Neues Album „Roísín Machine“: Elegante Erfahrenheit

Erhaben, weise, aber auch euphorisch. Mit„Roísín Machine“ veröffentlicht die irischen Popikone Roísín Murphy ein federleichtes neues Dancefloor-Album.

Roisin Murphy sieht in die Kamera, mit stark geschminkten Augen und blonden Locken

„Man hält die Euphorie so lange wie möglich zurück, und dann lässt man sie kommen“ – Roísín Murphy Foto: Adrian Samson

Vielleicht tanzt man in seinen 40ern auch öfter allein. Roísín Murphy tanzt sich in einem vor ein paar Tagen veröffentlichten Video zu dem Song „Some­thing More“ coronabedingt einsam aus der Krise: Die 47-jährige Irin läuft in dem Clip, der den Zusatz „Ibiza Lockdown“ trägt, in einem transparenten, bodenlangen, mit opulenten Rüschen besetzten grünen Gewand durch ein Landhaus auf der Balearen-Insel, der Lichteinfall lässt an einen frühen Morgen denken.

Ihres Capes, Huts und Tuches entledigt sie sich nonchalant nacheinander, während sie sich an leeren Weinflaschen vorbei aus dem schattigen Haus Richtung Garten begibt, immer gefolgt von der Kamera. „A crown upon my head / Young lovers in my bed / But I want something more“ singt sie bei ihren Pirouetten durch das Gras. Am Ende lässt sie sich (zum Glück ohne Mikrofon) in einen malerischen, mit Marmor eingefassten Pool fallen, das textile grüne Etwas wabert um ihren Körper wie Schlingpflanzen um eine erwachsene Seenymphe.

„Roísín Machine“, das neue, dritte Soloalbum der ehemaligen Sängerin des Duos Moloko, ist ein äußerst erwachsenes Album. Tanzen und die Beats, die einen dazu bringen, bilden nach wie vor die Basis für jeden der zehn Tracks. Aber, vielleicht weil man es weiß, vielleicht weil man es ihrer zuweilen ungewöhnlich tiefen Stimme anhört: Die Leichtigkeit, die frühere Alben und fast sämtliche Moloko-Werke umgab, ist einer elegant inszenierten Erfahrenheit gewichen. Einem Bewusstsein, das der Musik eine andere Tiefe gibt.

„Meine Musik kommt aus der Erfahrung“, bestätigt Murphy ein paar Wochen vor dem Video bei einem Telefoninterview. „Es war anders als sonst, das Erkunden meiner verschiedenen Stimmlagen war eine geradezu freudianische Lehre. Und ich saß keinesfalls wie früher herum und überlegte, wie der nächste Song sich anhören könnte, um mir daraufhin die passenden Musiker zu suchen“.

DJ Parrot als Produzent

Stattdessen arbeitete die Künstlerin – wieder, aber dieses Mal fast ausschließlich – mit ihrem langjährigen guten Freund DJ Parrot zusammen, den sie bereits als Teenager kennenlernte, kurz nachdem sie 1990, mit 17, in Sheffield gestrandet war. „Er ist der konzentrierteste Produzent, den ich kenne“, sagt sie, „Parrot hält im Studio meistens die Augen geschlossen und bewegt sich tatsächlich durch die Songs, durch deren Architektur hindurch.“

Roísín Murphy: „Roísín Ma­chine“ (Skint/BMG)

Richard Barratt alias DJ Parrot ist „Schutzpatron“ der Musikszene von Sheffield: Schon in den 1980ern produzierte er House und Disco, hatte einige Hits, und zwar mit jener Sorte Industrial Music, die in die abgehalfterte Industriestadt passte – vor der Jahrtausendwende hatte der Ort in South Yorkshire schwer unter dem Niedergang der britischen Stahlindustrie zu leiden.

Mit Richard H. Kirk von Cabaret Voltaire werkelte Barratt in den späten 1980ern an einem Projekt namens Sweet Exorcist, später war er auch federführend bei dem elektronischen Big-Beat-Projekt The All Seeing I, das seine kühlen Sounds stets mit einer wärmenden Portion Schalk versah. Heute nennt sich Barratt Crooked Man und mit diesem Alias hat er auch schon Tracks zusammen mit Roísín Murphy veröffentlicht.

Geheimnisvoll und melancholisch

„Roísín Machine“ gestaltet Parrot mit stark aufgebauten Dramaturgien, saftigen Discosounds und kühnen Backgrounds wie eine lange, mal geheimnisvolle, mal melancholische Tanzhymne. Die Hinweise auf Zeiten, in denen der Groove durch alle Knochen und alle Frequenzen ging, die Anleihen aus den 70s und 90s sind dabei völlig nostalgiefrei. Vielleicht kann Roísín Murphy ihren Eskapismus inzwischen seltener im Club ausleben – aber in einem voluminösen textilen Design am Rand eines Pools auf Ibizza zu tanzen, trifft es schließlich auch ganz gut.

Hauptsache, die Ekstase hat sich noch nicht verzogen: „Man hält die Euphorie so lange wie möglich zurück, und dann lässt man sie kommen. So haben wir es auf dem Album gemacht“, erklärt Murphy. „Aber die spezielle Euphorie von ‚Roísín Machine‘ entstammt dunklen Orten. Bei dem Song ‚Simulation‘ gibt es zum Beispiel lange ein rosa Rauschen der Hihats, das macht die folgende euphorische Erlösung sogar noch stärker, weil sie sich so unerwartet und unheimlich anschleicht.“

Besagtes Stück „Simulation“ entstand, wie zwei weitere, bereits vor ein paar Jahren. Es steht folgerichtig am Anfang des Albums, als älterer Auftakt ins Heute. Wie die anderen Songs bringt es seine schnellen Beats langsam ins Spiel, und erst wenn man es kaum noch aushalten kann, eskaliert die Musik strahlend auf dem Dancefloor.

Ein absolutes Meisterstück in Sachen Steigerung ist jedoch das epische „Kingdom of Ends“ – der Titel erinnert an den von Murphy geschätzten britischen Musikjournalisten und Autor Mark Fisher, der 2017 starb: „Fisher war ein brillanter Polemiker“, sagt Murphy, „mit dem Begriff ‚Kingdom of Ends‘ bezeichnete er den Moment, an dem man das Finale seines Begehrens erreicht.“

In einem Nachlass habe sie Texte von ihm über ihre Band Moloko entdeckt, erzählt Murphy. In denen habe er die Band in eine Reihe mit Glamrock gesetzt, ganz ans Ende des musikalischen und Outfit-Phänomens. „Er hat meine Sexualität auf der Bühne hellsichtig beschrieben“, so Murphy, „als etwas, was ich nur für mich allein mache, nicht für das Publikum, nicht für den Rest der Band.“

Feen und Elfen singen Mantra

Das beeindruckende „Kingdom of Ends“ fängt mit zwei sich wiederholenden, motorischen Basstönen an, die sukzessive von unterschiedlichen Akkorden umspült werden. Irgendwo im Hintergrund beginnen verschwommen ein paar Feen und Elfen (Murphys mehrfach gedoppelte Stimme) ihr Mantra zu singen.

„In the Kingdom of Ends …“, bis vorn die mündige Discohexe Murphy in die Lichtung tritt und die Atmosphäre mit ein einigen Parolen anfeuert: „This is all / Nothing left / This is it /It was easier than I expected“. „… there’s only one desire left“, setzen die Feen und Elfen fort, und die Discohexe schleudert dazu weiter ihre Beschwörungen gen Himmel: „This is sane /This is mad / Ain’t nothing there / To make me glad“.

Bis zur Hälfte des über sechsminütigen Songs muss man das Vorspiel zum erlösenden Beat aushalten, zwei Minuten später fällt schon wieder alles in sich zusammen, die Geigen zittern, die Nebelschwaden werden dichter, die Feen und Elfen verschwinden: Ein wahrhaft mutiges Stück. „Das Genre ist ja eigentlich Mainstream“, sagt Murphy, „aber weil die Songs von ‚Roísín Machine‘ gleichzeitig so viele unterschiedliche, verwirrende, auch beängstigende Gefühle ansprechen, ist es das eben nicht. Die Botschaft ist nicht simpel. Mir geht es immer um Komplexität.“

„I’ll make my own happy ending“

Ein paar wenige Songs auf dem Album riechen zwar zunächst nach Abgeklärtheit, erzählen bei genauerem Hinhören jedoch davon, wie man sich manchen Dingen nicht entziehen kann: „I feel my story’s still untold /But I’ll make my own happy ending“, spricht Murphy im Oldschool-Disco-Stampfer „Murphy’s Law“ über Handclaps.

Im Song geht es um das Ende einer Beziehung – zunächst scheint der erwachsene Umgang damit zu überwiegen. Doch dann gibt die Erzählerin zu: „It’s Murphy’s law I’m gonna meet you tonight / Just one match could relight the flame / And just when everything is goin’ alright / Murphy’s law’s gonna strike again“. Als Erwachsene*r mag man weise sein. Doch Alter schützt nicht vor Gefühlen. Zum Glück.

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