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Expertin über Verschwörungsmythen„Jeder Dritte hat Verluste“

Wer in der Pandemie an Einkommen verliert, glaubt eher an Verschwörungsmythen. Soziologin Bettina Kohlrausch über die Gefahr, die daraus erwächst.

Vor allem Menschen mit ohnehin schon niedrigen Einkommen sind von Einbußen betroffen Foto: Martin Meissner/ap
Barbara Dribbusch
Interview von Barbara Dribbusch

taz: Frau Kohlrausch, Sie haben die Einkommensverluste durch die Coronapandemie in zwei Erhebungen unter mehr als 6.000 Befragten erforscht. Wer ist demnach besonders von finanziellen Verlusten betroffen?

Bettina Kohlrausch: Rund 32 Prozent der Befragten gaben an, im April und/oder im Juni Einkommenseinbußen erlitten zu haben. Von Verlusten in der Coronapandemie sind überdurchschnittlich oft Menschen betroffen, die ohnehin schon niedrige Einkommen haben. Auch bestimmte Gruppen – wie beispielsweise Eltern, Personen mit Migrationshintergrund, Selbstständige, Leiharbeiter und Minijobberinnen – verloren überdurchschnittlich oft Einkommen.

Karsten Schöne
Im Interview: Bettina Kohlrausch

44, ist Soziologin am WSI-Institut der Hans-Boeckler-Stiftung und Professorin an der Universität Paderborn.

Liegt das daran, dass Menschen mit niedrigem Einkommen vor allem in jenen Branchen arbeiten, die während der Coronapandemie besonders leiden, also etwa im Einzelhandel und in der Gastronomie?

Auch wenn man den Einfluss der Branche herausrechnet, müssen Personen mit niedrigem Einkommen häufiger auf Gehalt verzichten. Es ist wohl eher so, dass Leute mit niedrigem Einkommen im Betrieb die Schwächsten sind; die werden am ehesten in Kurzarbeit geschickt oder, wenn sie prekär als Leiharbeiter oder Minijobberin beschäftigt sind, entlassen. Diese Personen können meist auch kein Homeoffice machen wie mittlere oder höhere Angestellte.

Sind Leute mit Migrationshintergrund besonders oft in niedrig qualifizierten Jobs tätig und verlieren deshalb an Einkommen?

Befragte mit einer familiären Zuwanderungsgeschichte haben um knapp 6 Prozent häufiger Einkommen eingebüßt als Befragte ohne diesen Hintergrund. Und dies unabhängig davon, welchen Schulabschluss und welches Qualifikationsniveau sie hatten und in welcher Branche sie tätig waren.

Wie ist das zu erklären?

Möglicherweise ist dies ein Indiz für Diskriminierungsprozesse. Man weiß ja, dass Menschen eher diejenigen schützen, die ihnen ähnlich sind, und sich eher von denjenigen absetzen, die das nicht sind. Das heißt, es ist denkbar, dass in Betrieben, in denen das Arbeitszeitvolumen reduziert wird, Beschäftigte mit Migrationshintergrund eher in Kurzarbeit oder Teilzeit oder in die Arbeitslosigkeit geschickt werden als MitarbeiterInnen ohne diesen Hintergrund, was ja ein Fall von Diskriminierung wäre.

Wie wirken sich Einkommensverluste auf die persönlichen politischen Einstellungen aus?

Befragte, die Einkommen eingebüßt hatten, machten sich nicht nur weitaus häufiger Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Situation, sondern sehen auch größere Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie in Deutschland – und sie beurteilen die Coronamaßnahmen kritisch. 40 Prozent dieser Personen äußerten Bedenken, dass die „Einschränkungen der Grundrechte“ nach der Krise nicht vollständig zurückgenommen werden.

Heißt das, dass Leute mit Einkommensverlusten sich häufiger als Opfer fühlen und sich dann auf die Suche nach Schuldigen begeben?

Unter den Befragten mit Einkommensverlusten stimmten 45 Prozent der Aussage zu, dass die Pandemie möglicherweise von den Eliten benutzt werde, um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen. Unter denen, die keine Einbußen erlitten hatten, stimmten nur 36 Prozent diesem Satz zu. Das bedeutet für mich, dass die Empfänglichkeit für Verschwörungsmythen erhöht ist. Solche Einstellungen können gesellschaftlich destabilisierend wirken. Bei Maßnahmen der Krisenbewältigung muss man daher die Wahrnehmung der sozialen Gerechtigkeit immer auch im Blick haben.

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3 Kommentare

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    Die Moderation

  • Interessant und vermutlich auch relevant, aber bei diesen Aussagen fehlen grundlegende statistische Kontrollen. Vielleicht werden VerschwoerungstheoretikerInnen auch einfacher entlassen, weil sie sozial nicht kompatibel sind? Haben Leute mit Einbussen vor allem Angst um ihr Gehalt, oder geht es wirklich um die Grundrechte? Wo sind die Kontrollmessungen? Wo ist die Zeitentwicklung dieser Aussagen? Ansonsten ist Korrelation eben keine Kausalitaet...

  • "Wer in der Pandemie an Einkommen verliert, glaubt eher an Verschwörungsmythen."

    Das könnte man auch neutral formulieren. Und so eine Grundlage legen für eine Diskussion, die integriert. Menschen mit Einkommensverlusten fühlen sich nicht als Opfer, sie sind es. Immerhin sollen aktuell vom Lockdown Betroffene entschädigt werden. Das war im Frühjahr nicht immer der Fall.

    Da kann man nachvollziehen, wenn ein Lockdown und andere Massnahmen hinterfragt werden. Vor allem, wenn Regierung und Experten im Nachgang selber zugeben, dass die Massnahmen wohl etwas überzogen waren.

    Es geht, wohlgemerkt, nicht um die Massnahmen selbst. Sondern darum, die Menschen mit zu nehmen, wenn etwas entschieden wird.

    Solange wir das nicht schaffen, wird es weiter Proteste geben.