Die Impfung der Willigen

Noch nie haben Forscher*innen in so kurzer Zeit so viele Impfstoffe gegen eine Krankheit entwickelt wie bei dieser Pandemie. Mit Erfolg: Schon in den kommenden zwei Wochen könnte es losgehen. Was steht uns damit bevor?

Eine Impf­station in den Messehallen von Husum, Schleswig-Holstein Foto: Christian Charisius/dpa

Von Paul Wruschund Felix Lee

1 Kommt die Impfung endlich? Ja, danach sieht es aus. Gleich drei Pharmaunternehmen ist es gelungen, einen Covid-19-Impfstoff zu entwickeln. Allesamt haben diese in Rekordgeschwindigkeit auch alle drei wichtigen Testphasen durchlaufen. Noch liegen die Endergebnisse nicht vor, die Zwischenergebnisse aber klingen vielversprechend. Insbesondere auf dem Impfstoff des ­Mainzer Pharmaunternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer ruhen die Hoffnungen. Mindestens genauso erfolgversprechend ist aber auch der Impfstoff des US-Konzerns Moderna. Beide Vakzine weisen nach aktuellem Stand eine Wirksamkeit von über 90 Prozent auf. Und bei beiden laufen in den USA und in Europa beschleunigte Zulassungsverfahren. Als dritter funktionierender Impfstoff wird das Mittel des schwedisch-britischen Pharmaherstellers AstraZeneca gehandelt, der mit der Universität Oxford zusammenarbeitet. Dieser Stoff ist nach bisherigem Kenntnisstand zwar etwas weniger wirksam, dafür aber kostengünstiger und wahrscheinlich auch für bestimmte Risikogruppen verträglicher. Zuletzt kamen aber Zweifel auf, weil bei den Studien gepfuscht wurde. Die Wirksamkeit steht bislang jedoch nicht infrage. Derzeit arbeiten weltweit mehr als 150 Forschungseinrichtungen an Impfstoffen gegen Covid-19. Bei rund einem Drittel laufen klinische Studien. In Russland und China wird sogar bereits geimpft. Deren Impfstoffen wird aber nicht getraut: Es liegen nur unzureichende Studien vor.

2 Wann kann es losgehen? Einen genauen Zeitpunkt gibt es offiziell noch nicht. Die Zulassungsverfahren für die drei besonders erfolgversprechenden Stoffe laufen ja noch. Doch die Entwicklungen gehen schneller voran, als noch vor einigen Wochen angenommen. Der britische Premierminister Boris Johnson geht von ersten Vergaben noch in diesem Jahr aus, ebenso sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron. Und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellt erste Impfungen in Deutschland noch für Dezember in Aussicht. Allein der noch amtierende US-Präsident Donald Trump prescht vor und kündigt erste Impfstoff-Lieferungen noch für die kommende Woche an.

3 Wie soll die Massenimpfung laufen? In Deutschland beschafft in einer ersten Phase der Bund den Impfstoff, die Länderregierungen sind für die Verteilung zuständig. Letztere haben bereits begonnen, spezielle Impfzentren aufzubauen. Denn die bislang aussichtsreichsten beiden Impfstoffkandidaten gelten als sehr empfindlich, ihre Lagerung als kompliziert. Außerdem kann in staatlich organisierten Impfzentren am ehesten sichergestellt werden, dass der Impfstoff auch wirklich zu den Zielgruppen gelangt. Mitte Dezember sollen diese Impfzentren einsatzbereit sein. In der Regel wird pro Landkreis ein Zentrum errichtet, in Großstädten wird es mehr als nur eines geben. Der Berliner Senat etwa plant sechs solcher Einrichtungen im gesamten Stadtgebiet. Zusätzlich zu den stationären Zentren soll es mobile Impftrupps geben, die etwa zu den Pflegeheimen kommen, um die besonders gefährdeten Menschen dort vor Ort zu impfen. Erst wenn ein oder mehrere Impfstoffe in großem Umfang verfügbar sind, soll die Impfung auch in gewöhnlichen Arztpraxen möglich sein.

4 Wer wird als Erstes geimpft? Die Ständige Impfkommission (Stiko, ein unabhängiges Ex­pertengremium, koordiniert vom RKI), der Deutsche Ethikrat und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben Empfehlungen dafür erarbeitet, welche Gruppen zunächst zum Zuge kommen sollen. Priorität haben ältere Personen, Menschen mit Vorerkrankungen und Beschäftigte im Gesundheitswesen. An zweiter Stelle sollen Menschen immunisiert werden, die in wichtigen Bereichen arbeiten, also Poli­zis­t*innen, Rettungskräfte, aber auch Erzieher*innen und Lehrpersonal. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat das Papier als „gute erste Grundlage“ bezeichnet. Einiges deutet darauf hin, dass er dieser Empfehlung folgen wird.

5 Wie lange wird es dauern, bis alle Willigen geimpft sind? Bis genügend Dosen für alle zur Verfügung stehen, werden einige Monate vergehen. Spahn geht von etwa einem halben Jahr aus. Doch das hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie schnell die Produktionskapazitäten aufgebaut werden können. Die Nachfrage ist weltweit groß. Deutschland hat mit Frankreich, Italien und den Niederlanden eine Impfallianz gebildet und sich den Zugriff auf Hunderte Millionen Impfdosen gesichert – mittels Verträgen mit einer ganzen Reihe von Pharmafirmen. Die Initiative ist mit der Europäischen Kommission abgestimmt und soll allen EU-Staaten zugutekommen. Über Biontech haben sich die EU-Länder den Zugriff auf mindestens 300 Millionen Impfdosen gesichert, mit Moderna, AstraZeneca und weiteren Pharmaunternehmen gibt es ähnliche Verträge. Spahn hat zudem eine nationale Vereinbarung mit Biontech über 30 Millionen Impfdosen geschlossen. Bei den am weitesten erforschten Impfstoffen sieht es danach aus, dass sich die Patienten im Abstand von mehreren Wochen zweimal impfen lassen müssen.

Simulation einer Impfung in Ulm Foto: Stefan Puchner/dpa

6 Wird es eine Impfpflicht geben? Nein, das hat Spahn mehrfach betont. Und auch Kanzlerin Angela Merkel erklärte: „Niemand wird gezwungen, sich impfen zu lassen.“ Die Pandemie kann wohl aber auch ohne Impfpflicht erfolgreich bekämpft werden. Denn um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, soll laut Spahn eine Durchimpfungsrate von 55 bis 65 Prozent ausreichen. Einer aktuellen repräsentativen Umfrage von Kantar zufolge sagen 67 Prozent der Deutschen, sie würden sich bestimmt oder wahrscheinlich impfen lassen. In einer Umfrage von Infratest dimap von Anfang November lag der Anteil mit 71 Prozent etwas höher. Auf beratungsresistente Impfgegner ist man also zum Glück nicht angewiesen.

7 Werden ­Geimpfte mehr ­Freiheiten ­bekom­men? Der Anteil der Impf­geg­ne­r*in­nen könnte allerdings abnehmen. Denn auch wenn es keine Impfpflicht geben soll, ist absehbar, dass bereits Geimpfte Vorteile im Alltag erfahren werden. So kündigte die Airline Qantas an, demnächst nur noch Personen mit Impfnachweis an Bord zu lassen. Australien und Finnland denken darüber nach, eine Einreise von einem Impfnachweis abhängig zu machen. Möglich ist auch, dass eine Impfung Voraussetzung dafür wird, im nächsten Jahr Kinos, Fußballstadien, ein Restaurant oder Konzerte besuchen zu können. Zwar ist fraglich, ob etwa Impfgegnern diese Nachteile zugemutet werden können. Andererseits können Geimpfte auch nicht dauerhaft freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ausgesetzt werden. Eine ähnliche Debatte gab es im Mai dieses Jahres über einen Immunitätsnachweis. Abgeschlossen wurde diese allerdings nicht: Ob geimpfte BürgerInnen von möglichen staatlichen Maßnahmen wie der Kontaktbeschränkung ausgenommen werden, ist noch unklar. Das Bundesgesundheitsministerium teilt auf Anfrage lediglich mit, dass „Schutzmaßnahmen weiter – und im breiten Umfang – erforderlich sein werden, solange eine starke Priorisierung bei den Impfungen noch stattfindet und Impfstoffe ein äußerst knappes Gut darstellen“. Eine rechtliche Einschätzung, ob Restaurants, Konzertveranstalter oder etwa Sportvereine den Nachweis über eine Impfung gegen Covid-19 verlangen können, um Zugang zu Veranstaltungen zu erhalten, konnte das Bundesjustizministerium bis Redaktionsschluss nicht liefern.

8 Und wann wird das Leben wieder normal? Auch wenn es mindestens ein halbes Jahr dauern wird, bis wirklich alle Impfwilligen ihre Dosen bekommen – das Leben dürfte sich schon vorher normalisieren. In Berlin etwa geht der Senat davon aus, dass in den sechs Impfzentren zwischen 15.000 und 20.000 Menschen am Tag geimpft werden können. Bis April dürften also die besonders gefährdeten Risikogruppen und das Pflege- und Ärztepersonal geimpft sein. Wenn Kinder, Jugendliche und die gesunden 20- bis 50-Jährigen bis dahin noch nicht geimpft sind, dürfte die Pandemie dennoch ihren Schrecken verlieren. Bei ihnen verläuft die Krankheit überwiegend glimpflich. Zudem dürfte es im Fall von schweren Verläufen auch deutliche Fortschritte bei den Medikamenten und den Therapien geben. Sobald vieles wieder im Freien stattfinden kann – kombiniert mit einigen simplen Hygiene- und Abstandsregeln –, dürfte das Leben wieder in den Normalmodus zurückkehren. Die Wintermonate aber bleiben hart. Umso mehr gilt: durchhalten.