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Kein Nischenphänomen

Die SPD war mit dem Vorhaben angetreten, befristete Arbeitsverträge einzudämmen. Doch es sieht danach aus, dass in dieser Legislaturperiode daraus nichts mehr wird

Unsicherheit am Arbeitsplatz belastet die Betroffenen. Im Gastgewerbe zum Beispiel hat mittlerweile rund jeder zehnte Arbeitnehmer nur einen Job auf Zeit Foto: A.F. Archive/Alamy/mauritius images

Von Hannes Koch

Wer einen neuen Arbeitsvertrag unterschreibt, freut sich in der Regel, wenn dieser kein Verfallsdatum beinhaltet. Denn unbefristete Verträge bieten den Beschäftigten mehr Sicherheit. Manche Firmen sehen das jedoch anders: Mit befristeten Verträgen können sie neue Arbeitnehmer:innen länger ausprobieren, sie schneller wieder loswerden und niedrigere Löhne zahlen. Eigentlich will deshalb die SPD die sogenannte sachgrundlose Befristung mit einer Gesetzesänderung zurückdrängen. Bisher ist es aber noch nicht dazu gekommen.

Das bundesweit gültige Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) kennt zwei Varianten: Befristungen von Arbeitsverträgen mit und ohne Grund. Im Koalitionsvertrags zwischen Union und SPD von 2018 heißt es: „Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen.“ Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten sollten daher „nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen“ dürfen. Außerdem vereinbarten die Regierungsparteien, die Laufzeit solcher Verträge auf anderthalb statt zwei Jahre zu begrenzen. Und in dieser Zeit könnten die Betriebe sie höchstens einmal, nicht bis zu drei Mal verlängern.

Bisher hat die Koalition diese Absicht aber nicht umgesetzt. „Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie und ihrer Auswirkungen stehen derzeit im Fokus“, antwortete das Bundesarbeitsministerium (BMAS) unlängst auf eine Anfrage von Beate Müller-Gemmeke, der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Grünen. Andere Projekte müssten deshalb zurückstehen, so das BMAS. Müller-Gemmeke vermutet, dass die Einschränkung der Befristung vor der nächsten Bundestagswahl auch nicht mehr komme – unter anderem weil die Union kein Interesse daran habe. Das Vorhaben sei zwar noch nicht im Gesetzgebungsverfahren, es stehe aber weiter auf der Agenda, erklärte eine Sprecherin des BMAS gegenüber der taz.

Dabei ist die Befristung von Arbeitsverträgen längst kein Nischenphänomen mehr. Zwischen 2001 und 2018 ist etwa der Anteil der sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse an der Gesamtbeschäftigung von 1,7 auf 4,8 Prozent gestiegen, wie Daten der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung zeigen. 2018 hatten damit etwa 1,8 Millionen Arbeitnehmer:innen solche Verträge. 2019 allerdings sank die Zahl leicht – vermutlich weil die Wirtschaft brummte, die Nachfrage nach Arbeitskräften hoch und deren Verhandlungsposition damit besser war. In Berlin lag der Anteil 2019 bei gut sechs Prozent, in Brandenburg bei gut vier Prozent. Inklusive der sachgrundlosen Befristungen waren 2018 sogar 3,2 Millionen der Stellen zeitlich gebunden, doppelt so viele wie noch zur Jahrtausendwende.

Die Union hat kein Interesse an einer Einschränkung der Befristungen

Die Lage aus Sicht der Beschäftigten hat sich jedoch nicht nur verschlechtert. „Die Rechtsprechung zu Befristungen ohne Sachgrund wurde in den vergangenen Jahren restriktiver“, erklärte Klaus Stähle, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. Das heißt, dass die Gerichte den Unternehmen im Streitfall weniger Spielraum zubilligen. Früher mussten nur drei Jahre vergangen sein, wenn auf einen terminierten Arbeitsvertrag ein weiterer mit dem selben Beschäftigten folgen sollte. Mittlerweile sind es fünf Jahre, abhängig vom konkreten Fall manchmal auch mehr.

Oft wird vor Gericht um die Verlängerung der sachgrundlosen Befristung innerhalb des vom Gesetz gestatteten Zeitraumes von zwei Jahren gestritten. „Wenn ein sachgrundlos befristeter Vertrag verlängert wird, darf das nur unter den exakt gleichen Bedingungen erfolgen“, sagt Anwalt Stähle. Sollte der Arbeitgeber etwa den Fehler machen, bei Vertragsverlängerung die Bezahlung zu ändern, kann der Beschäftigte mit guten Erfolgsaussichten klagen.

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