Kino nach dem Lockdown: Er dreht gerade einen Film

Letzte Woche gab's den ersten richtigen Kinobesuch seit Corona. Und die Frage, ob in den großen Studios noch neue Filme entstehen?

Leeres Kino, nur die blauen Sitzreihen sind zu sehen

Jede zweite Reihe frei: Kino nach dem Lockdown Foto: Christoph Soeder/dpa

Mein letzter Kinobesuch vor Corona war Ende Februar, im Rahmen der Berlinale, ein Screening von Hirokazu Kore-edas „After Life“. Der Regisseur war anwesend, ließ sich von Ang Lee interviewen, war schüchtern und charmant und lenkte die Aufmerksamkeit stets auf die Filme seines Gesprächspartners. Das war in der Akademie der Künste, in einem großen Saal, jeder Platz war besetzt.

Einige Leute trugen Masken, die meisten nicht. Ich hatte überlegt, ob ich nicht besser zu Hause bleiben sollte, die Phase des Überlegens und Abwägens, die wenige Wochen später schon vorbei sein sollte, denn dann gab es nichts mehr zu überlegen, hatte gerade begonnen. Aber die Entscheidung fiel mir leicht. Den großen Kore-eda wollte ich nicht verpassen. Es war der letzte Kinobesuch für fast ein halbes Jahr.

In den Wochen und Monaten danach habe ich wahrscheinlich so viele Filme wie noch nie gesehen, auf dem Laptop, nahezu jeden Abend einen. Meine Frau und ich haben eine Lockdown-Film-Routine entwickelt. Fünf Filme stehen zur Auswahl – mit der Zusammenstellung dieser Auswahl wechseln wir uns ab –, und dann entscheidet ein Online-Glücksrad, welcher Film es wird, und so erschließen wir uns seit Anfang März die Filmografien von Kelly Reichardt oder Mikio Naruse oder die von Kore-eda.

Ein Laptop ist keine Leinwand

Das Daheimschauen hat seinen Reiz, es macht Spaß, gemeinsam auf der Couch zu bleiben und zwischendurch zu pausieren, um Snacks aus der Küche zu holen oder ein kleines Nickerchen zu machen (looking at you, Naruse). Aber ein Laptop ist keine Leinwand, und ein Wohnzimmer ist kein Kino.

Einmal waren wir im Freiluftkino in der Hasenheide, denn die Freiluftkinos haben früher aufgemacht, und uns „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ angeschaut, Céline Sciammas malerisches Meisterinnenwerk, das ich durch Heuschnupfentränen halbwegs erkennen konnte. (Mir ging es wie in dieser alten Werbung, wo ein Machotyp im Kino nicht zugeben will, dass er weint und seiner Begleitung gegenüber beteuert, er habe nur etwas in den Augen. Ich hatte etwas in den Augen!).

Aber im Freiluftkino waren die Leute so unaufmerksam und tuschelten und raschelten die ganze Zeit, und ich konnte mich dann auf nichts anderes konzentrieren als auf das Tuscheln und Rascheln, außer vielleicht auf meine Heuschnupfensymptome, es war also auch nicht das beste Kinoerlebnis.

Verschobene Filme

Letzte Woche aber dann der erste richtige Kinobesuch seit Corona. „Undine“ von Christian Petzold, im Delphi Filmpalast. Ein praktischer Nebeneffekt der neuen Regel, dass jede zweite Reihe frei bleiben muss, ist, dass sich nun niemand direkt vor einen setzen und die Sicht stören kann. „Undine“, ein Berlinale-Film, wie viele andere der diesen Monat gestarteten Filme auch.

Verschobene Filme, die längst hätten anlaufen sollen. Ich frage mich, welche Filme in den nächsten Wochen und Monaten hier starten werden, wenn das Virus in den USA weiterhin grassiert und die amerikanischen Studios ihre großen Filme zurückhalten. Dann haben die Kinos hier zwar auf, aber können keine Filme zeigen, oder eben keine, die ein nennenswertes Publikum anziehen. Was ist schlimmer: die Türen geschlossen zu lassen oder sie offen zu halten, aber für niemanden?

Vorhin hat mir mein Freund aus Tulsa, Oklahoma geschrieben und ein wenig berichtet. Nicht gut, die Lage. Eine Straße weiter schießt die Nationalgarde mit Tränengas auf Protestanten. Die Anzahl der Erkrankten steigt genauso rapide wie die Anzahl derer, die das Virus für Quatsch halten. Er habe aufgehört, die Nachrichten zu verfolgen. Stattdessen konzentriert er sich auf ein Projekt. Er dreht einen Film.

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Geboren 1993 in Kiel, seit 2018 freier Autor für die taz. Hat Nordamerikastudien (M.A.) am John F. Kennedy-Institut der FU Berlin studiert. Schreibt vor allem über Pop und Kino, auch für die Süddeutsche Zeitung und den deutschen Rolling Stone.

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