„Das ist ein absoluter Tabubruch“

Die AfD schleuste Störer in den Bundestag, die Abgeordnete bedrängten und filmten.
Die anderen Fraktionen sind entsetzt. Jetzt prüft das Parlament Konsequenzen

Ort des Tabubruchs: der Reichstag in Berlin Foto: Christian Spicker/imago

Von Sabine am Orde
und Konrad Litschko

Die Störer bedrängten Abgeordnete im Bundestag, filmten und beschimpften sie – als Gäste von AfD-Politikern. Was am Mittwoch im Reichstagsgebäude geschah, hat nun ein Nachspiel. Im Ältestenrat des Bundestags drängten die Vertreter aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD darauf, alle Sanktionsmöglichkeiten zu prüfen. Es sei eine „sehr intensive Aussprache“ gewesen, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann.

Die Vorfälle im Reichstag seien ein „absoluter Tabubruch“ gewesen, der nicht hinnehmbar sei, so Haßelmann weiter. Auch ihr Kollege von der Linkspartei, Jan Korte, sprach von einem einmaligen Vorgang. „Das muss Konsequenzen haben. Und das wird auch Konsequenzen haben.“ Haßelmann forderte, dass auch Sanktionen gegen Abgeordnete geprüft würden, die dafür verantwortlich seien. „Ich glaube, dass der Tag gestern eine konzertierte Aktion war“, so die Grüne.

Nach taz-Informationen hatten die Parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen, mit Ausnahme der AfD, Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zu einer harten Reaktion gedrängt. Das ist ungewöhnlich: Normalerweise handelt das Gremium eher zurückhaltend. Die Regierungsfraktio­nen beantragten für Freitag auch eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu den Vorfällen. Die FDP-Fraktion prüft eine Strafanzeige gegen die drei AfD-Abgeordneten.

Am Mittwoch hatte die rechte Aktivistin Rebecca Sommer – parallel zur Abstimmung über das neue Infektionsschutzgesetz im Bundestag und Protesten von Coronaverharmlosern davor – Abgeordnete auf den Bundestagsfluren bedrängt und sie mit einer Kamera nach ihrem Abstimmungsverhalten gefragt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) beschimpfte sie dabei als „Arschloch“ und „aufgeblasener, kleiner Wanna-be-König“. Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle wurden von Sommer bedrängt.

Zumindest zeitweilig begleitet wurde sie von den Youtubern Ilia T. und Daniela S. sowie dem Verschwörungsideologen Thorsten „Silberjunge“ Schulte. Die Aktivisten bewegten sich unbegleitet im Bundestag und filmten einen Livestream. Laut Abgeordneten und Mitarbeitern wurde auch versucht, in Büroräume einzudringen.

Laut einem Sicherheitsbericht des Bundestags waren die vier Aktivisten von AfD-Abgeordneten eingeladen worden: Rebecca Sommer von Petr Bystron, Ilia T. und Thorsten Schulte von Udo Hemmelgarn und Daniela S. von Hansjörg Müller. Alle drei AfD-Männer stehen den Coronaprotestierenden nahe und hatten teils auch die Kundgebung vor dem Bundestag besucht.

Bystron und Müller hatten am Vormittag zunächst bestritten, die Aktivisten eingeladen zu haben. Hemmelgarn hatte eine Einladung nur für Schulte eingeräumt. Das Beschimpfen von Altmaier lehne er „komplett ab“, sagte er der taz. Auch die AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland sprachen von einem „inakzeptablen Verhalten“. Die AfD-Fraktion habe aber nie Gäste mit dem Ziel eingeladen, Abgeordnete zu behindern.

Am Nachmittag änderte der AfD-Abgeordnete Bystron seine Aussage. Rebecca Sommer sei ursprünglich von einem anderen Abgeordneten eingeladen worden, sagte er nun der taz. Als dieser erkrankt fehlte, habe sein Büroleiter „behilfsweise“ die „Journalistin“ eingeladen. Das Bedrängen von Altmaier relativierte Bystron: Rebecca Sommer habe viele Abgeordnete „interviewt“, ohne Probleme. „Dass Herr Altmaier vor ihr geflüchtet ist, zeigt, dass er unbequemen Fragen ausweichen wollte.“

Wegen der Coronaproteste hatte der Bundestag am Mittwoch seine Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Dürfen Abgeordnete sonst sechs Gäste auf eigene Verantwortung mit ins Parlament nehmen, wurden an diesem Tag alle Besucher angemeldet – und waren so klar den sie einladenden Abgeordneten zuzuordnen. Laut Sicherheitsbericht gab es bei den vier Provokateuren nur bei einer Person Einträge in der Datei der Bundestagspolizei. Diese habe beim Betreten eine polizeiliche Ansprache erhalten und sei auf die Einhaltung der Hausordnung hingewiesen worden.

Wirtschaftsminister Altmaier plane keine Strafanzeige, hieß es aus seinem Ministerium. Der CDU-Politiker äußerte sich aber „bedrückt“, dass Abgeordnete bedrängt wurden. Sommer war bereits bei Veranstaltungen der AfD und Werteunion aufgefallen und wandelte sich von einer Flüchtlingshelferin zu einer Rechtsaußen-Vertreterin.