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Eine Baustelle und kein Ende in Sicht

15 Jahre nach Baubeginn gibt es in Südwinsen nur ein Fundament und einen Kran, der sich über den Dächern hin- und herdreht. Das Problem: Das Recht kennt bisher keine Fristen, wann ein Haus fertig sein muss

Quietschend und von unklarer Stabilität: Der Baukran in Südwinsen ärgert noch immer die Anwohner*innen Foto: Joachim Göres

Von Joachim Göres

Einen Kran, der mittlerweile 15 Jahre auf einer Baustelle steht und zum unfreiwilligen Wahrzeichen geworden ist – das gibt es vermutlich nur in Südwinsen (Landkreis Celle). „Besucher*innen sagen wir, dass sie nach dem Kran Ausschau halten sollen, dann finden sie schon zu uns“, erzählen An­woh­ne­r*in­nen mit einem gequälten Lächeln.

2004 entstand dort ein Neubaugebiet. Alle Häuser sind schon lange bezogen, nur an der Baustelle mit dem rund 15 Meter hohen Kran gibt es nicht mehr als die Bodenplatte und eine Garage zu sehen. Für die Nachbarschaft ist er ein Ärgernis: Nicht nur wegen der eingeschränkten Aussicht, sondern auch, weil sich der Kranarm, der aus Sicherheitsgründen nicht arretiert werden darf, bei Wind dreht und lautes Quietschen verursacht. Zudem wächst mit jedem Jahr die Angst, dass der Kran bei einem Sturm auf die Nachbarhäuser umkippen könnte. Einige Be­woh­ne­r*in­nen haben deswegen mittlerweile ihre Schlafzimmer im Haus verlegt, um nachts keine böse Überraschung zu erleben. Andere haben einen Carport gebaut, damit nicht im Winter vom Kran Eiszapfen auf ihr Auto fallen. Die Nach­ba­r*in­nen stellen immer wieder eine Frage: Wann verschwindet dieser nutzlose Kran endlich?

Darauf hat auch Winsens Bürgermeister Dirk Oelmann keine Antwort. Sein Problem: Die niedersächsische Bauordnung kennt keine Fristen, bis wann ein Bauwerk fertiggestellt sein muss. Derzeit beschäftigt der Kran das Verwaltungsgericht Lüneburg. Die Gemeinde Winsen/Aller hatte den Bauherren aufgefordert, den Kran abzubauen, ansonsten werde die Gemeinde für den Abbau sorgen und ihm die Kosten in Rechnung stellen. Dagegen legte der Bauherr Widerspruch vor Gericht ein. Parallel wollte die Gemeinde nachweisen, dass die Standsicherheit des Krans gefährdet sei. „Wir haben aber keinen Statiker gefunden, der die Überprüfung übernehmen wollte“, sagt Oelmann.

Laut Deutschem Städte- und Gemeindebund machen auch die anderen Bundesländer in ihren Bauordnungen keine Angaben darüber, bis wann ein Bauprojekt beendet sein muss. Der Kran von Südwinsen sei aber ein sehr seltener Einzelfall. „Es kommt schon mal vor, dass dem Bauherren das Geld ausgeht, doch dann wird das Grundstück in der Regel weiterverkauft und es geht auf der Baustelle weiter“, sagt Referatsleiter Bernd Düsterdiek. Er sieht deshalb keine Notwendigkeit für Veränderungen im Baurecht. Gleichzeitig verweist er darauf, dass gerade Großstädte immer häufiger beim Verkauf von kommunalem Bauland im Vertrag den Käufer verpflichten, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Bauprojekt zu beenden – inklusive der Androhung von Vertragsstrafen bei Verzögerungen beziehungsweise der Rückübertragung des Grundstücks an die Kommune. So soll der Gefahr begegnet werden, dass ein attraktives Grundstück nur gekauft wird, um auf einen Wertzuwachs zu spekulieren und es Jahre später unbebaut mit Gewinn weiterzuverkaufen.

Die Rechtmäßigkeit solcher Regelungen hat Ende 2018 das Oberlandesgericht Köln in einem Urteil (Aktenzeichen 3U53/18) bestätigt. Die Stadt Köln hatte ein Grundstück verkauft, mit der Auflage, dort innerhalb von zweieinhalb Jahren ein Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage zu errichten und so eine Baulücke zu schließen. Laut Vertrag sollten nach Ablauf der Frist pro Monat 10.000 Euro bei Nichtfertigstellung des Gebäudes fällig werden.

Da auch sieben Jahre nach Ablauf der Frist nichts von dem vereinbarten Bauwerk zu sehen war, verlangte die Stadt Köln insgesamt 840.000 Euro von dem Käufer. Der wehrte sich mit dem Argument, die Strafe sei angesichts des Kaufpreises für das Grundstück in Höhe von 520.000 Euro nicht angemessen; zudem sei sie sittenwidrig, da auch die Voreigentümer dort nicht gebaut hätten. Das Gericht bestätigte dagegen den Anspruch der Stadt Köln auf Erhalt der Vertragsstrafe von 840.000 Euro und erklärte: „Diese Bauverpflichtung hat der Beklagte bewusst und willentlich übernommen, als er das Grundstück von dem Verkäufer erwarb. Es ist daher ein legitimes Recht der Klägerin, auf der Einhaltung dieser vertraglichen Verpflichtung zu bestehen.“

„Ich bin guter Hoffnung, dass wir recht bekommen“

Dirk Oelmann, Bürgermeister

Ein neues Gesetz soll es demnächst Kommunen erleichtern, Grundstücksbesitzer zum Bauen zu verpflichten. Anfang November hat das Bundeskabinett einen Entwurf für das Baulandmobilisierungsgesetz beschlossen, das neben einem erleichterten Vorkaufsrecht der Kommunen und der Beschränkung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen auch ein Baugebot umfasst: Nach der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat hätten Städte und Gemeinden mehr Möglichkeiten, von Brachflächen-Ei­gen­tü­me­r*in­nen, die bislang auf die Wertsteigerung von erworbenen Grundstücken spekulieren und sich deshalb mit dem Bauen Zeit lassen, die Bebauung zu verlangen.

Diese Regelung ist für Gebiete mit hohen Mieten und knappen Wohnraum vorgesehen, die von den jeweiligen Landesregierungen festgelegt werden. In Niedersachsen sind das ab 2021 Braunschweig, Gifhorn, Göttingen, Hannover, Laatzen, Langenhagen, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück sowie die ostfriesischen Inseln.

Das Gesetz hilft den An­woh­ne­r*inn­nen in Südwinsen also nicht weiter, die sich an den Anblick des Krans gewöhnt und mittlerweile auch weitgehend resigniert haben. Bürgermeister Oelmann will sich aber noch nicht abfinden: „Ich bin guter Hoffnung, dass wir vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg recht bekommen und der Kran dann verschwindet.“