Johnsons Verhandlungstaktik Brexit: Zu früh eskaliert

Premier Boris Johnson setzt der EU ein Brexit-Ultimatum. Das soll wohl schneidig wirken, ist langfristig aber ein eher ziemlich dämliches Manöver.

Portrait von Boris Johnson

Deal or no deal? Johnson setzt immer noch auf die harte Kante Foto: Hannah McKay/reuters

Ein weiser Rat lautet: Niemals eskalieren! Denn es ist schwer, von Maximalforderungen wieder abzurücken, ohne sein Gesicht zu verlieren. Doch ausgerechnet Politprofi Boris Johnson verstößt gegen diese eherne Regel der Diplomatie. Der britische Premier überraschte mit dem Ultimatum, dass die Brexit-Gespräche mit der EU bis zum 15. Oktober abgeschlossen sein müssten. Sonst sehe er nicht, „dass es ein Freihandelsabkommen zwischen uns geben wird“.

Auch die EU hat immer betont, dass das Handelsabkommen bis Ende Oktober stehen müsste, damit es rechtzeitig von allen Parlamenten ratifiziert werden kann.

Doch hat die EU stets ein Türchen offen gelassen, um weiterverhandeln zu können. Diese Option hat Johnson jetzt ausgeschlagen: Er redet von einem Weg „wie Australien“, doch Australien hat kein Handelsabkommen mit der EU. Mit seinem Ultimatum markiert Johnson den starken Mann, was bei seinen Wählern kurzfristig beliebt sein mag – langfristig aber überaus dämlich ist. Denn Johnson präsentiert sich damit als idealer Sündenbock – für die eigenen Wähler. Noch spüren die Briten fast nichts vom Brexit, weil das Land bisher zum Binnenmarkt gehört. Doch Ende des Jahres ist diese Übergangsphase vorbei, was die britische Wirtschaft hart treffen wird, die bereits durch Corona um 10 Prozent eingebrochen ist.

Die Briten werden nach einem Schuldigen für diese Misere suchen. Wenn Johnson schlau wäre, würde er der EU die angebliche Schuld zuschieben. Doch dieses Manöver ist versperrt, wenn er allzu früh Ultimaten ausstößt. Denn nun kann sich Brüssel als konziliant inszenieren. Nach dem Motto: „Wir wollten verhandeln, sind aber an Johnson gescheitert.“ Das „Blame Game“ ist gewonnen, bevor es begonnen hat.

Johnson erinnert an FDP-Chef Christian Lindner, der ebenfalls zu früh eskalierte: 2017 stieg er einseitig aus den Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition aus – was Union und Grüne nutzten, um ihm die Alleinschuld am Abbruch der Gespräche zu geben. Seither dümpelt die FDP in den Umfragen bei 5 Prozent.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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