Film-Musical „The Prom“: Gott schuf auch Queere

Vorhang auf für ein lesbisches Coming-out: Das hemmungslos dem Kitsch frönende Musical „The Prom“ erzählt vom Kampf gegen Homophobie.

Dee Dee Allen (Meryl Streep) und Barry Glickman (James Corden) tanzen auf dem Tisch, andere Menschen in Ballkleidung tanzen um sie herum

Dee Dee Allen (Meryl Streep) und Barry Glickman (James Corden) zeigen vollen Einsatz in „The Prom“ Foto: Netflix

Musicals sind nicht erst seit den 60ern politisch. Damals begann man zwar erstmals, laut auszusingen, was einem an menschenrechtsbewegten Inhalten auf der Seele brannte: „I’m black/ I’m black – I’m pink, I’m pink/ I’m Rinso white/ I’m invisble /Ain't got no home – So/ Ain't got no shoes – Poor“, so beginnt „I’m Black“ aus dem 1967 entstandenen Musical „Hair“.

Aber den Kosmos der Macher*innen, der Tänzer und Sängerinnen, der Choreografen und Kostümbildnerinnen bildeten schon früher queere Menschen, oft genug mit Diskriminierungserfahrungen.

Dass ein Musical in diesem Jahrzehnt sein Drama noch immer aus einem (lesbischen) Coming-out erwachsen lässt, ist dennoch nicht unrealistisch: „Don’t be gay in Indiana“ singt, vielmehr seufzt die High-School-Schülerin Emma (Jo Allen Pellman) in der soeben auf Netflix gestarteten Filmadaption des Musicals „The Prom“, das vier Jahre zuvor seine Bühnenpremiere feierte.

Abgehalfterte Musicaldarsteller*innen

Unter der Regie des Fernsehregisseurs Ryan Murphy gerät Emmas Problem (die homophobe Elternsprecherin will den Abschlussball abblasen, sollten Homosexuelle teilnehmen) in den Fokus einer Gruppe Menschen, die das genaue Gegenteil der kleinkarierten Hoosiers, der Einwohner*innen Indianas, bilden: die abgehalfterten Musicaldarsteller*innen Dee Dee Allen (Meryl Streep) und Barry Glickman (Jams Corden) sowie das glücklose Chorus-Girl (beziehungsweise Chorus-Woman) Angie (Nicole Kidman) und der ehrgeizige Trent (Andrew Rannells).

„The Prom“. Regie: Ryan Murphy. Mit Meryl Streep, Nicole Kidman u.a. USA 2020, 131 Min. Läuft auf Netflix

Die vier New Yorker*innen suchen nach einer weiteren, von der Presse verrissenen Premiere nach einer Möglichkeit, ihr Image aufzupolieren – und stoßen bei Twitter auf Emmas Kampf gegen die selbsternannten Moralist*innen Indianas. „Let’s change lives, one lesbian at a time“, singen die vier in der Exposition zum Abenteuer. Und machen sich auf ins Kaff, um Emma zu unterstützen – im Gepäck flamboyante Kleidung, schwules Selbstbewusstsein und jede Menge eigene Probleme.

Angesichts der nach wie vor schwierigen bis gefährlichen Situation für queere Menschen in vielen Teilen der Welt und der USA ist der Kern von „The Prom“ also durchaus aktuell – genau wie die Nebenhandlungen, die die Autoren von Film und Originalmusical Chad Beguelin und Bob Martin ihrer Geschichte in etwas zu reicher Fülle mitgeben: Neben Emmas Selbstermächtigungs-Task und dem Coming-out ihrer Freundin ist es Barrys Aufgabe, sich mit seiner Mutter zu versöhnen; Angie muss aus dem Schatten der Vortänzer*innen heraus; und Dee Dee, die Meryl Streep mit weniger Diven-Verve gibt als erwartet, hat die dickste To-do-Liste auf ihrem Teller.

Die alternde Narzisstin

Sie ist Narzisstin, was dem Film die besten und subtilsten Gags beschert („Die New York Times bezeichnet dich als alternde Narzisstin!“ – „Ich verstehe nicht, was daran so schlimm ist!“), und ihr Herz wurde einst gebrochen – und so kann man vergnügt miterleben, wie eine Narzisstin langsam erkennt, dass es einen Unterschied zwischen „Fan“ und „Freund“ gibt.

Dass das konservative Indiana nach klassisch-US-amerikanischer Manier am Ende unter anderem mit der Hilfe Gottes überzeugt wird – denn hat ER nicht auch die queeren Menschen erschaffen? –, passt dagegen zu einer gewissen Altbackenheit der Produktion. Auch in musikalischer Hinsicht: „The Prom“ bedient sich ebenso deutlich beim „All That Jazz“-Komponisten John Kander wie bei „Hair“. Darauf wird viel und zum Teil angenehm ulkiger Text gesungen und in den Musical-Standards (Solo, Duett, Ensemble) professionell getanzt.

„The Prom“ ist also schon okay. Der Film bläst mit seiner Überdeutlichkeit und seinen zu vielen, zu langen Nummern zwar keinen Beaufort mehr Wind in die Musicalszene. Aber: Das Maß an selbstbewusstem Kitsch ist fast schon wieder revolutionär.

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