: Nach dem virtuellen Leben
Der digitale Nachlass wird bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Testament häufig vernachlässigt. Dort tun sich bislang rechtliche Grauzonen auf, um die gestritten wird
Durch ein Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof am 12. Juli 2018 den digitalen Nachlass dem normalen Nachlass gleichgestellt, das heißt: alle bestehenden Verträge und Nutzervereinbarungen gehen auf die Erben über.
Man kann bereits zu Lebzeiten Nachlasskontakte bei Facebook und Google einrichten – also Personen, die bei Krankheit oder Tod des jeweiligen Nutzers auf die Inhalte zugreifen dürfen.
Bei Facebook ist es auch möglich, in den Benutzereinstellungen festzulegen, dass das Profil nach dem Tod automatisch gelöscht wird, sobald das Ableben bestätigt wurde. Ansonsten wird es in diesem Fall in den „Gedenkzustand“ versetzt, also quasi „eingefroren“.
Bei vielen E-Mail-Diensten erhalten die Erben in der Regel Zugang und können die Accounts löschen, in der Regel (Ausnahme: Yahoo) darf man die E-Mails auch lesen.
Von Ansgar Warner
Unser Leben findet immer häufiger online statt. Nur darauf, dass Menschen nicht ewig leben, scheint das Internet nicht so richtig vorbereitet zu sein: Die Zahl der digitalen „Karteileichen“ wächst. Eine besonders gruftige Statistik rechnet vor, dass die Social-Media-Plattform Facebook ab 2069 mehr tote als lebendige Mitglieder haben wird. Bei mehr als zwei Milliarden aktiven Nutzern ist der Sensenmann dort schon jetzt ein ständiger Gast, 8.000 User lässt er jeden Tag für immer offline gehen.
Das digitale Ich lebt derweil fröhlich weiter. Anfangs schien das niemanden zu stören, inzwischen haben die großen sozialen Netzwerke jedoch reagiert: So können etwa Profile auf Antrag gelöscht oder in einen Gedenk-Modus versetzt werden. Pietätlose Aufforderungen an Kontakte, einer Leiche zum Geburtstag zu gratulieren, lassen sich so schon mal verhindern.
Das Problem hat sich derweil auf die rechtliche Ebene verlagert: Kann man ein Benutzerkonto vererben? Können Hinterbliebene Zugriff auf den digitalen Nachlass erhalten? Betroffen davon sind nicht nur Social Media-Profile, sondern unsere ganze digitale Existenz – und die ist größer, als man auf den ersten Blick denken mag. Kundenprofile im Online-Handel, Bezahldienste wie PayPal, E-Mail und Messaging-Dienste, Streaming-Abos, private und geschäftliche Webseiten gehören dazu, ebenfalls der Zugang zu Smartphone, PC oder Spielkonsole. Oft sind umfangreiche private oder geschäftliche Daten auf Cloud-Servern gesichert.
Während anderswo auf der Welt rechtliche Regelungen etwas schneller erfolgten – etwa in den USA durch den Fiduciary Access to Digital Assets Act –, kam in Deutschland die erlösende Antwort auf diese brennende Frage erst vor kurzem. Und zwar per Gerichtsurteil. Im Jahr 2018 entschied der Bundesgerichtshof in letzter Instanz: Der Vertrag über ein Benutzerkonto ist vererbbar, Hinterbliebene können die sogenannte „Gesamtrechtsnachfolge“ auch im digitalen Bereich antreten.
Erste Anlaufstelle sollten E-Mail-Accounts der verstorbenen Person sein, über die eingegangenen Rechnungen lassen sich bestehende Vertragsverhältnisse überblicken.
Hilfe beim Ergründen des digitalen Nachlasses bieten mittlerweile auch viele Bestattungsunternehmen im Rahmen ihres Service.
Spezialdienstleister wie Pacem Digital (auch für Privatpersonen) und Columba (nur im Auftrag von Bestattern) fragen mithilfe von Datenbanken automatisch bei Online-Anbietern nach bestehenden Accounts, wenn man eine Vollmacht und den Totenschein vorlegt.
Hintergrund war die Klage von Eltern einer verstorbenen Teenagerin, die Zugang zum Facebook-Account ihrer Tochter beanspruchten. Spätestens bei zahlungspflichtigen Diensten mit festen Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen kommt natürlich auch das liebe Geld ins Spiel, da das letzte Hemd keine Taschen hat, sind die Erben in der Pflicht.
Das Recht auf Zugriff ist dabei aber nur die eine Seite der Medaille, das Problem bei digitalen Nachlässen besteht oft ganz einfach darin, dass weder eine Auflistung der genutzten Webdienste noch die dazu nötigen Login-Namen und Passwörter bekannt sind. Das stellt Hinterbliebene vor eine schwierige Aufgabe. Entweder müssen sie selbst eine Menge Detektivarbeit leisten oder für viel Geld darauf spezialisierte Firmen beauftragen.
Das meiste klärt sich oft schon auf, wenn Zugang zum E-Mail-Postfach der Verblichenen besteht, hier laufen schließlich viele Mitteilungen zu laufenden Vertragsverhältnissen ein. Außerdem kann über die Passwortzurücksetzung ein neues Passwort an die jeweilige Mail-Adresse geschickt werden. Doch nicht jeder schreibt sein E-Mail-Passwort auf den Schreibtisch oder hängt einen Post-it-Zettel an den Monitor.
Besser ist es deswegen, sich schon zu Lebzeiten um den digitalen Nachlass zu kümmern. Grundlage dafür ist eine Übersicht. So kann man etwa eine Excel-Liste führen, die alle notwendigen Angaben zum digitalen Privatleben enthält, idealerweise regelmäßig aktualisiert. Diese Liste sollte man zur Sicherheit auch ausdrucken oder als Dokument auf einem USB-Stick hinterlegen. Zugleich informiert man eine Person seines Vertrauens darüber, wo diese Informationen zu finden sind, besser noch mehrere Personen.
Als Erstes empfiehlt sich eine Art digitaler Inventur: welche Online-Dienste und Apps werden genutzt, welche digitalen Geräte sind im Gebrauch, wo sind wichtige Daten gespeichert?
Auf die Inventur folgt eine Auflistung von Accounts und Passwörtern, etwa mithilfe einer Excel-Tabelle oder vorgefertigten Formularen der Verbraucherzentrale.
In einer handschriftlichen Vollmacht sollte man einen Nachlassverwalter festlegen und Regelungen zum Sichern oder Löschen von digitalen Inhalten treffen. Auch für die Vollmacht gibt es Vorlagen bei der Verbraucherschutzzentrale.
Eine oder mehrere Personen des Vertrauens sollten abschließend über den Aufbewahrungsort von Auflistung und Vollmacht informiert werden.
Inzwischen gibt es auch spezielle Afterlife-Apps, um Logins und Passwörter zentral zu verwalten, wichtige digitale Dokumente aufzubewahren und Vorkehrungen für den Todesfall zu treffen. Verbraucherschützer sind solchen Lösungen gegenüber allerdings skeptisch, denn schließlich wird hier einem Unternehmen Zugang zu allen sensiblen Daten ermöglicht, die überhaupt nur denkbar sind.
Doch egal wie man nun die Daten verwahrt – damit digitale Nachlassverwalter überhaupt walten können, brauchen sie auch im Internet-Zeitalter eine handschriftliche Vollmacht. Diese Verfügung muss ausdrücklich „über den Tod hinaus“ formuliert werden sowie Datum und Unterschrift enthalten. In dem Schriftstück sollte man auch gleich festlegen, was genau mit einzelnen Daten zu tun ist – was soll gesichert und weitergegeben werden (etwa Texte, digitale Fotos und Filmaufnahmen), was soll gelöscht werden (etwa Social Media Profile, Postings, Mails)? Mustervorlagen für den digitalen Nachlass von der Account-Auflistung bis zur Vollmacht kann man beispielsweise auf der Website des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes herunterladen (verbraucherzentrale.de).
Noch besser ist es natürlich, gleich ein komplettes Testament aufzusetzen, das dann auch einen Teil zum digitalen Nachlass enthält. Zumal ja heutzutage auch Überschneidungen vorkommen können. Wer einen Haufen Bitcoins vererben will, oder ein wertvolles Twitter-Account mit einer Million Follower, muss ja ohnehin klare Festlegungen treffen, von den Zugangscodes mal ganz abgesehen.
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