Reisen war und bleibt gefährlich: Vergesst Venedig!

Corona ist auch ein Warnschuss für die Reisesüchtigen unter uns. Zu Hause bleiben schont nicht nur die Nerven, es ist auch gesünder.

Eine Frau in wasserfester Kleidung watet durch's Wasser auf dem überfluteten Markusplatz in Venedig

Überfluteter Markusplatz: Reisen war und bleibt gefährlich – bleibt zu Hause … Foto: Anteo Marinoni/ap

Corona kam gerade noch rechtzeitig, nicht wahr? Bis dahin seid ihr durch die Welt gedüst, getippelt und gestrampelt wie alle anderen auch. 120 Kilometer Stau am Kamener Kreuz, drei Stunden Wartezeit auf den ICE und auf Mallorca deutet sich ein Streik des Bodenpersonals an – Peanuts! Nichts konnte euch abhalten.

Aber wolltet ihr das wirklich: „Waldbrände in Kalifornien – alle Urlauber evakuiert. Fähr­un­glück vor Ko Samui – Urlauber sitzen fest. Lebensmittelvergiftung auf der Southern Princess – Urlauber kotzen um die Wette“ – mal ehrlich: Passte das nicht viel besser in die „Tagesschau“ als in euer wirkliches Leben?

Doch ihr habt alle Warnungen ignoriert. Seid durch Sümpfe gestapft, habt auf welligen Käsebroten herumgekaut und halb kriminelle Taxifahrer alimentiert. Warum nur, warum wart ihr unermüdlich dabei? Was, glaubtet ihr, hätte die Welt, was Marzahn, Lindenberg und Bergedorf nicht böten?

Das Abenteuer hättet ihr gesucht? Die Essenz menschlicher Existenz, den nackten Kampf ums Dasein. Wie – noch nie bei Aldi das Band vollgepackt und dann lag das Portemonnaie zu Hause?

Atemberaubenden kulinarischen Herausforderungen wolltet ihr euch stellen? Weshalb nicht das XXXL-Jägerschnitzel im Gildestübchen? Fremde Gesellschaften mit bizarren Riten erkunden? Hätte es nicht der nächste Golfclub auch getan? Nein, es war mehr, sagt ihr.

Unerträglich, dieses endlose Gesülze

Vor den Kolleginnen und Kollegen, die verreisten, hättet ihr euch nicht blamieren wollen. Diese unsagbar türkisgrünen Buchten, die unaufessbaren Berge von Scampi und jene unglaublich umwerfenden Discojungs auf Fuerteventura, von denen sie schwärmten – all dies endlose Gesülze, und ihr, unvorstellbar, hättet da nichts beizusteuern gehabt?

Dabei ahntet ihr doch schon damals die Wahrheit: Alle Urlauber lügen. Alle protzen. Alle saufen sich ihre drei schrecklichen Wochen schön. Und selbst wenn – wie hätten derlei Lappalien mithalten können mit der Knollenpracht, mit der Balkonradieschen den Daheimgebliebenen ihre sommerliche Anwesenheit danken?

Ihr wusstet das. Aber ihr habt alle Warnungen in den Wind geschlagen. Ihr habt gesucht. Und habt gebucht. Wieder und wieder habt ihr euch als beratungsresistent erwiesen. Zur Selbstqual scheint ihr geboren, zum Leiden gemacht. Welch ein alljährlich wiederkehrender Jammer das war.

Doch damit hat es jetzt ein Ende. Endlich dürft ihr bekennen, unumwunden und endlos erleichtert: Die Welt an sich ist schlecht. Die Welt da draußen aber, in der Reisende sich tummeln, ist ein roher Dschungel, ein Jammertal, ein Ort vielfältigster Fähr- und Kümmernisse. Die Zahl der Schrecken ist Legion, ihre Namen sind: Bangkok, Kiew, Papenburg, Antananarivo, Sankt Moritz … – und es hat und hat kein Ende. Sicher, schon bald werden wieder jene Stimmen ertönen, die beredt davon schwätzen, wie erhebend es doch sei, dass man endlich wieder unbeschwert wegfahren, -fliegen und -wandern dürfe. Und wie sehr man das alles vermisst habe.

Bleibt zu Hause.

Ohren zu. Hört nicht auf sie. Seid gütig zu euch selbst und bleibt zu Hause. Wegfahren ist nix für euch. Reisen macht einsam und verstört – schon vergessen?

Amerikanisches Frühstück, französische Schalterbeamte und deutsche SUV-Fahrer – das ist die Fratze, mit der die Welt dem Reisenden gegenübertritt. Hautkrebs liegt in der Luft und Heimweh zieht durchs Gemüt. Den Untergang auf Raten erlebt ihr unterwegs, nichts anderes. Denkt daran: Die Tage der Befreiung sind da. Nie mehr müsst ihr hinaus in dieses feindliche Leben. Die Schlammbrühe vor Lloret de Mar, die orthopädischen Praxen von Kitzbühel, die Kuttelsuppen von Sindelfingen und die viel zu heißen Quellen auf Island, sie sehen euch nie wieder.

Lehnt euch zurück, pflegt eure Bienenstöcke, jätet die Salatbeete, und sollte euch wirklich noch etwas fehlen, schaltet „mare TV“ an. Bleibt hart. Vergesst Venedig. Lasst Lhasa liegen. Andorra aus den Augen, Sacramento aus dem Sinn. Auch wenn es wieder möglich werden sollte – verreist nicht! Reisen war und bleibt gefährlich. Es könnte euren Horizont erweitern.

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