: Immer öfter Grund zur Klage
Hunderte Eingaben landen bei der Beschwerdestelle für Mädchen und Jungen in Kiel
Karin Erhard, IG BCE
Eine Überwachungskamera im Badezimmer, Beleidigungen von Betreuer*innen, Kakerlaken in der Unterkunft – über solche Zustände beschweren sich Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein. 615 Eingaben hat die Beschwerdestelle binnen zweier Jahre entgegengenommen. Das waren 2018 und 2019 fast 200 mehr als im ersten Berichtszeitraum 2016/2017, wie die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Samiah El Samadoni, in Kiel bei der Vorstellung ihres zweiten Tätigkeitsberichtes sagte.
Die Ombudsfrau in der Kinder- und Jugendhilfe führte die Steigerung vor allem darauf zurück, dass sich die Beschwerdestelle zunehmend als Ansprechpartnerin etabliere. Allein 247 Beschwerden in den Jahren 2018 und 2019 bezogen sich auf die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen besonders in Heimen und Wohngruppen. Dabei ging es um das Verhalten von Betreuer*innen ebenso wie um hygienische Bedingungen und den Einsatz von Überwachungstechnik.
In etwa 1.200 stationären Einrichtungen im Land sind laut El Samadoni knapp 7.000 Kinder und Jugendliche untergebracht. Bei der Bürgerbeauftragten gingen auch Beschwerden über Alkohol- und Drogenkonsum von Betreuer*innen, über körperliche Übergriffe und Pöbeleien ein.
Vor dem Hintergrund des Falles der 2015 wegen angeblicher Missstände geschlossenen Mädchenheime der Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof sagte El Samadoni, die Heimaufsicht sei heute viel besser aufgestellt als damals. Bei Beschwerden sei die Aufsicht binnen 48 Stunden im jeweiligen Heim. Auch sei im Umfeld stationärer Einrichtungen die Sensibilität gewachsen. „Es wird ein bisschen mehr hingeguckt.“
El Samadoni berichtete auch von unerlaubtem Einsatz von Überwachungstechnik in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. So hätten in einem Fall Mitarbeiter*innen heimlich Telefonate zwischen Kindern und ihrer Mutter mitgehört. Andere Beschwerden betrafen Kameras, die zum Beispiel im Wohnbereich und in Badezimmern der Einrichtung installiert waren.
„Es sollte bekannt sein, dass Telefongespräche ohne Kenntnis und ohne vorherige Zustimmung der Gesprächsteilnehmer*innen in aller Regel nicht mitgehört und erst recht nicht unbefugt aufgezeichnet werden dürfen“, so die Bürgerbeauftragte. Auch eine Videoüberwachung sei nur unter ganz besonderen Voraussetzungen rechtlich zulässig.
In 396 Fällen ging es um Konflikte mit den zuständigen Jugendämtern. So waren Mitarbeiter*innen nicht erreichbar, Kinder, Jugendliche oder Eltern fühlten sich nicht ausreichend verstanden oder beantragte Hilfen wurden nicht gewährt. Nach Ausbruch der Coronapandemie sei es besonders schwer gewesen, Mitarbeiter*innen zu erreichen, sagte El Samadoni. Mittlerweile funktionierten die Abläufe wieder normal.
Besonders schwierig sei der Kontakt zum zuständigen Jugendamt für Kinder und Jugendliche, die nicht aus Schleswig-Holstein kommen, aber dort untergebracht sind. Dies seien etwa 3.000, sagte El Samadoni. Sie bekräftigte die Forderung, die Schulpflicht auf diese Kinder und Jugendlichen auszuweiten. „Das Schulgesetz sollte dahingehend geändert werden, dass bereits der gewöhnliche Aufenthalt in Schleswig-Holstein eine Schulpflicht begründet.“
In 13 anderen Ländern gebe es eine entsprechende Regelung. Ohne Schulpflicht sei weiterhin zu befürchten, dass Kinder und Jugendliche teils über Jahre hinweg nur in sogenannten schulvorbereitenden Maßnahmen unterrichtet würden. (dpa)
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