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Der König der Berge

Der bayerische König Ludwig II. liebte die Natur und die Musik von Richard Wagner. Den Königsweg in den Bayerischen Alpen kann man mit leichten Bergschuhen besteigen und dabei in Alpenromantik dahinschmelzen

Von Sandra Freudenberg

Halb verdeckt von herabhängenden Ästen und Buschwerk, steht da Richard Wagner. Man übersieht die Bronze leicht, obgleich der Komponist mit gesenktem Blick den schmalen Pfad beäugt, der zum Altlacher Hochkopf hinaufführt. Diese Erhebung einen Berg zu nennen, zumal die Karwendelgipfel in seinem Rücken majestätisch schroff auf ihn herabblicken, wäre fast vermessen. Ihn zu besuchen lohnt dennoch. Denn der Altlacher Hochkopf, gelegen zwischen Walchen- und Sylvensteinsee in den Bayerischen Voralpen, birgt ein königliches Geheimnis.

Der säumende Bergwald ist wild und dicht, der Weg selbst frevelhaft ungepflegt. Ein Bächlein springt munter von Fels zu Fels und vertieft unablässig die goldenen Töpfe in seinem Bett. Winzige Fische stehen darin. Nach weniger als zwei Stunden Aufstieg öffnet sich plötzlich der Waldvorhang, und eine Hütte erhebt sich keck über die Wipfel. Der eingeschossige Bau hat nach allen Richtungen großzügige Fenster, ansonsten wirkt er unscheinbar. Keine Verzierung, keine Schnörkel. Nichts weist darauf hin, wem diese bescheidene Hütte einmal gehörte, wer hier jedes Jahr seines kurzen Lebens mehrere Tage verbrachte: König Ludwig II., der bayerische Monarch, der sein Reich von 1864 bis zu seinem Tod 1886 regierte. Dessen Schlösser über alle Maßen berühmt und dessen Leben als „märchenhaft“ tituliert wird. Er, der Mäzen Richard Wagners, vom Volk geliebt, von seinen Vasallen hintergangen, ein Träumer, ein Schwärmer und vor allem – ein großer Naturliebhaber, begeisterter Bergmensch und Freund des Volkes.

Zum Nachwandern

Die Rundwanderung

Sie führt an herrlich goldschimmernden Gumpen hinauf zur Hütte und um den Atlacher Hochkopf (1.328 m) herum. Da der Zustieg zur Atlacher Hochkopfhütte mit gut 500 Höhenmetern nicht viel mehr als eine Stunde in Anspruch nimmt, sei folgendes Programm empfohlen: Bei der Hütte beginnend windet sich ein kaum sichtbarer Pfad rund um den Gipfel. Es handelt sich um den beschriebenen „Parapluie“-Weg König Ludwigs II. Talort: Altlach am Walchensee (809 m). Ziel: Altlacher Hochkopfhütte (1.299 m). Wegzeit: 3 Stunden

Anforderung

Ein gemütlicher Steig, der auch für Kinder geeignet ist. Besonders die Gumpen sind ein großes Badevergnügen. Der Rundweg um den Hochkopf ist nicht ausgeschildert, aber mit etwas Ehrgeiz ist er ausfindig zu machen.

Tipp

Es gibt wenige Gästezimmer, die romantischer sind als die von Annette Kiefersauer vom Bauerngehöft „Bräu“ am Walchensee. Das Haus verfügt über einen eigenen Badestrand, Bootsverleih und Surfbretter. Dusche und WC befinden sich auf der Etage. Zimmerbuchungen über Frau Kiefersauer unter der Telefonnummer: 08858 / 929090

In einem Brief an Richard Wagner schrieb der König am 21. Juni 1867: „Wo ich auflebe in Einsamkeit, fern der Welt, die stets mich verkennt und mit der auch ich mich nie und nimmer befreunden kann und will. Warum diese stille einfache Hütte mir werth und theuer ist und zwar werther als alle königlichen Schlösser mit ihrem Glanz und hohlen Prunk, brauche ich dem Theuren wohl kaum zu sagen …“

Heute befindet sich das Königshäuschen in der Obhut einer Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV), die streng über es wacht. Vermutlich ist sogar der Weg, über den sich einst die königlichen Lakaien schwer bepackt quälten, während Ludwig II. den Reitweg nahm, absichtlich schlecht gewartet. Damit niemand hinaufsteigt zur Hütte – oder nur die, die ohnehin schon um sie wissen. Und die auch den Rundweg kennen, den „Parapluie-Weg“, benannt nach den Sonnenschirmchen, die an besonderen Aussichtspunkten aufgestellt wurden. Damit der König dort verweilen konnte, Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ lesend, ab und an die Karwendelsilhouette bestaunend, zufrieden mit sich und der Welt hinabblickend auf die silbrig-blau glitzernde Jachen, die den Walchensee entwässert. Heute muss man schon sehr genau hinschauen, wenn man den Pfad erkennen will. Feine Trittspuren im hohen Gras verraten ihn.

Wer den Weg gefunden hat und ihm einmal rund um den Hügelgipfel folgt, kommt beizeiten zurück zur Altlacher Hochkopfhütte, deren Terrasse eine wahre Königsloge bildet. Ein Gebirgszug nach dem anderen fächert sich im Süden auf, sobald die Abendsonne den Dunst des Tages aufgesogen hat. Fast meint man, das Vorspiel aus Wagners „Lohengrin“ zu hören, der Lieblingsoper Ludwigs II. Sein Vater, König Maximilian II., hatte die Hütte einst bauen lassen, in 1.299 Meter Höhe, 500 Meter über dem Walchensee, sie diente ihm als Schutzort während ausgedehnter Jagden. Nachdem der erst 18-jährige Ludwig den Thron bestiegen hatte, wurde die Hütte zu einem seiner wichtigsten Rückzugsorte. Ein Schlafzimmer, einen Salon, ein Gäste- und Lakaienzimmer, eine einfache Toilette, mehr gab es dort nicht. Von wegen Märchenkönig – in Ludwigs Schlössern zeigt sich eben nur eine Facette dieses ebenso widersprüchlichen wie faszinierenden Charakters.

„Wo ich auflebe in Einsamkeit, fern der Welt“

Ludwig II. von Bayern

An der Bergnatur begeisterte den König vor allem ihre Ästhetik, die feinen Linien und Strukturen, die Farben und Schattierungen. Er genoss das Gefühl, dem Erhabenen gegenüberzustehen, von Schönheit angezogen und zugleich schaudernd vor der brutalen Gewalt des Gebirges, vor Wänden und Schluchten, schwindelerregenden Graten und dunklen Abgründen. Sich selbst beweisen wollte er nicht: Befriedigung aus körperlicher Leistung zu ziehen war dem Monarchen fremd. Ihm ging es um anderes, Feinsinniges, Künstlerisches. Um die Abkehr von streng geregeltem Zeremoniell, eine Antithese zur Macht, die Überwindung von Menschlichem und Allzumenschlichem. Ludwig II. war ein Schöngeist und Romantiker: Er wollte sich von seinen Heimatbergen verführen lassen. 40 bis 50 Tage verbrachte er jährlich in den Bergen, meist auf einer seiner 14 Hütten ­weilend.

Kurz nach der Uraufführung von „Tristan und Isolde“ am 10. Juni 1865 im Münchener Nationaltheater lud König Ludwig II. den verehrten Richard Wagner ein, sich auf der Hochkopfhütte zu erholen. Der Komponist hatte eine Auszeit bitter nötig, denn im Leben des Genies herrschte Chaos. Geldsorgen lasteten auf ihm, ebenso das geheime Verhältnis zu Cosima von Bülow, der Gattin seines Freundes. Im August 1865 folgte Wagner der Einladung des jungen Königs, ließ seine Koffer packen und stieg samt Hund und Diener bergan, um die weltlichen Niederungen zu verlassen und „auf Bergeshöhen neu aufzuatmen“.

Über seine erste Nacht auf dem Altlacher Hochkopf schrieb Wagner in einem Brief an seinen königlichen Gönner: „Wie unbeschreiblich schön ist es hier! – Das war einmal getroffen: nichts konnte mir so heilsam werden! – Wirklich bin ich gestern Abend – spät – oben eingetroffen: Jupiter leuchtet der ersten nächtlichen Wanderung auf wundervollen Höhen. Wie schön, wie schön ist Alles.“

Den weit unterhalb der Hochkopfhütte opalblau schimmernden Walchensee beschrieb Wagner in seinem Tagebuch, Eintrag 22. August 1865, mit den Worten: „Als ich gestern über den Walchensee im Nachen fuhr, sah ich ’was Schönes. Die seichten Stellen: wie klar, wie licht Alles auf dem Grunde; das Wasser war nur Glas; schöner weißer Sandgrund, jeder einzelne Stein, da, dort, hier eine Pflanze, dort ein Stamm – Alles deutlich. Da kam der tiefe Abgrund: das Wasser dunkel, dunkel, alle Klarheit fort, alles verschlossen; dafür aber plötzlich der Himmel, die Sonne, die Berge – Alles zum Greifen hell und klar auf dem Spiegel.“

Hier wird die Natur zum Sinnbild, denn auch die Freundschaft zwischen Komponist und König kannte helle und dunkle Seiten. Ein Jahr nach Wagners Besuch auf der Hochkopfhütte stiftete dieser König Ludwig II. im Verbund mit Cosima von Bülow an, einen falschen Eid zu leisten. Statt sich von seinem vermeintlichen Freund abzuwenden, hörte der hintergangene Mo­narch nicht auf, seinen Günstling zu beschenken.

Über die Autorin:

Sandra Freudenberg (50) hat sowohl Philosophie und Psycho­logie noch nicht zu Ende studiert. Sie lebt im ehemaligen Königreich Bayern und hat im Knesebeck Verlag gemeinsam mit dem Foto­grafen Stefan Rosenboom das Buch „In den Bergen lebt die Freiheit – Wanderungen auf den Spuren von König Ludwig II“ (30 Euro) veröffentlicht.

Das konnte nicht lange gut gehen, und tatsächlich wurde es den Bayern bald zu bunt. „Leben und leben lassen“, lautet das Motto dieses Volkes, doch irgendwann stößt auch die Liberalitas Bavariae an ihre Grenzen. Im Dezember 1865 verließ Richard Wagner München in Richtung Schweiz. Nach einem kurzen Aufenthalt in Genf zogen Komponist und Cosima ins Landhaus Tribschen auf der gleichnamigen vor Luzern gelegenen Halbinsel im Vierwaldstätter See. Nach wie vor wurde Wagner von Ludwig II. alimentiert. An Wagners Geburtstag, dem 22. Mai 1866, stattete Ludwig II. dem Jubilar einen Überraschungsbesuch ab. Tatsächlich war er bereit, als König Bayerns abzudanken und an der Seite des Komponisten zu leben. Diesem schrieb er: „Wenn es des Theuren Wunsch und Wille ist, so verzichte ich mit Freuden auf die Krone und den öden Glanz, komme zu ihm, um nimmer mich von ihm zu trennen.“

Zu diesem radikalen Schritt kam es nicht. Der König kehrte nach München zurück, um seine Amtsgeschäfte wieder aufzunehmen. Einige Jahre später zogen Cosima und Richard Wagner, inzwischen verheiratet, ins oberfränkische Bayreuth, wo Ludwig II. dem verehrten Künstler das Festspielhaus „Auf Dem Grünen Hügel“ finanzierte. In die bayerischen Berge, auf des Königs Hütten, kam Wagner nie mehr. Dass er einst auf dem Altlacher Hochkopf auf Einladung Ludwigs II. Ruhe und Erholung gefunden hatte, daran erinnert heute nur noch ein bronzenes Porträt. Halb versteckt, am Rande eines verwilderten Pfades.

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