: Im Silicon Valley der Menschlichkeit
Wenn der Algorithmus berechnet, wer mit wem zusammenpasst – und dann doch ein anderes Ergebnis herauskommt: Mit „Big Dating“ ist dem NDReine wirklich komische Romantic-Comedy-Serie gelungen
Von Wilfried Hippen
Worin unterscheiden sich Menschen und Bohnen? Rein rechnerisch gibt es für den App-Entwickler Samuel keinen. Um den Welthunger zu bekämpfen, hat er einen Algorithmus entwickelt, mit dem Paare von für Züchtungen geeigneten Bohnensorten gefunden werden können. Doch als er an eine Frau gerät, die überhaupt nicht zu ihm passt, baut er sein Programm so um, dass es anhand von riesigen, illegal gespeicherten Datensätzen ausrechnen kann, welche Menschen am besten miteinander harmonieren.
Der schüchterne Nerd findet so seine vermeintlich ideale Partnerin, die extrovertierte Kellnerin Lina. Mit einem Zusammengehörigkeits-Quotienten von 97 Prozent sind sie das nahezu perfekte Paar – auch wenn der ordnungsliebende Stubenhocker und die chaotische Partygängerin so gar nicht zueinanderzupassen scheinen.
Dies ist die Grundprämisse der TV-Serie „Big Dating“, die aus acht etwa 25 Minuten langen Episoden besteht und die das NDR Fernsehen vom 18. November an in wöchentlichen Doppelfolgen abends um 22 Uhr zeigt.
Dem Autor*innenteam Daniel Scheier, Thomas Mielmann, Bastian Köpf und Anika Soisson geht es dabei nicht um eine technologiekritische und gesellschaftspolitische Abrechnung mit dem Prinzip des transparenten und durchkalkulierten digitalen Menschen. Der in der ersten Episode noch deutlich spürbare satirische Ansatz tritt immer mehr in den Hintergrund, denn „Big Dating“ ist als eine „Romantic-Comedy-Serie“ konzipiert.
Schon dass es für dieses Subgenre keinen griffigen deutschen Begriff zu geben scheint, macht deutlich, dass die hiesigen Filmemacher*innen mit diesem Format bisher wenig anzufangen wussten. Umso erstaunlicher ist es, wie gut die Serie gelungen ist und wie einfallsreich die Autor*innen hier die Konventionen des Formats, die sich ja grundsätzlich von denen eines Spielfilms unterscheiden, angewendet haben.
„Big Dating“ erzählt von drei Liebespaaren, die im Laufe der Serie verschiedene Krisen durchleben. Samuel traut sich, Lina anzusprechen, und die beiden verlieben sich tatsächlich stürmisch ineinander – bis Samuel erfährt, dass sein System mit falschen Daten gerechnet hat. Samuels beste Freunde Inga und Henner bekommen gemeinsam ein Kind, doch als sie herausfinden, dass sie laut Samuels Dating-Algorithmus nur zu 23,8 Prozent zusammenpassen, beginnen sie an ihrer Beziehung zu zweifeln. Und Samuels Eltern scheinen ein perfektes Paar zu sein, bis seine Mutter Gisela sich kurz nach ihrer Silberhochzeit in den Regisseur ihrer Amateurtheatergruppe verliebt und sein Vater Klaus deshalb aus der gemeinsamen Wohnung auszieht.
„Romantic Comedies“ funktionieren nur dann, wenn ein Gleichgewicht zwischen Romanze und Komödie gehalten werden kann. Die Pointen dürfen nicht auf Kosten der Protagonist*innen gemacht werden, ihre komischen Schwächen sollten sie stattdessen liebenswert machen und das Publikum sollte noch vor den Filmfiguren spüren können, ob und warum sie zusammenpassen. Die Königin der „romcom“ war in den 1990er Jahren Nora Ephron, deren Klassiker „e-m@il für Dich“ ebenfalls mit den Möglichkeiten einer damals neuen Technologie spielte.
Da über die Hauptfiguren nicht gespottet werden darf, ist es wichtig, mit komischen Nebenfiguren zu arbeiten, und auch in „Big Dating“ gibt es ein paar schöne Exemplare von diesen Watschenmännern (nein, Watschenfrauen gibt es hier nicht). Ingas früherer Freund ist etwa ein cooler DJ, der sich in einem esoterischen Zeltlager, in dem alle „megalieb“ zueinander sein sollen, als ein narzisstischer Intrigant entpuppt. Samuels Chef wittert in dessen Dating-App das große Geschäft, sodass er sich auf einer Präsentation seiner Firma damit brüstet, aus Hannover „das Silicon Valley der Menschlichkeit“ zu machen.
Die Serie wurde im Herbst 2019 in Hannover und Clausthal-Zellerfeld gedreht und gehört zu der Reihe „Nordlichter“, mit der der NDR seit einigen Jahren Talentförderung betreibt. Der Regisseur Nathan Nill studierte an der Hamburg Media School und gewann 2013 mit seinem Abschlussfilm „Stufe Drei“ den Max Ophüls Preis.
Sein Regiestil ist zurückhaltend, nuanciert und seine Stärke liegt in der Arbeit mit dem Ensemble der DarstellerInnen. Er versucht nie, bemüht witzig zu sein, und gerade darum ist etwa Ole Fischer in der Rolle des Samuel sehr komisch, wenn er als ständig Zaudernder von Linas manischer Energie mitgerissen wird. Da könnten Cary Grant und Katharine Hepburn in Howard Hawks „Leoparden küßt man nicht“ Pate gestanden haben. Doch Olga von Luckwald spielt Lina auch überraschend verletzlich und als die eine Figur, die bis zur letzten Episode ein Geheimnis bleibt und so Samuels Algorithmus ad absurdum führt.
Für die technikaffinen ZuschauerInnen hat die Serie übrigens noch eine weitere (unfreiwillig komische) Ebene, denn sie spielt zwar in der Gegenwart, doch die in ihr gezeigte Rechnertechnik ist zum Teil um mindestens drei Generationen veraltet. Der Laptop scheint noch nicht erfunden worden zu sein, die Computer sind noch tonnenschwere Ungetüme und die Daten werden auf dem inzwischen museal wirkenden Computerpapier mit grünen Lesestreifen ausgedruckt. In der letzten Folge werden viele von diesen Maschinen kaputt gehauen. Mit neueren Geräten wäre das wohl zu teuer geworden.
„Big Dating“: ab 18. 11., 22 Uhr in wöchentlichen Doppelfolgen, NDR Fernsehen und ARD-Mediathek, www.ardmediathek.de
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