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Filme feiern trotz CoronaDer Festival-Testballon

Bei den 77. Filmfestspielen von Venedig 2020 ist vieles anders. Auch das Programm. Wie läuft das Festival ab unter Coronabedingungen?

Alles schick, aber ohne Glamour könnte das Motto in diesem Jahr am Lido lauten Foto: Domenico Stinellis/ap

Z unächst war da die Frage, ob es überhaupt ein Festival gibt. Als dies regelmäßig bestätigt wurde, regte sich darauf leiser Zweifel, ob denn die internationale Presse zugelassen sein wird. Diese Frage ist inzwischen beantwortet. Die 77. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele von Venedig läuft wie geplant an, und auch Pressevertreter aus dem Ausland sind vertreten. Wobei es für Gäste von außerhalb der Europäischen Union eine Auflage gibt: Sie müssen sich bei der Einreise einem Coronatest unterziehen.

Ein Festival der Größenordnung von Venedig unter Pandemiebedingungen abzuhalten, und zwar mit Vorführungen im Kinosaal, nicht online als Stream, ist keine leichte Aufgabe. Dass dies möglich gemacht wurde, ist eigentlich die größte Nachricht in Zusammenhang mit der Mostra interna­zio­nale d’arte cinematografica. Für das Publikum bedeutet es gleichwohl eine Reihe von Änderungen.

So kann man sich dieses Jahr nicht wie sonst üblich bloß mit einer Akkreditierung um den Hals in die Schlange vor dem Kino seiner Wahl stellen, um irgendwann eingelassen zu werden und sich einen Platz zu suchen. Den Platz muss man sich vorab sichern. Sämtliche Sitze, die der geltenden Abstandsregeln wegen deutlich weniger sind als bisher, müssen online gebucht werden.

Solange der Vorrat reicht. Mithin wurde auch das Zuspätkommen ins Internet verlagert. Und die angebotenen Plätze zu ergattern, kann auch durch technische Hindernisse erschwert werden, wenn etwa die Seite nicht wie gewünscht lädt, sondern eine Fehlermeldung ausgibt. Beim Betreten des Festivalgeländes muss man jedes Mal die Temperatur messen lassen, auch dies ein Novum. Hygieneregeln gelten sowieso.

Kein Joker

Darüber scheint das Filmprogramm fast zweitrangig. Doch selbst da ist nicht alles wie gehabt. Einen „Joker“ wird es dieses Jahr zum Beispiel nicht wieder geben. Die großen Hollywood-Produktionen, die derzeit in den Kinos fehlen, da ihre Starttermine weitestgehend verschoben wurden, fehlen ebenso im Wettbewerb von Venedig, wo sie seit einigen Jahren eine Art Stammplatz hatten.

Immerhin gibt es im Aussteigerfilm „Nomadland“ von der in den USA lebenden chinesischen Filmemacherin Chloé Zhao die große Frances McDormand als Hauptdarstellerin. Und der italienische Schauspielstar Pierfrancesco Favino, der hierzulande in den Kinos gerade als Mafia-Kronzeuge Tommasino Buscetta in Marco Bellocchios Gerichtsdrama „Il Traditore“ zu sehen ist, spielt in Venedig die Hauptfigur in Claudio Noces Wettbewerbsbeitrag „Padrenostro“ über die Folgen eines Terroranschlags aus der Zeit der Roten Brigaden.

Ebenfalls aus Italien im Wettbewerb dabei ist die Regisseurin Susanna Nicchiarelli mit „Miss Marx“. Vor drei Jahren gewann Nicchiarelli mit ihrem sehr starken Biopic „Nico, 1988“ in Venedig den Preis der Reihe Orizzonti, für ihren aktuellen Film hat sie die jüngste Tochter von Karl Marx, Eleanor, als Protagonistin gewählt.

Ihr Landsmann Gianfranco Rosi, der 2016 auf der Berlinale den Goldenen Bären für den Lampedusa-Dokumentarfilm „Seefeuer“ erhielt, zeigt derweil in „Notturno“, wie Menschen im Irak, in Kurdistan, Syrien und dem Libanon im Schatten des Kriegs leben.

Deutschland mit dabei

Aus Deutschland ist mit Julia von Heinz eine weitere Filmemacherin unter den Konkurrenten um den Goldenen Löwen. Vor fünf Jahren kam ihre Leinwandadaption von Hape Kerkelings Pilgerwegs-Bestseller „Ich bin dann mal weg“ zur Weihnachtszeit in die Kinos. In Venedig erzählt von Heinz in „Und morgen die ganze Welt“ hingegen von einer Jurastudentin, die sich in der Antifa gegen Rechtsextreme engagiert.

Die Filmfestspiele von Venedig werden dieses Jahr damit zum Testballon für Festivals im Allgemeinen. Sie können der Filmbranche eventuell ein wenig von der Normalität zurückgeben, die seit dem Frühjahr ausgesetzt ist. Auf volle Kinos wird man aber auch in Venedig vergeblich warten.

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Kulturredakteur
Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.
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