pranger stellt oder als „Problemschäfer“ tituliert.
Wie groß ist denn das Problem tatsächlich, in Zahlen ausgedrückt?
Wir haben im vergangenen Jahr über 1.000 gerissene Tiere erfasst. Rudel haben wir zur Zeit 35 und circa ein Drittel Zuwachs pro Jahr. Das Konfliktfeld wird also nicht kleiner. Wir haben in den paar Hundert Jahren, die der Wolf faktisch weg war, eine andere Art der Weidetierhaltung entwickelt, die jetzt ein Problem hat. Früher hat man die Tiere ja nicht auf die Weide gestellt, ohne dass einer dabei war. Und jetzt kommen manche Weidetierhalter morgens raus und finden Tiere, an denen sie hängen, die sie vielleicht auch per Hand aufgezogen haben, tot oder mit brutalen Verletzungen auf der Weide vor. Das ist doch klar, dass die damit ein Problem haben. Die schlafen danach auch nicht mehr gut. Sich dann hinzustellen und einfach zu sagen: „Ach, stellt euch nicht so an, die Nutztiere wären doch eh gestorben“, oder: „Macht halt den Zaun höher“, wie manche Wolfsliebhaber das tun, finde ich schon brutal und zynisch. Das kann doch auch nur einer sagen, wer selbst nicht betroffen ist.
Sind Hybriden ein Problem?
Das ist ein Argument, was von Wolfshassern – die es neben den fanatischen Wolfsliebhabern ja auch gibt – gern gebracht wird. Solche Menschen möchten die Wölfe am liebsten wieder loswerden, weil sie Probleme bringen, die man früher nicht hatte. Die tun dann so, als wären sie um die Reinhaltung der Art besorgt und würden den Abschuss nur für Hybride fordern. In Wirklichkeit ist das natürlich total unrealistisch, weil man die ja nicht einmal auseinanderhalten könnte. Echte Mischlinge aus Hund und Wolf – also die erste Generation, wenn Wölfe und Hunde sich gepaart haben, sind extrem selten. Einen kleinen Anteil Hund trägt aber fast jeder Wolf in sich. Die Wölfe in Deutschland sind echte Wölfe.
Was sind nun die Konflikte um die niedersächsische Wolfsverordnung? Der Nabu hat ja angekündigt, EU-Beschwerde einzulegen.
Im Kern geht es darum, dass wir sehr strengen Artenschutzauflagen unterworfen sind, durch die Richtlinien der EU, die wir als Mitgliedsstaat im Bundesnaturschutzgesetz umsetzen müssen. Wenn man Tiere entnehmen will, ist das nur unter ganz bestimmten Bedingungen im Einzelfall möglich. Und in diesem Rahmen haben wir mit Hilfe der Verordnung versucht, diese Einzelfälle ein Stück weit zu kategorisieren, dass wir sagen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor ein Abschuss erwogen werden kann.
Der Nabu spricht von „wolfsfreien Zonen“.
Das ist Unsinn. Es gibt aber Bereiche, da sind die üblichen Anforderungen – Schutzzaun von 1,20 Meter unter Strom plus vielleicht Herdenschutzhunde – schwer umzusetzen. Wenn ein Schäfer mit seinen Tieren alle zwei Tage weiterzieht, kann der die schwer jedes Mal auf diese Weise einzäunen. Am Deich zum Beispiel können sie auf der Wasserseite schlecht mit Elektrozäunen arbeiten. Deshalb sagen wir, das in solchen Zonen andere Zumutbarkeitsregeln gelten sollen. Der Nabu ist nun der Auffassung, dass wir uns damit zu weit wegbewegen von dem, was die EU-Richtlinien fordern. Das halten wir jedoch für falsch, weil wir natürlich den Artenschutz als Ganzes im Blick behalten.
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