Ethikrat gegen den Immunitätspass

Die Tests zur Immunität gegen Corona sind zu unpräzise, sagt das Experten­gremium. Gestritten wird auch über die Frage, ob der Pass rechtlich zulässig sei

Von Heike Haarhoff

Als der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor einigen Monaten die Idee ins Spiel brachte, man könne Menschen nach durchgemachter Coviderkrankung doch offiziell bescheinigen, analog zum Impfausweis quasi, dass sie nun gegen das Coronavirus immun und folglich weder eine Ansteckungsgefahr für andere noch sich selbst darstellten, da schlugen die Wellen der öffentlichen Empörung hoch.

Diskriminierend, unethisch, gefährlich und ungerecht sei es, wenn einige wenige plötzlich privilegiert würden und inmitten der Pandemie Freiheiten genössen, die anderen verwehrt blieben; eine falsche Sorglosigkeit werde suggeriert, womöglich würden Menschen dem Fehlanreiz erliegen und sich absichtlich infizieren – so lauteten die Vorwürfe.

Spahn wandte sich daraufhin an den Ethikrat: Ein Gremium aus 24 Expertinnen und Experten aus den Bereichen Recht, Medizin, Philosophie, Biologie, Theologie und der Pflege, das Regierung und Parlament in ethischen Kontroversen berät. Am Dienstag nun präsentierte der Ethikrat eine 55 Seiten starke Stellungnahme – um in der Quintessenz mitzuteilen, dass sich die Frage nach der Einführung von Immunitätsbescheinigungen – zum jetzigen Zeitpunkt – verbiete.

Denn erstens, so das einstimmige Votum des Rats, gebe es bislang kein gesichertes medizinisches Wissen darüber, ob, wie lange und in welchem Ausmaß Menschen nach durchgemachter Erkrankung tatsächlich vor einer neuerlichen Infektion geschützt seien und ob sie das Virus weitergeben könnten. Zweitens böten die derzeit frei verkäuflichen Tests zum Nachweis einer Immunität eine bloß „zweifelhafte Verlässlichkeit“. Sie müssten strenger reguliert werden, forderte der Ethikrat. Die Bevölkerung sei über die zweifelhafte Qualität der verfügbaren Tests besser aufzuklären, aber auch über den großen Nutzen eines „gemeinwohlorientierten Infektionsschutzes“. Die Eigenschaften des Coronavirus wiederum müssten, so der Ethikrat, „zielgerichtet und koordiniert“ erforscht werden.

Was aber, wenn diese praktischen Hürden eines Tages genommen sind? Wer sich hierzu Orientierung beziehungsweise eine eindeutige Positionierung der Ethik-Experten erhofft hatte, wurde enttäuscht: In der Frage, ob die viel diskutierten Bescheinigungen dann weiterhin gesellschaftlicher Fluch oder Segen wären, sind die Mitglieder des Ethikrats genauso gespalten wie der Rest der Bevölkerung.

Die eine Hälfte der Ratsmitglieder lehnt aus ethischen und rechtlichen Gründen staatlich kontrollierte Immunitätsbescheinigungen auch für den Fall kategorisch ab, dass sich Immunität in der Zukunft verlässlich nachweisen lässt; die andere Hälfte könnte sich ihre Einführung „stufenweise, anlassbezogen und bereichsspezifisch“ dagegen durchaus vorstellen. So komme der „Rückerlangung individueller Freiheitsrechte eine besondere Bedeutung“ zu, schreiben die Befürworter, „insbesondere, wenn sie auch einen dem Gemeinwohl dienenden Beitrag leisten können“. Gemeint ist etwa, dass Personen, die immun sind, erleichterten Zugang zu Pflegeeinrichtungen oder Kindergärten haben könnten, weil sie für dortige Risikogruppen keine Gefahr darstellen.