: Anspruchslose Untermieter
Sie verwerten unzählige organische Materialien und verwandeln sich in vegane Schmankerl: In fast jeder Lebenslage kann man sich selbst mit Pilzen versorgen
Pilze haben einen hohen Wasseranteil und deshalb wenige Kalorien. Zugleich liefern sie wichtige Ballast- und andere Nährstoffe. Der Shiitake etwa enthält viel Ergosterin, ein Vitamin D, das häufig in Fleisch, aber selten in Pflanzen enthalten ist. Er ist deshalb für Vegetarier und Veganer ein wichtiger Vitamin D-Lieferant.
Von Kristina Simons
Regenjacke und Stiefel angezogen, den Sammelkorb gepackt und rein in den Wald: Der Herbst ist für Pilzsammler*innen das Highlight des Jahres. Dann schießen Austernseitling, Mönchskopf und Steinpilz geradezu aus dem Boden. Es geht aber auch weniger wetterfest: Denn das ganze Jahr über sprießen Pilze auch an schattigen Plätzen auf dem Balkon oder im Garten, in Keller, Innenhof oder auch drinnen auf der eigenen Fensterbank.
Austernpilze, Shiitake und Co lassen sich überall anbauen. „Sie sind pflegeleicht, brauchen wenig Platz und lediglich ein bisschen Holz, Stroh oder Kaffeesatz – und schon wachsen sie fröhlich in alle Richtungen“, erläutern Magdalena Wurth und Moritz Wildenauer. Die beiden betreiben im österreichischen Mistelbach den Waldviertler Pilzgarten und beschreiben in ihrem Buch „Pilzgeflüster“ ausführlich, welche unterschiedlichen Methoden es gibt, um eigene Pilze zu züchten. Für sie sei Selbstversorgung essenziell. Nicht nur mit eigenem Gemüse, Salat oder Kräutern, sondern auch mit allen möglichen Speisepilzen. „Von ‚Ruck-zuck-fertig‘-Pilzen bis zu den ‚Dauerselbstversorger‘-Erd- und Luftkulturen.“
Pilze bilden ihre eigene Gattung, sind also kein Gemüse. Wir essen von ihnen nur den oberirdischen Fruchtkörper, der auf einem weit verflochtenen unterirdischen System thront, dem Myzel. Bäume, abgestorbenes Material, Stroh oder vermeintlicher Abfall wie Kaffeesatz sind ihre liebsten Energielieferanten. Während sie sie zersetzen, bilden die Pilze ihren Fruchtkörper aus.
Für jede Lebenslage gibt es Möglichkeiten, sich selbst mit biologisch angebauten Pilzen zu versorgen: fertige Pilzzucht-Sets mit fermentierten Strohpellets, durchwachsenes Holzsubstrat oder auch Pilzbrut auf Basis von Getreide oder Laubholzdübeln. Die Pilzbrut ist ein sterilisiertes Nährmedium, das mit Pilzmyzel beimpft wurde. Klingt medizinisch, meint aber nichts anderes, als künstlich eine Symbiose zwischen Pilz und Nährmedium herzustellen. Gefüttert werden die Pilze am besten mit biologischen Nährmedien: mit nachhaltig gewonnenen Holzrohstoffen, Ökogetreide oder -stroh sowie natürlichen Zuschlagstoffen wie Biomalz oder -kalk. „Rohstoffe aus der eigenen Region zu verwenden und lange Transportwege zu vermeiden, spart nicht nur Geld, sondern stärkt die eigene Region und verbessert den ökologischen Fußabdruck“, betonen Wurth und Wildenauer. Bezugsquellen für Pilzbrut, Substrat und Co listen die beiden Pilzliebhaber am Ende ihres Buches auf. Wer Holz als Energielieferant nutzen möchte, sollte sich erst mal über die jeweiligen Vorlieben der verschiedenen Pilze schlau machen: Stockschwämmchen und Igelstachelbart bevorzugen zum Beispiel zuckerreiche Birkenstücke, Seitlinge mögen lieber Buchen.
Große Gärten bieten viel Platz für Luftkulturen, also Baumstämme, die keinen Kontakt zur Erde haben. Dafür eignen sich allerdings nur Shiitake. Auch für Erdkulturen, also Holz mit Bodenkontakt, eignen sich große Gärten besonders gut. Hier wachsen zum Beispiel Austernseitlinge, Stockschwämmchen oder Igelstachelbart. Für den schnellen Hunger zwischendurch können die Pilze aber auch auf Stroh gezüchtet werden. In kleinen Gärten oder Innenhöfen lassen sich am besten kleine Erdkulturen in Töpfen, Kulturen aus Stroh oder Strohpellets züchten. Für Balkon und Dachgarten bieten sich fertig beimpfte Stämme, fertige Pilz-Kits oder ein aus Paletten selbst gebautes Frühbeet mit Strohkulturen an. Pilze wie Champignons oder Seitlinge, die gleichbleibende Temperaturen und Feuchtigkeit lieben, sprießen gut im Keller auf Holzsubstraten oder Kaffeesatz. Auch auf Couchtisch oder Fensterbank entwickeln sie sich prächtig. Hier eignen sich Strohpellets oder Holzsubstrat.
Je nach Kulturart können die Pilze insgesamt ein- bis dreimal geerntet werden, auf Luft- und Erdkulturen sogar über einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren ein- bis dreimal pro Jahr. Wer sie selbst anbaut, braucht sich weder vor giftigen Exemplaren noch vor Schwermetallen oder organischen Schadstoffen zu fürchten, die sich in manchen Waldböden anreichern können.
Magdalena Wurth, Moritz Wildenauer: Pilzgeflüster. Wie deine eigenen Pilze aus dem Boden schießen im Garten, Innenhof, auf Balkon und Couchtisch. Verlag Löwenzahn, 2020, 22,90 Euro.
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