Hamburger Museum schafft „Dritten Ort“: Niedrigschwellig zur Kultur

Mit dem neuen „Freiraum“ schafft Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe ein Areal der Begegnung. Es soll den Dialog der Stadtgesellschaft befördern.

Menschen lesen Zeitung an Tischen im "Freiraum"

Noch ist viel Platz frei: der neue „Freiraum“ im Erdgeschoss des Museums Foto: MK&G

HAMBURG taz | Es ist so schön einfach: Reingehen, nach dem „Freiraum“ fragen, einen blauen „kostenlos“-Aufkleber auf die Hand, ein paar Schritte geradeaus. Schon ist man drin im neuen „Freiraum“ des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. An der Theke stehen zwei Aufsichten, die sich „Gastgeber:innen“ nennen und erklären, wozu das alles gut ist.

Denn ein bisschen überrascht ist man schon, in diesem Raum, den zuletzt Ausstellungen wie „100 Jahre lenkbares Licht“ und „Manufaktur des Klangs. 2000 Jahre Orgelbau“ zierten, Holztische und Hocker vorzufinden. Dazu eine kleine Bühne, eine Ecke zum Video-Schauen sowie eine hölzerne Sitzlandschaft mit bunten Kissen.

Gestaltet habe den Raum das Berliner Design- und Architekturkollektiv Construct-Lab, mitgewirkt ­hat ­Schrosch, eine Stadtteileinrichtung für Integration und Bildung in St. Georg. „Hier kann man sich nach dem Schul- oder Ausbildungstag ausruhen, während andere an den Tischen Hausaufgaben machen oder Zeitung lesen“, sagt eine der „Gastgeber:innen“.

Auch eine Mini-Teeküche – derzeit wegen Corona außer Betrieb – steht da. Und wer mag, kann auf die Terrasse gehen und den dicht bepflanzten Innenhof genießen, den auch die Renaissance-Fassade des einstigen „Hotel Kaisershof“ ziert. Einige Töpfchen mit Blumenerde und -samen stehen da; wer mag, darf zur Hofbegrünung beitragen.

Den „Dritten Ort“ erfand ein US-amerikanischer Soziologe

Gedacht ist das Ganze als „Dritter Ort“, eine Kategorie, die der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg 1989 ersann, als er über Lebensräume forschte. „Erster Ort“ sei das eigene Zuhause, befand er, „Zweiter Ort“ der Arbeitsplatz. „Dritte Orte“ nannte er Areale von Begegnung und Erlebnis. Das könnten, so das „Zukunftsinstitut“, ein deutsch-österreichischer Think Tank, „öffentliche Räume im Stadtraum sein, aber auch halböffentliche Orte wie Bahnhöfe, Bildungseinrichtungen, Sport- oder Kulturstätten“.

Das Museum für Kunst und Gewerbe hat seinen „Freiraum“ als konsumfreien Ort für Austausch und Debatte der Stadtgesellschaft definiert. Während der Museums-Öffnungszeiten kann jeder vorbeikommen – oder aber, als Gruppe, den Raum für Treffen und Vorträge buchen. Und natürlich werden auch die Museumskurator:innen gelegentlich über ihre Fachgebiete berichten. Das aber eher informell, denn der „Freiraum“ soll niedrigschwellig sein und Menschen ohne Museumserfahrung die Scheu vorm Betreten des Hauses nehmen.

Das ist in der Tat geschickt gemacht, denn um hierher zu kommen, muss man das Erdgeschoss durchqueren und sich direkt ins Zentrum des Hauses wagen, vorbei an Treppenaufgängen zu den Ausstellungsräumen. Dorthin darf aber nur, wer Eintritt gezahlt hat und einen grünen Aufkleber trägt.

Aber genau dieses Luschern und Herantasten ist Programm; denn wer – auch – neue Besuchergruppen sucht, muss Neugier wecken und das Verweilen im Haus zur Selbstverständlichkeit machen. Und es scheint zu funktionieren: Der „Diaspora Salon“ und feministische Gruppen wie Possy und Femrap haben Interesse bekundet, dort eventuell Fortbildungen anzubieten.

Klare Verhaltensregeln für alle

Der Verhaltenscodex für alle ist dabei klar: „Achtet auf eure Mitmenschen. Persönliche Grenzen sind subjektiv. Wir wollen keine Diskriminierung. Wer solches Verhalten beobachtet, wende sich ans Personal“, steht groß auf Plakaten an den Wänden.

Mit der Anbindung an den Stadtteil und strukturell benachteiligte Gruppen liegt Museumschefin Tulga Beyerle durchaus im (Hamburg-)Trend: Auch das Altonaer Museum hat mit Ayhan Salar 2019 einen Community-Curator eingestellt, der migrantische Gruppen des Stadtteils stärker einbinden soll. In seiner ersten Ausstellung „Mahalla Altona“ erzählten Altonaer Muslime von ihrem Alltag.

Derart explizit wollen Nina Lucia Groß und Tilman Walther, Kurator:innen des auf zunächst drei Jahre angelegten „Freiraums“, nicht eingreifen. Eine Ausstellung planen sie nicht. Aber auch sie wollen mit Communities der Stadt zusammenarbeiten und überlegen, wie man diesen Raum auch längerfristig gemeinsam nutzen kann. Denn die Grenzen zwischen Museum und Stadtgesellschaft durchlässiger zu machen: Das ist ein mühsamer Prozess. „Work in Progress“ sozusagen.

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