Chemnitz ist es

Die sächsische Arbeiterstadt wird europäische Kulturhauptstadt 2025

Von Michael Bartsch

Um 13.27 Uhr brachen gestern in der Chemnitzer Stadthalle minutenlang Freudenschreie aus. Nach der Entscheidung der internationalen Jury für Chemnitz als eine der beiden europäischen Kulturhauptstädte 2025 war noch zu spüren, dass man aus der Defensive kam. Der Bewerbungsslogan „C the unseen“ drückt das aus. „Was in Chemnitz erarbeitet wird, wird in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst“, lautet ein altes sächsisches Sprichwort. In der Industriestadt waren einst die Einkommen fast die höchsten in Deutschland, dann kam das Schmuddel­image. Arbeiterstadt, im Zweiten Weltkrieg auch noch seines Zentrums beraubt. Die ausländerfeindlichen Krawalle nach dem Tötungsverbrechen beim Stadtfest 2018 schienen nur eine logische Folge zu sein.

Die drittgrößte sächsische Stadt ist ein Beispiel dafür, wie man sich durch Akzentverschiebung aus dem Negativimage befreien kann. Vor 15 Jahren wurde über die Selbst-Titulierung als „Stadt der Moderne“ noch gelacht. Unter Ingrid Mössinger aber erwarben sich die Städtischen Kunstsammlungen und das Museum Gunzenhauser internationale Reputation. Das Theater hat einen guten Stand. Der Zweckverband Sächsisches Industriemuseum hat hier seinen Hauptsitz, das einzige Landesmuseum außerhalb Dresdens ist das für Archäologie im ehemaligen Schocken-Kaufhaus. Vor allem aber sind Szenen, junge Galerien und Initiativen entstanden, etwa der Spinnerei e. V.

Chemnitz hatte sich Ferenc Csák als Bewerbungschef und Kulturamtsleiter geholt, der schon 2010 das ungarische Pécs zur europäischen Kulturhauptstadt führte und mit der Kulturhauptstadtbewerbung eine Breitenwirkung in die Stadtgesellschaft hinein erzielt. Die scheidende Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig lobte nach dem Nominierungserfolg die „gewagte, unkonventionelle Verbindung zwischen kulturellen Spitzenleistungen und Autodidakten“. Gern wird in diesem Zusammenhang das Programm der 3.000 zu gestaltenden Garagen erwähnt. Die Jury hat also einen beachtlichen Ausbau gewürdigt und die sich fortsetzenden Entwicklungslinien für tragfähig genug erachtet.