: Überambitionierte Ermittler*innen
Laut dem Anwalt von Schleswig-Holsteins Polizeibeauftragter handelte die Staatsanwaltschaft widerrechtlich
Von Esther Geißlinger
Es war eine Razzia mit weitreichenden Folgen, die die Kieler Staatsanwaltschaft im August 2019 im Kieler Büro eines Polizeigewerkschafters vornahm: Chats aus einem dort beschlagnahmten Smartphone sorgten im Frühjahr für den Rücktritt des Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU), und sie begründeten eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Schleswig-Holsteinische Bürger- und Polizeibeauftragte Samiah El Samadoni. Deren Anwalt kritisiert jetzt die Staatsanwaltschaft: Sie habe „widerrechtlich“ gehandelt.
El Samadoni solle Details aus einem vertraulichen Gespräch ausgeplaudert haben, lautete der Vorwurf. Öffentlich wurde er im Mai, kurz bevor sich das SPD-Mitglied ihrer Wiederwahl im Landtag stellen sollte. Nun hat ihr Anwalt Gerhard Strate die Akten ausgewertet. Von den Vorwürfen bliebe „nichts“übrig, sagte er den Lübecker Nachrichten.
Strate findet harsche Worte für das Vorgehen der Staatsanwaltschaft: Sie habe „gezielt“ nach Vorwürfen gesucht, die „nichts mit dem ursprünglichen Ermittlungszweck zu tun haben“ – schließlich ging es bei der Razzia nicht um die Polizeibeauftragte, sondern um den Gewerkschafter.
Auch im Fall des Innenministers Grote hätten die Chatverläufe nur „drei triviale Sachverhalte“ ergeben, so Ralf Stegner, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, bei einer Pressekonferenz im Juni. Unter anderem hatten der Minister und ein Journalist über die Freigabe eines Interviews gechattet. Auch Stegner sieht das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als problematisch an: „Entweder, sie wurde ermutigt, Material gegen Grote zu sammeln, oder sie ist eigenverantwortlich tätig geworden.“
Bereits früher hatte es Fälle gegeben, in denen die Staatsanwaltschaft Kiel öffentlichkeitswirksam gegen Politiker*innen vorgegangen ist, ohne dass am Ende eine Verurteilung stand. So ging es Wara Wende, Wissenschaftsministerin im Kabinett von Torsten Albig (SPD). Die Staatsanwaltschaft warf ihr Korruption vor und ließ ihr Büro und ihre Wohnung durchsuchen. Zwei Jahre danach wurde das Verfahren eingestellt – der Verdacht hatte sich nicht bestätigt.
Bei Marit Hansen lautete der Vorwurf „Betrug“, auch ihre Räume wurden durchsucht. Die Leiterin des Landesamtes für Datenschutz wehrte sich vier Jahre lang gegen die Vorwürfe, dann wurde auch ihr Verfahren ohne Verhandlung eingestellt. Hansen klagte gegen dieses Vorgehen und bekam Recht: Das Schleswiger Oberverwaltungsgericht sprach allein wegen der schieren Länge des Verfahrens von einem „Organversagen“ der Staatsanwaltschaft.
Im Herbst will die SPD über den Rücktritt Grotes und die Rolle der Kieler Staatsanwaltschaft zum Thema im Innen- und Rechtsausschuss machen.
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