Oh Zeiten,oh Sitten

Latzel-Prozess: Die Chronologie war anders verwirrend als berichtet

Von Benno Schirrmeister

Manchmal passt die Herrnhuter Losung: „Er ändert Zeit und Stunde“, stand vergangenen Freitag im Tagesspruchkalender der Pietisten. Und auch im am 20. 11. eröffneten Strafprozess gegen Martini-Pastor Olaf Latzel, angeklagt wegen Volksverhetzung, erweist sich die Chronologie als speziell. Denn laut Verteidiger Sascha Böttner war den 30 Paaren, die der Prediger vor den „Verbrechern vom CSD“ warnte, geläufig, dass die Kirche an der Weser Gegenstand von Vandalismus-Attacken geworden war. Unter anderem sei der Schriftzug „God is Gay“ auf dem Gemeindegelände angebracht worden. Auf diese Übergriffe habe sich Latzels Anwurf in seinem Eheseminar am 19. Oktober 2019 bezogen, hieß es.

Im Prozess war als Anhaltspunkt dafür eine politische Kundgebung per Kiss-In mit Erdbeersekt in einem Gottesdienst im Mai vor zwölf Jahren benannt worden – sowie Attacken aus dem Frühjahr 2020: Beide hätten kaum einen plausiblen Kontext für ein Seminar im Herbst 2019 bilden können. Daher hatte die taz die Chronologie als „verwirrend“ bezeichnet.

Laut Verteidigung ist aber der Eindruck falsch, die späteren Angriffe seien nachträglich als Kontext des Seminars gedeutet worden. Vielmehr habe es von 2009 an zahlreiche Attacken gegeben, bei denen Kirche und anliegende Immobilien beschmiert wurden. Auch der „God is Gay“-Spruch sei dabei mehrfach verwendet worden. Die letzte Attacke vor dem so genannten Eheseminar habe sich im Jahr 2018 ereignet – also immerhin zehn volle Monate vor der inkriminierten Ansprache. Den CSD bringe man bei Martini mit all dem „durch die CSD-Parolen 2008“ in Verbindung, so Böttner. Erstaunlich, denn erst seit 2017 gibt es den CSD Bremen. Ein Vorgänger-Verein wurde am 12. April 1998 von Amts wegen aus dem Register gelöscht.