Rüffel für Staatsanwaltschaft

Die tödlichen Schüsse auf einen Flüchtling während eines Polizeieinsatzes in Fulda im April 2018 beschäftigen Justiz, Politik und Öffentlichkeit bis heute. Nun wurden Prozesse gegen Kritiker vertagt

Fulda, 13. April 2018: Vor dieser Bäckerei randalierte der junge Mann und griff Menschen an. Dann erschoss ihn die Polizei Foto: Jörn Perske/picture alliance

Aus Frankfurt am Main Christoph Schmidt-Lunau

An diesem Donnerstag sollten sich drei Kritiker eines umstrittenen Polizeieinsatzes in Fulda vor dem Amtsgericht verantworten. Am Morgen des 13. April 2018 war dort der 19-jährige afghanische Flüchtling Matiullah J. durch Schüsse aus einer Polizeiwaffe zu Tode gekommen, nachdem er zuvor randaliert und dabei zwei Menschen verletzt hatte. Die öffentliche Kritik der drei Aktivisten an diesem Polizeieinsatz wertete die Staatsanwaltschaft als „Verleumdung“ oder „Beleidigung“. Der Amtsrichter erließ deshalb Strafbefehle über 600 beziehungsweise 2.250 Euro. Weil die Beschuldigten Widerspruch eingelegt hatten, sollte die Sache jetzt öffentlich verhandelt werden. Doch die Gerichtstermine wurden kurzfristig abgesetzt.

Offiziell hieß es, es hätten sich mehr BeobachterInnen angemeldet, als unter Coronabedingungen im Gerichtssaal Platz hätten. Der Pressesprecher des Amtsgerichts schloss gegenüber der taz aber auch nicht aus, dass eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft eine Rolle gespielt habe. Die hatte Anfang August die ihr nachgeordnete Staatsanwaltschaft Fulda angewiesen, die Ermittlungen gegen den Polizeibeamten wieder aufzunehmen, der die tödlichen Schüsse abgegeben hatte. Das Gericht hätte somit gegen Kritiker eines Vorgangs verhandeln müssen, der nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft nicht gründlich genug untersucht wurde.

Die tödlichen Schüsse und die Demonstrationen von Freunden und Mitbewohnerinnen des Getöteten und anderen KritikerInnen des Polizeieinsatzes beschäftigen Justiz, Politik und Öffentlichkeit im osthessischen Fulda seit mehr als zwei Jahren. Nun muss die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Beamten erneut aufnehmen. Sie hatte dem Beamten bescheinigt, in Notwehr gehandelt zu haben. Gleichzeitig verfolgte die Behörde unnachgiebig KritikerInnen des Polizeieinsatzes. So rückten Staatsanwaltschaft und Polizei zur Hausdurchsuchung bei einem Aktivisten von „Fulda aktiv gegen Rassismus“ an, weil der einen kritischen Artikel aus dem Magazin Belltower.News der Amadeu-Antonio-Stiftung online gestellt hatte.

Der Autor dieses Artikels, ein Politikstudent aus Frankfurt, hätte sich jetzt vor Gericht verteidigen wollen. Fuldas Polizeipräsident Günter Voß persönlich hatte ihn angezeigt. In seinem Artikel habe der Autor behauptet, der junge Mann sei „mit 12 tödlichen Schüssen getötet“ worden; damit stelle er den Vorgang wie eine Hinrichtung dar, so die Argumentation des obersten Polizeibeamten Fuldas. Tatsächlich habe sein Kollege zwölf Schüsse auf den jungen Mann abgegeben; vier hätten diesen getroffen, zwei davon tödlich.

Der Strafbefehl über 600 Euro lautet auf „Verleumdung“. Sein Mitangeklagter soll Flyer mit der Forderung „Gerechtigkeit für Matiullah“ verteilt haben; den Zettel habe er einem 11-jährigen Zeugen mit den Worten in die Hand gedrückt: „Hier, damit du weißt, um was es geht. Ein Polizist hat einen Menschen ermordet, und er war unschuldig“.

Kritik am Einsatz wertete die Staatsanwaltschaft als „Verleumdung“ oder „Beleidigung“

In einem zweiten Verfahren, das erst 48 Stunden vor dem Termin abgesagt wurde, muss sich ein 25-Jähriger verantworten. Er soll gerufen haben: „Bullen morden, der Staat schiebt ab, alles ein Rassistenpack“. Diese generalisierende Formulierung habe er nie verwendet, versichert der Beschuldigte gegenüber der taz. Er habe vielmehr einen Text von Feine Sahne Fischfilet zitiert: „Das ist das gleiche Rassistenpack!“ – ein feiner Unterschied.

Die Verhandlungen wurden nun in die erste Dezemberwoche vertagt. Bis dahin gibt es vielleicht neue Erkenntnisse. Immerhin hatte der Beamte insgesamt 12 Schüsse – fast ein ganzes Magazin seiner Dienstwaffe – auf den jungen Mann abgegeben. Der hatte zuvor einen Auslieferungsfahrer mit einem Steinwurf und einen Polizeibeamten mit einem entwendeten Schlagstock verletzt. Doch Angehörige des Getöteten hatten Zweifel angemeldet, dass der Polizeieinsatz verhältnismäßig gewesen sei.

Im Auftrag eines Bruders von Matiullah J. hatte die Wiesbadener Rechtsanwältin Jana Gawlas Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen eingelegt, wegen offener Fragen und Widersprüchen. Offenbar mit Erfolg. Die Staatsanwaltschaft Fulda erklärte dazu der taz: „Zu der konkreten Begründung der Generalstaatsanwaltschaft können aus ermittlungstaktischen Gründen keine weiteren Angaben gemacht werden.“