Wenig krachend ins neue Jahr

Nicht unbedingt überall still, aber doch deutlich ruhiger als sonst zum Jahreswechsel: Böllerverbot und sonstige Coronamaßnahmen machen sich Silvester positiv bemerkbar, Innensenator bedankt sich bei BerlinerInnen

Von Claudius Prößer
und Uta Schleiermacher

Silvesterimpressionen aus Nordneukölln: Dort, wo in normalen Jahren kriegsähnliche Szenen zu beobachten sind, herrscht diesmal ungewohnte Stille. Auf den großen Verkehrsadern ist kaum ein Mensch unterwegs. Dafür ist teils sogar das Knistern von Wunderkerzen zu hören, die auf Balkonen abgebrannt werden. In der Sonnenallee steht ein kleines Grüppchen, die vier haben ihr Jahresendmenü kurz unterbrochen, um vor dem Dessert auf der Straße anzustoßen: „Möglichst viele Gänge essen, um Zeit zu schinden“, beschreiben sie ihre Taktik an diesem seltsamen Abend.

Vor einem Späti in der Hermannstraße schauen gegen Mitternacht ein paar Freunde des Besitzers vorbei. Ein Dutzend Polizist*innen patrouilliert, hier ist eine der Böllerverbotszonen, die es zu kontrollieren gilt. Als sich zwei weitere Freunde zur Späti-Gruppe gesellen, kommt einer der Ordnungshüter: „Maximal zu zweit, die anderen ab nach Hause.“ Die Angesprochenen ärgern sich: „Warum sprechen sie dauernd uns an, aber andere, die hier mit Getränk die Straße langlaufen, nicht?“ Sie erzählen von Polizeikontrollen im Alltag, die sie als Schikane empfinden. Und sie sind erstaunt über das ruhige Silvester. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Leute sich dran halten“, sagt einer.

Ganz so still ist es in den Seitenstraßen dann aber auch nicht. Dort, wo es weniger übersichtlich ist und das Böllern offiziell nicht untersagt, stehen immer wieder Grüppchen von Ballerwütigen, die entweder einen großen Vorratsschrank voll Pyrotechnik besitzen oder sich in Polen mit Feuerwerk eingedeckt haben. Zwar wird insgesamt viel weniger Material abgebrannt als sonst, die ortsüblichen Abschusstechniken – Rakete quer über die Straße, Kanonenschlag unters Auto – lassen sich aber weiterhin beobachten. Unweit des Richardplatzes steht eine größere Gruppe in einem Hauseingang, ein Kind feuert eine ohrenbetäubende Salve aus einer Schreckschusspistole ab.

Nur 211 Brände

Am Neujahrsmorgen ist die Bilanz des Innensenators Andreas Geisel (SPD) und der Polizei dennoch positiv. Die überwiegende Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner habe sich verantwortungsbewusst verhalten. „Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken“, sagte Geisel. Die Polizei teilte mit, dass es zwar einige Angriffe auf Polizisten gegeben habe, aber kein Beamter schwer verletzt worden sei. Die Feuerwehr, die mit rund 1.500 Kräften im Einsatz war, dokumentierte 862 Einsätze zwischen 19 und 7 Uhr. In der Silvesternacht 2019 hatte sie noch fast doppelt so oft ausrücken müssen. 211 Brände mussten gelöscht werden (im Vorjahr: 617), 5-mal (statt 24-mal) kam es zu Übergriffen auf Einsatzkräfte, 4 davon mit Pyrotechnik.

Deutlich weniger als sonst, aber auch nicht nichts: Das trifft auch auf Berlins Krankenhäuser und Rettungsstellen zu. Allein im Unfallkrankenhaus Berlin in Marzahn mussten Handchirurgen 10 von Sprengkörpern verletzte Menschen notoperieren. Bei zwei der Patienten wurden Teile der Hände amputiert, so eine Sprecherin der Klinik. In den anderen Fällen habe es sich um Brandverletzungen, Fleischwunden oder Knochenbrüche an der Hand gehandelt.

Alkohol verknappt

Völlig neu für die Menschen in der Partystadt Berlin war das Alkoholabgabeverbot, das am Silvestertag um 14 Uhr in Kraft trat. In Supermärkten wurden die Bier-, Wein- und Schnapsregale mit Plastikfolien verhüllt oder gleich ganze Gänge mit massiven Holzpaletten blockiert.

Natürlich hielten sich nicht alle an die ungewohnte Bestimmung zur Pandemiebekämpfung. „An einer Absperrung in Mitte fuhr unseren Kollegen ein betrunkenes Pärchen auf E-Scootern in die Arme“, twitterte die Polizei kurz vor 23 Uhr. „Beide waren sehr redselig und verrieten, dass sie den Alkohol aus dem Späti um die Ecke hatten. Unsere Kollegen fuhren dort auch gleich hin und machten den Laden dicht.“

Am wenigsten zu tun im Vergleich zu gewöhnlichen Jahren hat wohl die Berliner Stadtreinigung: Auf den Straßen liege deutlich weniger Silvestermüll als sonst, der „Spezialeinsatz Neujahrsreinigung“ könne diesmal ausfallen, nur die „normale Feiertagsbesetzung“ von 260 Beschäftigten und 80 Fahrzeugen sei im Dienst – halb so viele wie sonst nach Silvester. (mit dpa)

das bleibt