Haus auf Lkw

Foto: ap

Nach dem Krieg um Bergkarabach:Die Verlorenen

Mane Tandilyan wird belagert. Alle wollen etwas von der Ministerin: Geflüchtete, Menschen ohne Obdach. Armenien muss Tausende Vertriebene versorgen.

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5.1.2021, 14:02  Uhr

An einer Tür klebt ein Zettel, darauf steht „Hadrut“, an der Tür daneben „Schuschi“, eine Etage höher „Kha­shatagh“, und „Kalbajar“. Das sind die Namen der Städte und Regionen von Bergkarabach, die Armenien im Krieg gegen Aserbaidschan ganz oder zum Teil verloren hat. Ein vierstöckiges Bürogebäude, 15 Autominuten vom Zentrum der armenischen Hauptstadt Jerewan entfernt, ist zur Anlaufstelle für Geflüchtete umfunktioniert worden. Auf den Korridoren drängen sich Menschen aus Bergkarabach so dicht, dass kein Bogen Papier mehr zwischen sie passt.

Mane Tandilyan bleibt deshalb einen Augenblick auf der Treppe stehen, bis zwei Mitarbeiter einen freien Raum mit einem Tisch für sie gefunden haben. Ein paar Stühle werden durch die Menschenmenge getragen. Vier Mitarbeiter*innen von Tandilyan nehmen Platz. Mit hochgezogenen Augenbrauen fixieren sie das Gesicht der Frau, die gekommen ist, um die Probleme der Geflüchteten lösen zu helfen.

Gerade mal einen Monat ist es her, dass Mane Tandilyan, 42, ihr Amt als neue Ministerin für ­Arbeit, Soziales und Migration in Bergkarabach angetreten hat. Sie ist gerade auf einer Dienstreise in Jerewan und will die Lage der Flüchtlinge in Armenien vor Ort erkunden. Jetzt, nach der bitteren Niederlage im Krieg, ist die Person, die diese Position innehat, eine der wichtigsten, aber vielleicht auch verletzlichsten Figuren.

Am 10. November 2020 wurde der 44-tägige Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach beendet. Ein Abkommen war unter Vermittlung von Moskau ausgehandelt worden. Laut der Vereinbarung, deren Umsetzung russische Friedenstruppen absichern sollen, verliert Armenien die Kontrolle über alle sieben Regionen, die Bergkarabach umgeben. Davon ausgenommen ist nur der „Latschin-Korridor“, der Armenien mit Bergkarabach verbindet. Über den genauen Status von Bergkarabach schweigt sich die Vereinbarung aus.

Vor dem Krieg wohnten in Bergkarabach und in den umliegenden Regionen etwa 148.000 Menschen. Von rund 90.000 Geflüchteten sind inzwischen etwa 50.000 wieder zurückgekehrt. Viele suchen jedoch Schutz in Armenien – ohne dauerhafte Unterkunft, ohne Job und ohne Perspektive für den morgigen Tag.

122 Euro für jeden erwachsenen Flüchtling

Ob Tandilyan daran etwas ändern kann? In den Räumlichkeiten füllen Menschen Anträge aus, um finanzielle Unterstützung zu bekommen. Die Regierung hat Sozialprogramme für die Geflüchteten aufgelegt. Jede*r Erwachse bekommt 68.000 armenisches Dram, umgerechnet etwa 122 Euro, was dem Mindestlohn im Land entspricht, und jedes Kind umgerechnet rund 27 Euro. Einmalig. Zusätzlich erhält jede*r etwa 536 Euro Entschädigung für den Verlust des eigenen Hauses in jenen Gebieten, die an Aserbaidschan abgetreten werden mussten – ebenfalls einmalig.

Doch nicht jeder hat Zugang zu diesen Hilfszahlungen. Mit dem Sieg Armeniens im Krieg gegen Aserbaidschan in den 1990er Jahren eroberte das Land damals die sieben Regionen um Bergkarabach und erklärte sie zur „Sicherheitszone“. In den dreißig folgenden Jahren hat die armenische Regierung versucht, ihre Bürger*innen dort anzusiedeln. Doch viele Menschen haben in diesen Regionen sowie in Bergkarabach selbst ohne eine Anmeldung gewohnt. Umgekehrt waren viele Menschen in diesen Regionen registriert, die irgendwo anders in Bergkarabach oder in Armenien lebten. Nun müssen die Geflüchteten nachweisen, dass sie zumindest die letzten drei Monate tatsächlich dort gelebt haben, um finanzielle und soziale Hilfen zu erhalten.

Frau an Schreibtisch

Mane Tsandilyan an ihrem Ministerinnenstreibtisch in Bergkarabach Foto: Tigran Petrosyan

Dafür legen die Menschen Bescheinigungen von Gemeindevorstehern, Quittungen für Nebenkosten, Heizung und Wasser, Geburtsurkunden, Schulabschlusszeugnisse und Kitabescheinigungen vor. Die haben sie wochenlang gesammelt.

Die Trauer über den Verlust der Heimat hat nachgelassen. Doch die Menschen sind zornig. Alle fünf Minuten kommt jemand herein, um mit der neuen Ministerin persönlich zu sprechen. In den Korridoren wird es immer lauter. Tandilyan wechselt den Raum. Sie geht zu den Leuten und stellt sich vor. Vor allem Männer umringen sie, so wie hungrige Wölfe ihre Beute. Bullige Typen stehen in der ersten Reihe. Sie gestikulieren mit den Händen und starren Tandilyan an. Einige filmen mit ihrem Smartphone. Sie wollen Beweise, falls die Ministerin etwas verspricht. Doch das tut sie nicht.

Ein Bittsteller zur Ministerin

„Ich habe ein Haus gebaut, wo nun der Feind wohnt. Doch ich zahle seit Jahren Kredite zurück“

„Welche Sicherheitsgarantien geben Sie uns, wenn wir zurückkehren?“, fragt ein Mann. „Aserbaidschanische Soldaten patrouillieren nur wenige Meter von unserem Dorf entfernt“, ruft ein anderer. Ein Mann zieht aus seiner Manteltasche ein Stück zusammengefaltetes Papier. Er liest da­rauf notierte Zahlen vor, die angeben, wie viele Hundert Hektar Weizen- und Gerstenfelder er verloren habe. „Ich will eine Entschädigung“, sagt er. Das fordert auch sein Nebenmann: „Ich habe ein Haus gebaut, wo nun der Feind wohnen wird. Doch ich zahle seit Jahren Bankkredite zurück.“

Ein Mann steht die ganze Zeit mit erhobenem Zeigefinger in der Mitte. Seine grau-weißen Haare und sein gleichfarbiger Bart sowie tiefe Falten im Gesicht lassen sein Alter erahnen. Er steckt in einer Jacke aus Schaffell, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Keiner lässt ihn zu Wort kommen, bis er plötzlich laut wird. „Ich finde meinen Sohn nicht“, sagt er. Plötzlich verstummen alle Gespräche. Nur der Vater des vermissten Soldaten erhebt seine Stimme aufs Neue: „Ich weiß bis heute nicht, ob mein Sohn tot ist oder gefangen genommen wurde“, sagt er und erhebt wieder drohend den Zeigefinger.

Ein Mann gegenüber der Ministerin

„Ich weiß nicht, ob mein Sohn tot ist“

„Die Administration des Premierministers schickt mich zum Verteidigungsministerium. Dort verweisen sie mich an das Büro des Roten Kreuzes. Niemand redet mit mir. Wohin soll ich denn noch gehen? Geben Sie mir doch eine Auskunft!“, sagt er und wartet gar nicht erst auf eine Antwort. „Ihr seid schuld, ihr – die Regierung, dass wir in eine solche schreckliche Situation geraten sind“, sagt er.

Der Konflikt: Der Streit um Bergkarabach geht auf das Jahr 1918 zurück. Armenien und Aser­baidschan erhoben in der Folge Anspruch auf das Gebiet. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion ruhte der Konflikt. 1991 erklärte sich Bergkarabach für unabhängig, wurde jedoch international von keinem Staat anerkannt.

Der erste Krieg: Von 1991 bis 1994 führten Armenien und Aserbaidschan Krieg um die umstrittene Region, in dem es auf beiden Seiten zu Pogromen kam. Armenien eroberte schließlich neben Bergkarabach auch umliegende Gebiete. Russland vermittelte einen Waffenstillstand. Die Kämpfe forderten zwischen 25.000 und 50.000 Menschenleben.

Internationale Vermittlung: Die Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammen­arbeit in Europa (OSZE), der die USA, Frankreich und Russland angehören, versuchen bisher vergeblich, eine Konfliktlösung zu vermitteln.

Armeniens Niederlage: Der zweite Krieg bricht am 27. September 2020 aus. Die Türkei unterstützt Aserbaidschan. Moskau vermittelt in der Nacht vom 9. auf den 10. November einen Waffenstillstand. Armenien verliert sieben Gebiete um Bergkarabach und einen Teil von Bergkarabach selbst. Offiziellen Angaben zufolge sind über 5.000 Tote zu beklagen. Hunderte Menschen werden noch vermisst oder befinden sich in Gefangenschaft. (taz)

Tandilyan fehlen die Worte, sie entschuldigt sich. Mehr kann sie nicht tun. Es gibt noch tausend Fragen, aber sie muss gehen. Schnell läuft sie die Treppen hinunter. Einige Grüppchen folgen ihr noch ein paar Stufen hinab und brüllen dann hinter ihr her. „Sie verarscht uns, wie all die anderen Politiker“, schreit ein Mann. „Erzählt uns keinen Scheiß!“, brüllt ein anderer.

Unten wartet Tandilyans Fahrer in einem schwarzen Nissan. „Zum Warenlager“, sagt sie. Den zentralen Republikplatz will sie weiträumig umfahren. Dort demonstrieren jeden Tag oppositionelle Kräfte. Sie fordern den Rücktritt von Premierminister Nikol Paschinjan. Er war 2018an die Macht gekommen und als Held gefeiert worden. Doch jetzt ist er der Sündenbock. Die Leute geben ihm die Schuld an der schmachvollen Kapitulation.

Menschen beladen ein Auto

In der Sammelstelle für Hilfsgüter in der armenischen Hauptstadt Erivan Foto: Tigran Petrosyan

Viele haben das Vertrauen in staatliche Institutionen verloren und fühlen sich betrogen. Tandilyan hat dafür eine Erklärung. Nicht nur Paschinjan sei schuld: „Der Kampf gegen Korruption wird seit Jahren von Politikern geführt, die selbst korrupt sind. Seit dreißig Jahren sind Beamte und die Generalität auf Kosten unserer Steuerzahler immer reicher geworden. Sie besitzen Villen und private Schlösser, und das in diesem armen Land“, sagt sie. „Heute sind diese Leute die Opposition, die auf dem Republikplatz demonstriert. Sie wollen nur wieder an die Macht kommen, sonst nichts.“

Der Sammelplatz für Spenden

Am Stadtrand von Jerewan, auf einem verlassenen Fabrikgelände aus Sowjetzeiten, werden Spenden gelagert. Menschen suchen sich Kleidung aus. Kisten voll mit Schuhen stapeln sich hier, zwei Kleinkinder spielen damit. Sie ziehen einzelne Schuhe heraus und lachen. Der Verlust von Hab und Gut ist kein Thema. Stattdessen huscht ein Lächeln über die Gesichter der Menschen, wenn sie eine passende Hose oder eine warme Jacke finden. Lust zu reden hat niemand – und wenn doch, dann nur, um sich zu bedanken. Eine Gruppe von Freiwilligen entlädt ein Auto voller Decken. Einige Familien holen die Decken direkt dort ab, der Rest kommt ins Lager.

Tandilyan trägt einen langen grauen Mantel, der bis zu ihren Stiefeln reicht. Um ihren Hals hat sie einen Schal gebunden. Sie ist groß und dünn, ihre langen Haare sind erdbeerfarben.

Ihre Assistentin, die ihr auf Schritt und Tritt folgt, hat offensichtlich einen ähnlichen Geschmack. Auch sie ist mit einem langen Mantel bekleidet und hat ähnlich gefärbte Haare. Araqsya Grigoryan ist 37 Jahre alt und Tandilyans Vertrauensperson Nummer eins. Sie ist mit ihr nach Stepanakert, der Hauptstadt von Bergkarabach, gezogen. Die zwei teilen sich eine Wohnung.

Hilfe aus Zypern

Hagob Ipdijian wendet sich an die beiden Frauen. Der 33-jährige Armenier ist vor zwei Wochen von Zypern nach Armenien geflogen. Die dortige armenische Gemeinde habe bereits zwei Flugzeuge mit medizinischen Hilfsgütern in das Mutterland geschickt. Nun will Ipdijian auch nach Bergkarabach fahren. „Wir lassen die Arme­nie­r*in­nen dort nicht allein“, sagt er. Die zypriotische armenische Diaspora-Gemeinde wolle ein Rehabilitationszentrum in Bergkarabach finanzieren. Griechisches und armenisches medizinisches Personal, etwa 60 Personen, werde demnächst von Zypern nach Bergkarabach reisen. Tandilyan gibt ihm die Hand. Sie vereinbaren ein Treffen in Stepanakert.

Ministerin Mane Tandilyan war im privaten Sektor tätig, bevor sie in die Politik ging. 1999 absolvierte sie die historische Fakultät der Pädagogischen Universität von Jerewan mit einem Bachelor in Pädagogik. „Damit konnte ich als Geschichtslehrerin arbeiten, vor allem, weil mein Vater damals eine Schule leitete“, erzählt sie später, nach der Ankunft in Stepanakert. „Ich wollte aber besser leben und mehr verdienen als die 180 Euro, die eine Lehrerin monatlich bekommt“, sagt sie und fügt hinzu: „Das Gute dabei ist, dass ich das früh verstanden habe.“

Mit 21 Jahre begann sie ein Masterstudium für Business Administration an der amerikanischen Universität in Jerewan. Ihr Ziel war es, in der Buchhaltung eines Unternehmens zu arbeiten. „Jeder Unternehmer braucht guten Spezialist*innen, die sich im Finanzwesen auskennen. Das läuft anders als im staatlichen Sektor in Armenien, wo man durch Bestechung einen Job bekommt – egal ob als Lehrerin oder Buchhalterin.“

Tandilyan leitete die Buchhaltung erfolgreicher Unternehmen in Armenien. Zugleich begann ihre Karriere in der Politik. 2018 wurde sie zur Ministerin für Arbeit und Soziales der Republik Armenien ernannt – die einzige Frau in der Regierung von Nikol Paschinjan. Sechs Monate später trat sie zurück, weil sie die Rentenreform ablehnte. „Diese Reform wendet sich gegen die Bürger*innen, da sie Pflichtbeiträge zahlen müssen“, lautete ihre Begründung.

Viele Menschen im Büro

Gedränge im Büro: Männer klagen der Ministerin ihr Leid Foto: Tigran Petrosyan

Im August 2020 legte sie auch ihr Parlamentsmandat nieder, genauso wie den Posten der Vizevorsitzenden der Partei Leuchtendes Armenien – aus „gesundheitlichen Gründen“, wie es hieß. „Ein Verlust für die armenische Politik“, schrieben armenischen Journalist*innen damals. Die Oppositionspartei Leuchtendes Armenien hat seitdem an Gewicht verloren, denn Tandilyan war ein Aushängeschild ihrer Partei – eine begnadete Rednerin im Parlament, vor der alle Respekt hatten.

Warum ist sie jetzt wieder in die Politik zurückgekehrt? „Weil die Wurzeln aller Probleme politisch sind“, sagt Tandilyan. Sie könne nicht wegschauen, wenn sie wisse, dass sie helfen könne. So zieht sie nach dem Krieg nach Stepanakert. Allein. Und die Familie? Ihr Mann und ihre zwei Söhne leben schon seit mehreren Jahren nicht mehr in Armenien. Von sich selbst sagt sie: „Ich bin keine alleinstehende Frau, ich lebe nur allein in Armenien.“ Über ihr Privatleben mag sie nicht reden. Sie habe ihren Kindern versprochen, sie aus dem öffentlichen Leben ihrer Mutter in Armenien herauszuhalten. „Beurteilen Sie mich danach, was ich als Politikerin tue“, sagt Tandilyan. In Stepanakert hat sie eine neue Heimat gefunden.

In Stepanakert ist wenig vom verlorenen Krieg zu spüren

Wer nichts von dem Krieg weiß, käme in der Hauptstadt von Bergkarabach nicht auf die Idee, dass hier bis vor gut einem Monat gekämpft wurde. Alle Geschäfte sind geöffnet. Überall wird gebaut – einige Wohnhäuser sowie eine Schule und das Krankenhaus waren Ziele aserbaidschanischer Angriffe. Die zentrale Straße heißt nach wie vor Azatamarikner – benannt nach Freiheitskämpfern.

Überall ist es blitzsauber, die Ausfallstraßen sind wie geleckt. Zu beiden Seiten der Azata­marikner-Straße warten Cafés und Bäckereien auf Kundschaft. Frauen vertreiben sich plaudernd die Zeit in Schönheitssalons, bis sie an die Reihe ­kommen. Auch die Zentralbibliothek ist ­geöffnet.

An jeder Ecke steht ein Bankautomat, davor lange Schlangen. Was ins Auge sticht, sind die russischen Flaggen, die an den Fahrzeugen der Friedenstruppen flattern. „Die Russen haben uns gerettet“, dieser Satz ist häufig zu hören. Allein 10 Millionen Euro Finanzhilfe hat der Kreml für die Vertriebenen zur Verfügung gestellt.

Die Straße der Freiheitskämpfer führt bis zu einem alten, dreistöckigen Gebäude aus rötlich-­violettem Tuffstein, dem Ministerium für Soziales. An der Eingangstür hängt ein Schild, darauf stehen Uhrzeit und Ort, an dem kostenlos warmes Essen ausgegeben wird.

Tandilyan erscheint täglich um neun an ihrem Arbeitsplatz. Sie bleibt dort bis zehn Uhr abends, auch am Wochenende. Im Büro ist es eng. An der Wand hinter ihrem Bürosessel hängt eine große Karte von Bergkarabach, die seit einem Monat veraltetet ist, denn die Region ist merklich geschrumpft. Dafür ist die Landesflagge, die vom Boden bis zum Decke reicht, umso größer.

Tandilyan will schnell sein. Sie kennt das aus der Privatwirtschaft. „Das Business wartet nicht“, sagt sie. Doch sie selbst muss oft warten, bis ihre Mitarbeiter*innen per Hand einen Brief oder Referenzen geschrieben haben und ihr zur Unterschrift vorlegen. Sie hätten keine E-Mail-Adressen, die interne Kommunikation im Ministerium sei lahmgelegt. Es fehle nicht nur eine korrekte Datenbank, sondern es gebe überhaupt keine. „Die Bürokratie stiehlt meine Zeit“, sagt sie. Aber anders gehe es derzeit leider nicht.

Mädchen sind besser, meint die Ministerin

Tandilyan sagt: „Im Allgemeinen sind Mädchen in der Ausbildung weiter fortgeschritten als Jungen. Weil Mädchen fleißiger, gewissenhafter, fürsorglicher, konsequenter und weitsichtiger sind. Diese Eigenschaften sind auch in der Politik gefragt. Doch dort gibt es zu wenige Frauen. Deshalb funktionieren die staatlichen Institutionen bisher auch noch nicht richtig.“

Sie will das Stereotyp zerstören, dass Entscheidungsträger in der armenischen patriarchalischen Gesellschaft nur Männer sein dürfen. „Es ist nicht nur eine Aufgabe von Männern, sich in der Politik zu engagieren. Die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Deshalb sollten Frauen Entscheidungen mitgestalten. Der Ausschluss von Frauen von der Politik stört das politische Gleichgewicht, was zu falschen Entscheidungen führt. Deshalb erzielen wir keine Ergebnisse.“

Eine Frau von beträchtlichem Körperumfang kommt herein. Sie hat Mühe, sich aufrecht zu halten. Sie habe Schmerzen im Bein, deshalb könne sie nicht mehr warten, sagt sie. Ihr Mann sei gestorben, ihr Sohn behindert. Sie sei hier, um finanzielle Hilfe zu bekommen. Ihr Antrag sei noch nicht abgelehnt worden, doch die Zeit dränge. Vielleicht könne die neue Ministerin ihr Problem lösen? Erst als sie ein Ja von der Ministerin hört, geht sie nach Hause. Morgen wird sie wohl wiederkommen. Solche Besuche hatte Tandilyan öfter.

„Jeder will Geld“, sagt Tandilyan. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Bergkarabach seien Staatsangestellte. Tandilyan will deswegen die private Wirtschaft fördern. Eine Nähfabrik soll entstehen, in der vor allem Frauen Arbeit finden. Die Befreiung von Steuern wäre ein guter Start für den Betrieb.

„Ich werde Bergkarabach nicht im Stich lassen“, sagt sie. Dennoch schließt sie nicht aus, nach Armenien zu gehen und sich dort wieder um einen höheren politischen Posten zu bewerben. „Mir ist eines klar“, sagt sie: „Der Schlüssel zu einer Lösung der Probleme von Bergkarabach liegt in Jerewan.“

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