DJs in Palästina unter Druck: Die Politik des Tanzens

Darf man neben einer Moschee Techno spielen? Ein Blick auf die Grenzüberschreitungen der israelisch-palästinensischen Partyszene.

Die palästinensische Techno-DJ Sama Abdelhadi

Sama Abdelhadi hat als DJ den palästinensischen Technounderground nach vorn gebracht Foto: Tristan Hollingsworth

Ein Sonntagabend in der Westbank. In der Wüste nahe der palästinensischen Stadt Jericho gibt es eine Technoparty. DJ Sama Abdelhadi spielt gerade ihre letzten Tracks, als eine Gruppe Männer die steinerne Halle aus dem 13. Jahrhundert stürmt. Sie haben Holzlatten dabei, greifen das Sound System an und brüllen die Feiernden an: Yalla, raus!

Der Partysturm wird über die sozialen Medien verbreitet und löst in der lokalen Technoszene einen Schock aus. Der Vorfall bringt einen Widerspruch ans Tageslicht, zwischen dem Wunsch, Palästina als liberalen Ort der Kreativität zu präsentieren, und der Rücksicht auf die religiösen Sensibilitäten der konservativeren Teile der Bevölkerung.

Party in Nabi Musa, einem heiligen Ort

Deren Zorn hat sich an der Tatsache entzündet, dass die Party in Nabi Musa stattfand, einem Muslimen heiligen Ort, an dem der Überlieferung nach Moses beerdigt wurde. Die Party wurde im Netz gestreamt. Dabei war zu sehen, dass Abdelhadi nahe der mittelalterlichen Moschee ihren Techno auflegte. Diese Bilder verbreiteten sich schnell in den sozialen Medien, zogen wütende Kommentare auf sich und motivierten schließlich einige Männer, das in ihren Augen blasphemische Treiben zu beenden.

Die Empörten wussten nicht, dass die Party von der Streamingplattform Beatport organisiert war, die sich vom palästinensischen Tourismusministerium dafür eine Genehmigung erteilen ließ. Laut Beatport habe man den Ort mit Bedacht gewählt, „um der Bedeutung des Erbes und der Geschichte des Landes Palästina internationale Aufmerksamkeit zu verschaffen“.

Es ist in den palästinensischen Gebieten üblich, Technoraves an historischen Orten wie der Altstadt von Bethlehem oder den Teichen Salomos zu feiern, wenn auch nicht in der Nähe von Moscheen. Am Tag nach der Party wurde Abdelhadi von der palästinensischen Autonomiebehörde verhaftet, eine Woche später freigelassen. Sie wird beschuldigt, eine religiöse Stätte entweiht und gegen Pandemieverordnungen verstoßen zu haben.

Die Angst der Autonomiebehörde

Samas Bruder Seri Abdelhadi, einer der Organisatoren der Party, sagte der taz, die Verhaftung seiner Schwester sei womöglich erfolgt, um die Gemüter zu beruhigen. Denn nach der Party hatten sich schnell Gerüchte verbreitet: Da seien nackte Frauen gewesen, man habe Alkohol und Drogen konsumiert, was aber allesamt erfunden sei. „Sama wurde verhaftet, weil die Sache so viel Aufruhr verursacht hat. Die Autonomiebehörde hat Angst bekommen. Sie wusste nicht, wie sie reagieren soll.“

Jetzt scheint die palästinensische Musikszene in zwei Lager gespalten zu sein. Die einen unterstützen Abdelhadi, weil sie für das palästinensische Erbe und die Kulturszene geworben habe. Ihre Familie hat nach ihrer Verhaftung eine Petition für ihre Freilassung verfasst, die von über 100.000 Menschen unterschrieben wurde. Andere kritisieren Abdelhadi, weil sie eine prekäre Balance ins Schwanken gebracht habe, die man bisher zu bewahren gewusst hat, ohne große Worte darüber zu verlieren.

Marwan Asad ist DJ und Musikproduzent. Seit über zwanzig Jahren ist er in der palästinensischen Musikszene aktiv, nun ist er besorgt. „Letzten Endes sind wir ein arabisches und muslimisches Land. Daher ist es unerlässlich, die lokalen Traditionen und die religiösen Grenzen zu kennen, wenn man so eine Party organisiert“, sagt er der taz. Er erzählt, wie schwer es war, eine Undergroundszene in Palästina aufzubauen.

Techno ist Mainstream in Palästina

„Ich habe angefangen in Ramallah elektronische Musik aufzulegen, als ich 16 war. Inzwischen ist die Technoszene zu einem Teil des kulturellen Mainstreams in Palästina geworden. Sama hat viel dazu beigetragen, dass sich die Szene so entwickelt hat.“ Ich frage Marwan Asad, ob es oft vorkommt, dass eine Party so abrupt beendet werden muss. Das sei nicht so einfach zu beantworten, sagt er. „Wenn es eine offiziell angemeldete Party in einem Club oder nach einem Konzert ist, wird das nicht passieren.“

Aber es ist klar, dass das Organisieren eines Raves in Palästina ein schwieriges Unterfangen ist. Die meisten Veranstalter versuchen vorab, unnötige Konflikte mit der lokalen Polizei zu vermeiden. Deswegen sind die meisten Partys gut organisiert und bei den Behörden angemeldet.

Ich habe von Israel aus häufig Raves in Palästina besucht. Meist standen draußen schwer bewaffnete Wachleute, während drinnen kaum Drogen verkauft und konsumiert wurden. An den Bars gab es, wenn überhaupt, nur palästinensisches Bier, Taybeh oder Shepherds, aber keinen hochprozentigen Alkohol zu kaufen.

Asad befürchtet, dass die Verhaftung Samas Auswirkungen auf die Technoszene haben wird. „Ich denke, die Leute werden versuchen, Partys nicht mehr an öffentlichen Orten zu organisieren, und darauf achten, dass nur die engere Technogemeinde informiert wird.“ Sama Abdelhadis Bruder Seri sieht das ähnlich. „Ich weiß von vielen Leuten, dass sie Angst haben und nicht wissen, wie es weitergehen soll mit Technoraves.“

Kein Respekt

Einen anderen Blick auf den Vorfall hat Mustafa Jaber, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Muzi Raps. Der Rapper stammt aus der Jerusalemer Altstadt und ist eine bekannte Figur in der palästinensischen Musikszene. „Ich ärgere mich nicht über die Regierung, sondern über die Leute, die das veranstaltet haben, weil sie keinen Respekt haben“, sagt er der taz.

Für Jaber war diese Party schlicht eine Provokation. „Ich respektiere Künstler. Aber wenn du als Künstler keine Achtung vor der Religion hast, dann bist du kein Künstler. Ich würde jederzeit mitten auf der Straße eine Party ohne Genehmigung machen. Aber niemals in der Nähe einer Moschee, auch nicht mit Genehmigung.“

Jaber erzählt, dass die palästinensische Musikszene in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist. Zwar hätten die Covid-19-Verordnungen sie schwer getroffen, es gebe aber immer noch reichlich Events: „In Israel gibt es Gegenden, die komplett heruntergefahren wurden, wo keine Konzerte mehr gespielt werden. Aber in der Westbank – in Ramallah, Jericho und Bethlehem – kannst du immer noch ausgehen.“

Israelis kommen über die Checkpoints

Bei manchen Partys kämen auch Israelis über Checkpoints, um zu schauen, was in der Nachbarschaft los sei. „Beim Taybeh-Oktoberfest [einem Musikfestival in der palästinensischen Kleinstadt, in der das oben erwähnte Bier gebraut wird] sieht man viele Israelis, aber auch bei anderen palästinensischen Festivals wie Expo und PAM.“

Vor dem Lockdown traf man in Israel wiederum häufig Palästinenser, die sich jedes Wochenende über die Grenze und die vielen Checkpoints schlichen, um auf Partys in Tel Aviv und Haifa zu gehen. Manche Clubs wie das Anna Lulu und Partyreihen wie der Jazar Crew basierten auf gemischten Crowds. Solche Grenzüberschreitungen können für alle Beteiligten gefährlich werden. Wegen einer Party über die Grenze zu gehen kann aber ein starker Antrieb sein.

Palästinenser ohne Passierschein, die erwischt werden, wenn sie über Zäune oder Mauern klettern, riskieren Verletzungen oder Gefängnisaufenthalt. Israelis wiederum ist es streng verboten, die palästinensischen Gebiete zu betreten. Wenn ich selbst auf die andere Seite wechselte, um zu einer Party zu gehen, habe ich versucht, meine Identität zu verschleiern, und sprach nur Englisch.

Probleme der Zusammenarbeit in der Musikszene

Die israelische Musikszene hat starken Anteil an der Verhaftung von Sama Abdelhadi genommen. Manche befürchten aber, dass das laut zu sagen womöglich mehr Schaden anrichtet als Gutes tut. Viele palästinensische Künstler versuchen ihre Verbindungen zur israelischen Szene unter dem Radar zu halten, weil sie sonst Gefahr laufen, wegen der offiziösen Anti­normalisierungspolitik in Palästina angegriffen zu werden. Künstlerische Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen gilt vielen dort als Verrat am palästinensischen Kampf um Selbstbestimmung.

Als ich vor drei Jahren mit Sama Abdelhadi in Kontakt trat, um sie für eine israelische Zeitung zu interviewen, lehnte sie ab. „Ich habe das Gefühl, dass es nicht richtig ist, ein Interview zu geben. Das ist auch der Grund, warum ich nie in Israel auflegen oder bei einem gemischten israelisch-palä­stinen­sischen Abend spielen konnte.“ Diese Art von Antwort ist oft von palästinensischen KünstlerInnen zu hören.

Meital Barzilay hat Sama Abdelhadi auf ihrer Facebookseite ihre Solidarität ausgedrückt. Sie ist in der israelischen Elektronikgemeinde aktiv und sagt: „Wir, die Technoszene, werden auf beiden Seiten fast wie Kriminelle behandelt, bloß weil wir Kunst und Musik machen. Deswegen wollen die Leute hier Sama Abdelhadi unterstützen.“

Sie und viele andere sähen in Abdelhadi auch ein Symbol, sagt Barzilay. „Ich weiß, wie schwer das war, bis ich als Frau endlich am DJ-Pult stehen konnte. Wenn ich Sama Abdelhadi sehe, für die das noch viel schwerer ist, dann denke ich, sie ist eine Heldin.“

Aus dem Englischen von Ulrich Gutmair

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arbeitet als freie Journalistin für israelische Medien. Derzeit ist sie als Fellow der Internationalen Journalisten-Programme in Berlin.

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