Aggressionen in den USA steigen

Weiße mobilisieren gegen Black Lives Matter. In Louisville stehen sich Milizen gegenüber

Aus New York Dorothea Hahn

Sechs Monate nachdem Polizisten einem nackten, Schwarzen Mann, der mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf einer Straße in Rochester lag, eine Tüte über den Kopf gestülpt und seinen Kopf auf den schneekalten Asphalt gedrückt haben, hat die Justizministerin des Bundesstaates New York, Leticia James, am Samstag Grand-Jury-Ermittlungen eingeleitet. Der 41-jährige Daniel Prude rief in der Märznacht, als er bereits die sogenannte „Spucktüte“ auf dem Kopf hatte: „Ihr wollt mich umbringen.“ Eine Woche später war er tot. „Komplikationen aus Ersticken, körperlicher Fixierung und Drogeneinwirkungen“, befand ein Gerichtsmediziner.

Seit die Familie von Daniel Prude am Donnerstag ein Polizeivideo veröffentlicht hat, dessen Brutalität an Folterszenen aus dem Irakrieg erinnert, herrscht Aufruhr in der 200.000-Einwohner-Stadt Rochester im Norden von New York. Noch am Donnerstag suspendierte Bürgermeisterin Lovely Warren die sieben beteiligten Polizisten vom Dienst. Bei der Pressekonferenz sagte die Afroamerikanerin: „Wir alle haben Daniel Prude im Stich gelassen, die Polizei, die Psychiatrie, die Gesellschaft und ich.“ Sie sagte auch, dass sie nun Klagen der Polizeigewerkschaft befürchtet.

Zeitgleich begannen in Rochester Demon­strationen von Black Lives Matter, die seither täglich größer geworden sind und die verlangen, dass die Polizisten entlassen und angeklagt werden. Um sich gegen das Tränengas der Polizei zu wehren, halten Demonstranten aufgespannte Regenschirme vor sich. In der Nacht zu Sonntag fuhr ein roter Pkw in eine Gruppe von Menschen, die auf der Kreuzung East Avenue und Alexander Street demonstrierten. Aus einem offenen Seitenfenster sprühte jemand aus dem Wageninneren ein gelbes Gas in die Menge. Dann fuhr der Fahrer einen Demonstranten an und flüchtete vom Tatort.

Gefährliche Szenen gab es am Wochenende auch an anderen Orten in den USA. In Louisville fand am Samstag das 146. Kentucky Derby statt. Schwarze Prediger und Bürgerrechtler hatten vergeblich eine Absage des Spektakels verlangt, das pandemiebedingt ohne Zuschauer stattfand. Hunderte Schwarze und weiße AktivistInnen zogen am Samstag zu der Rennbahn und skandierten: „Keine Gerechtigkeit – kein Derby“, als auf Parkplätzen rundum schwer bewaffnete weiße Milizionäre zusammenkamen. Viele von ihnen hatten Trump-Fahnen auf ihre Trucks montiert. Eine weiße Frau mit geflochtenen Zöpfen mahnte, „bleibt alle zusammen“, bevor die Gruppe zur Rennbahn fuhr, um „der Polizei den Rücken zu stärken“. Ein ebenfalls schwer bewaffneter weißer Mann einer anderen Miliz, der sich selbst als „Angry Viking“ bezeichnete, erklärte einem Reporter: „100 Tage Proteste reichen.“

Auch die Schwarze Bürgerwehr Not Fucking Around Coalition, die im Frühsommer nach dem Mord an dem Schwarzen Jogger Ahmaud Arbery erstmals in Georgia öffentlich aufgetreten war, reiste am Samstag mit geschulterten Schusswaffen in Louisville an. Zu bewaffneten Auseinandersetzungen kam es jedoch nicht.