piwik no script img

„Tausende Jahre mit dem Wind“

„Was spricht dagegen, emissionsfreie Schiffe zu bauen und damit auch noch Geld zu verdienen?“, fragt Carsten Bullemer. Bei der Entwicklerkonferenz der Hamburger Klimawoche bringt er Forschung und Aktivismus zusammen

Von Gernot Knödler

taz: Herr Bullemer, „Seadevcon“ hört sich cool an und ein bisschen militärisch wie in einem Actionfilm – was bedeutet das?

Carsten Bullemer: Das C steht für die Konferenz, bei der es um Nachhaltigkeit in der Schifffahrt geht, das V für Development – Entwicklung. Wir kommen ja aus dem Bereich der Soft- und Hardware-Entwicklung. Die militärische Abkürzung schreibt man mit F wie Friedrich. Daran, dass das ähnlich klingt, haben wir nicht gedacht.

Begonnen haben Sie mit einer Konferenz, bei der es ums Erfassen von Schiffsbewegungen ging. Wie kam es zu dem Fokus auf Nachhaltigkeit?

Wir haben uns irgendwann gefragt, ob man etwas Sinnvolleres machen könnte, als irgendwelche Effizienzen zu steigern und den Profit um ein Prozent zu erhöhen – ob man unsere Technologie nicht auch mal für sinnvolle Sachen benutzen könnte. Dabei geht es nicht nur um Emissionen und den Klimawandel, sondern auch um illegale Fischerei, Fangflotten, Menschenrechte auf See.

Inwiefern gehen Sie dabei über das ökonomisch Rentab­le hinaus?

Das widerspricht sich in der Tat teilweise. Wenn ich komplett ökonomisch denke, muss ich den billigsten Treibstoff nehmen, den es gibt. Wenn ich ökologisch denke, kann ich das halt nicht tun. Genauso ist das mit dem Fischfang: Wenn ich kurzfristig ökonomisch denke, fische ich halt erst mal alles leer, um es zu verkaufen.

Wo kommt hier die Technologie ins Spiel?

Dabei, dass Sie das Ganze zunächst einmal beobachten und nachverfolgen: Wer fährt wo lang und mit welchen Emissionen. Das Ziel ist, ressourcenschonendere Wege zu finden.

Sie stellen im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche in Hamburg eine Menge Lösungen vor. Was ist für Sie am erfolgversprechendsten?

Die Schifffahrt wurde Tausende von Jahren mit Wind betrieben. Warum sollte das heute nicht gehen?

Wird so eine Lösung vorgestellt in Hamburg?

Becker Marine Systems wird vertreten sein, die arbeiten an so etwas. Durch Corona wird die „Seadevcon“ dieses Jahr ziemlich regional sein. Im vergangenen Jahr hatten wir Leute aus aller Welt da, die an so etwas arbeiten.

Liest man Ihre Ankündigung, stößt man auf den Begriff Disruptive Technologies. Was hat kreative Zerstörung mit Nachhaltigkeit zu tun?

Ich mag das Wort auch nicht so gerne, aber in der Schifffahrt kann die Disruptiveness daher kommen, dass man den Leuten verbietet, mit Schweröl zu fahren oder Diesel. Wenn einer nach dem Muster von Elon Musk käme und sagte: Das läuft in Zukunft nur noch mit Wind und null Emissionen und kostet vielleicht sogar weniger – dann würde sich die Industrie auf einmal radikal ändern. In der Auto­industrie gibt es diesen Wandel durch Tesla ja auch. Ob Musk das aus ökologischen Gründen getan hat oder nur, weil er Geld verdienen wollte, ist egal ... Vielleicht beides.

Sie arbeiten mit Umweltaktivisten zusammen. Hören Sie den Vorwurf, es gehe bloß wieder um ein neues Geschäftsmodell?

Ist das denn schlimm? Ist es schlimm, wenn sich junge Leute damit beschäftigen, wie man ein Schiff sauber machen und dabei noch Geld verdienen kann? Ich finde das super.

Werbung für den Klimaschutz

Die 12. Hamburger Klimawoche findet vom 20. bis 27. September auf dem Rathausmarkt statt. Eine offene Zeltdachkonstruktion und ein „ausgeklügeltes Hygienekonzept“ sollen die Veranstaltung pandemiekompatibel machen. „Das Coronavirus öffnet uns die Augen und zeigt uns global, was wir in den vergangenen Jahren politisch und wirtschaftlich falsch gemacht haben“, so Kurator Frank Schweikert.

Zweck der Veranstaltung ist gesellschaftlicher Dialog zwischen Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Ehrenamtlichen über die seit 2016 verbindlichen 17 UN-Nachhaltigkeitsziele. Es wird Vorträge, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen geben.

Ein Höhepunkt werden könnte ein Gespräch von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) mit der Ökonomin Claudia Kemfert und der Transformationsforscherin Maja Göpel. Thema: „Corona und Klima: Was wir wirtschaftlich und gesellschaftlich ändern müssen“.

Weitere Themen sind klimaneutrale Landwirtschaft, nachhaltige Stadtentwicklung, die Verkehrswende, Klima als Fluchtursache und die Zukunft des Kohlekraftwerks Moorburg. Zudem gibt es Ausstellungen und Infostände.

Die European Researchers Night, Highlight der 11. Klimawoche, wurde von der EU wegen der Coronapandemie auf den 27. November verschoben.

Aber es kann natürlich Misstrauen hervorrufen.

Von wem?

Fridays For Future zum Beispiel.

Mein Wunsch wäre, dass die alle nach der Konferenz Schiffbau studieren und das emissionsfreie Schiff erfinden.

Sie schreiben, Ihre Konferenz solle eine „Productive balance between work and play“ herstellen. Der Spaß soll nicht zu kurz kommen.

Die Konferenzen der Vor-Corona-Zeit gingen über mehrere Tage. Wir haben Stand-up-Paddling gemacht, ein Alster-Clean-up, wir hatten eine Band, Leute haben übernachtet, das eine oder andere Bier getrunken. Das sind leider alles Sachen, die wir in diesem Jahr nicht machen können.

Wird es trotzdem einen kreativen Austausch geben?

Wir haben nur einen Vormittag Zeit. Geplant ist eine Diskussionsrunde mit Leuten aus der Industrie, Fridays For Future, aber auch mit Ingenieuren.

Worum wird es dabei gehen?

Darum, welche Fortschritte wir noch machen müssen, um eine emissionsfreie Schifffahrt und Logistik hinzukriegen. Was ist passiert, was sind hehre Versprechungen? Was sind die Forderungen? Wie stellt sich Fridays For Future das vor? Würden die Leute, die Geld haben, in so etwas investieren?

Sie haben auch Start-ups am Start. Womit beschäftigen die sich?

Carsten Bullemer49, hat die „Seadevcon“ initiiert. Der Informatiker hat auch die Internetplattform vesseltracker.com gegründet, die weltweit Schiffspositionen anzeigt.

Eine der Firmen heißt Sea Routes. Die ermittelt den CO2-Gehalt eines Containers, wenn der von A nach B gefahren wird. Da gibt es extreme Unterschiede. Das müssen Sie erst mal darstellen. Und dann gibt es andere Firmen, die sagen, wir könnten das mit Bio-Treibstoff regeln, mit Segeln oder mit Wasserstoff. Erst mal muss ich es messen und dann überlegen, welche Technologien es gibt, um den CO2-Ausstoß zu drücken.

Ihr Steckenpferd ist die Informationstechnologie. An welcher Stelle kann die helfen?

Beim Nachverfolgen und der Sichtbarkeit – wer fährt wo herum? –, um dann zu einer besseren Planung zu kommen. Die Container müssen vielleicht nicht von Rotterdam nach Italien, in die Schweiz und zurück gefahren werden. Vielleicht gibt es ja einen besseren Weg.

Sie werden auf der Konferenz auch einen Preis vergeben, den im vergangenen Jahr der Abenteurer und Polarforscher Arved Fuchs erhalten hat.

In diesem Jahr vergeben wir ihn an Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut, den Leiter der Mosaic-Expedition zum Nordpol, der größten Arktis-Expedition überhaupt. Die ging über ein Jahr, um den Klimawandel und dessen Folgen am Pol besser verstehen zu können. Dabei hat sich das Forschungsschiff Polarstern auch im Packeis einfrieren lassen.

Wozu der Preis?

Damit versuchen wir, das Thema hoch zu halten. Die Expedition wird auf der „Seadevcon“ vorgestellt. Ich möchte eine Brücke schlagen zwischen Wissenschaftlern, Forschern und Abenteurern wie Arved Fuchs, aber auch zu Leuten aus der Wirtschaft. Ich habe etwa den Profisegler Boris Herrmann mit den Leuten von der ­Spedition Kühne + Nagel zusammengebracht, die jetzt dessen Nachhaltigkeitsprojekte unterstützen. Bei der „Seadevcon“ entstehen jedes Jahr tolle Partnerschaften.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen