Frankreich ruft nach Attentat höchste Terrorwarnstufe aus

In Nizza hat ein Mann in der Kirche Notre-Dame de l'Assomption bei einer Messerattacke drei Menschen getötet. In Avignon kann die Polizei einen Angriff vereiteln

Einsatzkräfte sperrten den Tatort in Nizza weiträumig ab. Ein Mann hat in der Kirche Notre-Dame de l‘Assomption bei einer Messerattacke drei Menschen getötet. Die Stadt steht unter Schock. In Avignon kann die Polizei einen Angriff gerade noch vereiteln Foto: Eric Gaillard/reuters

Aus Paris Rudolf Balmer

Es muss ruhig gewesen sein in der Basilika Notre-Dame de l’Assomption im südfranzösischen Nizza – nur ein paar Gläubige, die in der Stille der römisch-katholischen Kirche beten. Jeden Morgen gegen 8 Uhr öffnet die Kirche, auch wenn so früh noch kein Gottesdienst geplant ist. Doch an diesem Donnerstag, nur knapp zwei Wochen nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty, hat eine furchtbare Tat die morgendliche Stille durchbrochen: Ein mutmaßlicher Islamist hat drei Menschen getötet und weitere verletzt.

Sein erstes Opfer, eine Frau, soll der Täter nach Informationen aus Polizeikreisen enthauptet haben. Danach tötete er mit Messerstichen einen Mann und verwundete eine Frau, die sich noch schwerverletzt in ein gegenüberliegendes Café rettete, wo sie aber kurze Zeit später ihren Verletzungen erlag. Bei dem getöteten Mann soll es sich um den Küster dieser Kirche handeln, die sich an der Avenue Jean Medecin zwischen dem Bahnhof und dem Chagall-Museuman befindet, einer der größten Einkaufsstraßen in der südfranzösischen Hafenstadt. Schwerbewaffnete Polizisten riegelten das Gebiet rund um die Kirche ab. Mehrere Kranken- und Feuerwehrwagen waren vor Ort.

Der Angreifer wurde von der Polizei niedergeschossen und ins Krankenhaus gebracht, teilte Bürgermeister Christian Estrosi mit. Anwohner der Basilika hatten die Polizei verständigt. Estrosi sprach von einer terroristischen Tat. Selbst nach seiner Festnahme habe der Mann noch mehrmals „Allahu Akbar“ – arabisch für „Gott ist groß“ – gerufen haben. „Heute sind wir erneut Opfer des Islamo-Faschismus, das steht außer Zweifel“, erklärte der Bürgermeister.

Am selben Tag kam es kurze Zeit später unter anderem in der Nähe von Avignon zu einem weiteren Vorfall: Die Polizei erschoss einen Mann, der Passanten mit einer Pistole bedroht haben soll. Zudem wurde in der saudi-arabischen Stadt Dschidda ein Wachposten des französischen Konsulats mit einem scharfen Gegenstand angegriffen und verletzt.

Als Reaktion auf die Attentate gilt in Frankreich nun die höchste Terrorwarnstufe. Es sei die Stufe „Urgence Attentat“ des Antiterroralarmplans „Vigipirate“ ausgerufen worden, sagte Premier Jean Castex in der Nationalversammlung in Paris. Diese höchste Stufe gibt den französischen Behörden außerordentliche Befugnisse: Sie reichen von landesweiten Ausgangssperren bis zu Demonstrationsverboten, abgesperrten Straßen und der Schließung öffentlicher Einrichtungen wie Museen und Schulen. Die Stufe „Urgence Attentat“ kann auch nur örtlich beschränkt verhängt werden – wie zum Beispiel nach dem Anschlag in Straßburg im Dezember 2018 geschehen. Doch derzeit bezieht sie sich auf das gesamte Landesterrain.

In Nizza ist der Schock enorm. Vor vier Jahren war es dort zuletzt nur etwa 500 Meter vom jetzigen Tatort zu einem Anschlag gekommen: Vor einem Feuerwerk zum Nationalfeiertag am 14. Juli 2016 war ein in Nizza lebender Tunesier mit einem Lkw auf der Strandpromenade in die Menge gerast. 86 Menschen fanden den Tod, fast 500 wurden verletzt.

Gegen den Attentäter hat die Pariser Antiterrorstaatsanwaltschaft ein Untersuchungsverfahren wegen „Mord und Mordversuch aus terroristischen Motiven“ eingeleitet worden. Die Bedrohungslage war den Behörden bekannt. Nur zwei Wochen ist es her, dass in Conflans-Sainte-Honorine bei Paris der Lehrer Samuel Paty von einem jungen Tschetschenen angegriffen und enthauptet wurde, weil er die umstrittenen Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt hatte.

Seither hat sich die Spannung nicht gelegt. Ganz im Gegenteil: Die Solidaritätsbezeugungen mit Paty und allen Lehrern und Lehrerinnen haben in einigen muslimischen Staaten und vor allem in der Türkei für Aufruhr gesorgt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sah darin einen Anlass zu einer verbalen Eskalation im Streit mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron, den er einer islamophoben Hetzkampagne bezichtigt.

Die Terrorwarnstufe „Urgence Attentat“ gibt den Behörden außerordentliche Befugnisse

Noch am Dienstag hatte ein Propagandaorgan der Terrororganisation al-Qaida wegen der erneuten Publikation der Mohammed-Zeichnungen Frankreich mit „Vergeltung“ gedroht und dabei religiöse Einrichtungen als potenzielle Angriffsziele genannt. Bereits in der vorigen Woche war die polizeiliche Bewachung von Kirchen, Synagogen und Moscheen vom Innenministerium verstärkt worden.

Die Messerattacke in Nizza hat die Türkei nun als „grausamen Angriff“ verurteilt. Das Außenministerium in Ankara sprach den Opfern sein Beileid aus. Europäische Länder wie Spanien und die Niederlande versicherten Frankreich ihren Beistand im Kampf gegen Ex­tremismus zu.

Präsident Macron traf am frühen Donnerstagnachmittag in Nizza ein. Vor Ort verurteilte er den „islamistischen Terroranschlag“. Er kündigte einen verstärkten Schutz von Kirchen und Schulen an. Der schon länger laufende inländische Antiterroreinsatz „Sentinelle“ des Militärs solle von bisher 3.000 auf nun 7.000 Soldaten aufgestockt werden.

Die Ermittlungsbehörden gingen zunächst von einem Einzeltäter in Nizza aus. Nach weiteren Angreifern werde nicht gesucht, hieß es aus Polizeikreisen. Ob es einen Zusammenhang mit den weiteren Attacken in Avignon oder Saudi-Arabien gab, war zunächst unklar. (mit dpa, afp, rtr, oer)