Zukunft von Nord Stream 2: Das Ende der Petropolitik

Ein Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 ist ökonomisch und ökologisch witzlos. Aber politisch wäre das ein mächtiges Symbol.

Ein Mann blickt in ein Rohr

Ein Rohr für die Ostsee-Erdgastrasse Nord Stream 2 Foto: Jens Büttner/dpa

Die Gaspipeline Nord Stream 2 ist eines der dümmsten Projekte Angela Merkels. Jetzt auf einmal ist ein Baustopp für die fast fertige, 1.230 Kilometer lange Doppelröhre durch die Ostsee für die Bundesregierung denkbar.

Da hätte man früher darauf kommen können. Mit der Pipeline umgeht der Kreml vor allem die Ukraine: Kiew erzielt rund 7 Prozent seiner Staatseinnahmen mit Transitgebühren. Putin marschiert 2014 in der Ukraine ein, annektiert die Krim, und Berlin hilft dem Aggressor aktiv dabei, seine neue Pipeline durch die Ostsee zu bekommen, mit der er sein Opfer massiv schwächt. Kein Wunder, dass Putin denkt, er hätte Narrenfreiheit.

Damals wäre der Zeitpunkt gewesen, die Pipelinepläne abzusagen. Jetzt steht Berlin vor dem Dilemma, Nord Stream 2 als Reaktion auf den Giftanschlag auf Alexej Navalny beerdigen zu müssen. Ein Fall, weniger klar als der Ukraine-Krieg: Sehr wahrscheinlich steckt der Kreml hinter dem Anschlag. Doch jede Antwort wird immer davon getrübt sein, dass es dafür keine endgültigen Beweise gibt.

Würde Berlin die Pipeline allein stoppen, wie auch immer das juristisch umzusetzen wäre, könnte Gazprom aussichtsreich auf Entschädigung klagen. Die aus Europa beteiligten Unternehmen ohnehin. Dieses Milliardenrisiko muss man als Bundesregierung erst mal erklären: Wir bestrafen Putin, indem wir ihn entschädigen.

Ein zweiter Weg wären Sanktionen für den russischen Gassektor, in dem Fall sind Entschädigungen wohl ausgeschlossen. Sanktionen müsste die EU beschließen, und da wird es interessant: Nord Stream 2 war von Beginn an ein Ärgernis für Europa, das EU-Parlament hat US-Sanktionen gegen den Bau sogar begrüßt. Polen hat diese Woche wieder für einen Stopp plädiert. Insofern könnte Merkel, die selbst eine europäische Antwort auf den Nawalny-Anschlag fordert, mit einem Pipeline-Kurswechsel für eine einheitliche EU-Energiepolitik sorgen. Das wäre wohl eine echte Strafe für Putin, der bisher genüsslich zusehen konnte, wie Europa sich über Nord Stream 2 entzweit.

Ein solcher Kurs würde ein eklatantes machtpolitisches Problem des Kreml verstärken: Die EU ist dabei, sich von der Abhängigkeit von russischem Gas zu emanzipieren. Die Kapazität von Flüssiggas-Terminals, um Gas aus den USA, Australien oder Katar zu beziehen, sind ebenso ausgebaut worden wie Pipelines nach Norwegen oder Nordafrika. Das Netz ist so ertüchtigt, dass selbst die Ukraine mit Erdgas versorgt werden könnte, das EU-Staaten zuvor importiert haben. Behauptungen, ein Aus von Nord Stream 2 gefährde die Versorgung, sind deshalb Blödsinn. Dazu kommt, dass die EU in den nächsten zwei Dekaden auf Öl und Gas allmählich verzichten will: Die Zeit der Petropolitik geht für Moskau zu Ende.

Ökonomisch hielte sich der Schaden bei einem Pipeline-Stopp für Moskau in Grenzen: Auch mit den bestehenden Röhren kann Russland so viel Erdgas nach Europa verkaufen, wie der Kontinent nachfragt. Deshalb ist Nord Stream 2 auch mit Sicht auf das Klima ein Nullsummenspiel. Erdgas ist zwar keine klimaschonende Brückentechnologie: Bei Produktion, Verarbeitung und Transport entweicht Methan in die Atmosphäre, ein extrem starkes Klimagas. Das macht Erdgas wahrscheinlich sogar noch schädlicher als Kohle. Aber ohne Nord Stream 2 würde Europa keinen Kubikmeter weniger Erdgas importieren und verbrauchen. Vermutlich schont die neue Pipeline das Klima sogar – die Alternative wären die Pipelines durch die Ukraine und Polen, die aufgrund ihres Alters undichter sind.

Ein Aus für Nord Stream 2 wäre also vor allem eine Machtdemonstration Europas. Ein Schlag gegen Putin persönlich, für den die Pipeline ein Symbol der Machtpolitik mittels Öl und Gas ist. Für Merkel dagegen wäre das Eingeständnis eines Fehlers in der Energiepolitik nichts Neues. Es wäre vielmehr der rote Faden ihrer Kanzlerinnenschaft.

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Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.

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