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Wohnungslosigkeit macht krank

Gabriele Steinbach arbeitet als ehrenamtliche Obdachlosenärztin in Bremen. Obwohl es unter ihren PatientInnen noch keinen Corona-Fall gegeben hat, begegnen Menschen ihnen mit Misstrauen

Die Ärztin fährt mit dem Fahrrad durch die Straßen, um jene zu versorgen, die Platte machen

Viele wohnungslose Menschen scheuen bei gesundheitlichen Problemen den Besuch einer normalen Sprechstunde. „Scham, Süchte, soziale Hemmungen, das ungeregelte Leben auf der Straße und Pro­bleme mit Regeln und Terminen verhindern oft eine kontinuierliche Behandlung oder gar eine Prophylaxe in der medizinischen Regelversorgung“, sagt die Bremer Obdachlosenärztin Gabriele Steinbach.

Die Gefäßchirurgin und ehemalige Oberärztin engagiert sich seit zehn Jahren als ambulante ehrenamtliche Obdachlosenärztin und versorgt jeden Mittwoch PatientInnen in der Bremer Innenstadt. Ausgerüstet mit Verbandszeug, Blutdruckmesser und Schmerzmitteln fährt sie mit dem Fahrrad durch die Straßen, um denjenigen zu helfen, die Platte machen. „Das Leben auf der Straße macht krank, der Gesundheitszustand der Menschen dort ist oft angegriffen“, sagt Steinbach.

Obdachlose und wohnungslose Menschen seien infektanfälliger und hätten häufig lange unversorgte Wunden. „Gar nicht selten tun sie nichts gegen ihre Krankheiten, weil sie den Mut verloren oder sich auch ganz aufgegeben haben.“ Dazu komme Stress durch Gewalterfahrungen, Suchterkrankungen, die ständige Sorge, in Notunterkünften von anderen Wohnungslosen beklaut zu werden und nun auch durch Corona. Sie habe zwar noch keine Infektionen in der Szene registriert, „aber die Leute machen nun auch aufgrund der Pandemie vermehrt einen Bogen um die, die draußen sitzen und betteln“, so Steinbach.

Weil sie keine Rezepte ausstellen kann, verweist die Ärztin Kranke im Bedarfsfall beispielsweise auf die Sprechstunden der medizinischen Notversorgung für Obdachlose in Bremen, denen drei Szenetreffs in der Innenstadt angeschlossen sind. „Oder ich nehme sie gleich unter den Arm und gehe mit ihnen hin, damit es auch wirklich klappt.“ Eine mobile Arztpraxis auf vier Rädern fände sie gut, sie wäre ihrer Einschätzung nach aber schwer zu finanzieren.

Gesundheitsamt, Ärztekammer und Diakonie haben vor 20 Jahren in Bremen einen Verein zur Förderung der medizinischen Versorgung Obdachloser gegründet. Behandelt werden alle Patienten, auch wenn sie nicht krankenversichert sind wie etwa Wanderarbeiter aus Bulgarien und Rumänien. Im Netzwerk werden montags bis freitags stationäre Sprechstunden angeboten. In Bremen gibt es Schätzungen zufolge etwa 600 wohnungs- und obdachlose Männer und Frauen. (epd/taz)

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