Studie zu Cancel Culture: Nicht viel mehr als blinder Eifer

Die konservative Presse jubelt über eine Studie, die nun die viel diskutierte Cancel Culture belegen soll. Doch es gibt da ein kleines Problem.

Zeichnung einer Sprechblase mit Stacheldraht umwickelt

Ob die Studierenden wirklich die Rede- und Meinungsfreiheit einschränken wollen, ist fraglich Foto: Baac3nes/getty images

Da ist er also, der lang ersehnte Beweis dafür, dass „Cancel Culture“ doch existiert. „Is Free Speech in Danger on University Campus?“ lautet der Titel der Studie, über die Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt so entzückt ist, dass er ihr einen Tweet widmet, nachdem zuvor die FAZ berichtet hatte. Tenor: Studierende wollen die Meinungsfreiheit abschaffen.

Die Autoren Matthias Revers und Richard Traunmüller haben für die Studie rund 900 Studierende der Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main befragt. Das Ergebnis: Mindestens ein Drittel der Studierenden findet es legitim, „kontroverse Red­ner:in­nen“ oder deren Bücher aus Unis und Bibliotheken zu verbannen. „Kontrovers“ sei es etwa, Einwanderung abzulehnen oder den Islam zu kritisieren.

Nun ließe sich trefflich darüber streiten, ob die Zahlen wirklich eine Bereitschaft zeigen, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Dem ließe sich etwa leicht entgegenhalten, dass die Studierenden mit Zensur nichts am Hut, sondern einfach nur keine Lust auf menschenfeindliche Argumente haben. Andererseits kann man sich solche inhaltlichen Diskussion auch ganz sparen, denn die Studie sagt eigentlich fast nichts aus.

Welche Schlüsse die Studie wirklich erlaubt

Es ist nämlich ausgesprochen zweifelhaft, ob die Befragten repräsentativ für die Sozialwissenschaftsstudis sind – ganz zu schweigen von allen Studierenden in Deutschland. Interviewt wurden bloß diejenigen, die sich dafür freiwillig meldeten: nur etwa 15 Prozent aller Sozialwissenschaftsstudis in Frankfurt. Von denen wiederum brach die Hälfte die Umfrage ab. Befragt wurden so nur etwa 7 Prozent der Sozialwissenschaftsstudierenden.

Es wäre schon ein großer Zufall, wenn deren Profil dem Durchschnitt der deutschen Studierendenschaft insgesamt auch nur annähernd entsprechen würde. Viel wahrscheinlicher ist es, dass nur die Studierenden teilnahmen, die ein großes Interesse am Thema haben – und deren Meinung wohl vom Durchschnitt abweicht.

Über die Studierenden insgesamt lässt die Studie deshalb kaum Schlüsse zu – dafür zeigt sie eindrucksvoll, wie die konservative deutsche Presse tickt. Selten war besser zu erkennen, wie verzweifelt deren Autor:innen Beweise dafür suchen, dass die anderen die Intoleranten sind – und nicht etwa die eignen Leute. Details können dabei schon mal unter den Tisch fallen.

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